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# taz.de -- Feministische Kulturszene München: Die Herzen wach halten
> Marginalisierte haben es in München schwer. Wie erleben Rapperin
> Kokonelle, das Performance-Duo beißpony und Kollektiv queer:raum den
> prekären Alltag?
Bild: Check den Flow: Kokonelle bei der Arbeit
Die Kulturkürzungen für 2025 betreffen alle, im eh schon teuren München
sorgen sie für große Verwerfungen. Zwar fallen die Streichungen in der
bayerischen Landeshauptstadt insgesamt weniger drastisch aus wie
befürchtet, [1][dennoch stellen die Einsparungen die freie Szene vor große
Schwierigkeiten.]
Die rot-grüne Stadtratskoalition unter OB Dieter Reiter (SPD) hatte
ursprünglich Sparmaßnahmen in Höhe von 243 Millionen Euro beschlossen,
davon sollten etwa 17 Millionen auf den Kulturetat entfallen.
Nach einem offenen Brief Münchner Kulturschaffender und Institutionen hat
die Stadt zwar keine Kehrtwende vollführt, aber immerhin angekündigt, dass
sich die Summe auf 11 oder 12 Millionen Euro belaufen wird. Dennoch, auch
diese Kürzungen schmerzen, fehlen damit doch Gelder, welche eigentlich
einen demokratischeren Zugang zum Kulturbetrieb ermöglichen sollen.
## Symbolpolitische Erschwerung
Die betrübliche Debatte erschüttert eine ohnehin verunsicherte Kulturszene
nachhaltig. Man erinnere sich nur an das unsinnige, erst 2024 von der CSU
durchgesetzte Genderverbot, welches gendergerechte Sprache in offiziellen
Dokumenten und an Behörden im Freistaat verbietet. Dieser symbolpolitische
Akt gegen Genderdiversität erschwert den Alltag und die Arbeit vieler
ohnehin schon marginalisierter Personen.
Aber es gibt sie, diejenigen, die gegen dumpfe Traditionshuberei und
Selbstzufriedenheit aufbegehren. In München engagieren sich etwa
Künstler_innen wie die Rapperin Kokonelle, die experimentelle Indieband
beißpony und das interdisziplinäre Kollektiv queer:raum gegen
strukturelle Diskriminierung aller Art.
Sie fordern mehr Repräsentation und Wertschätzung marginalisierter
Musiker_innen und Künstler_innen und schaffen neue feministische Netzwerke
in der Stadt. Das Kollektiv queer:raum hat sich 2022 gegründet und besteht
aus mehr als 20 Kunstschaffenden. Gemeinsam organisieren sie regelmäßig
Events und setzen sich für mehr Sichtbarkeit und Chancen für queere
Künstler_innen in München ein.
## Räumlicher Widerstand
Dort sind Künstler_innen und Performer_innen diverser Disziplinen
vertreten. Im Gespräch mit der taz berichtet Sophie Boner von queer:raum:
„Durch unsere Projekte gehen wir gezielt gegen konservative Politik und
leisten durch queere Kulturräume Widerstand.“ Als Teil von Slutwalk München
hat Sophie Boner mehrere Demonstrationen gegen das Genderverbot
mitorganisiert. Und das Kollektiv queer:raum lud mit der Veranstaltung
„SPRACHE“ dazu ein, alternative Wege des gendergerechten Sprechens zu
finden.
Bei der vom queer:raum organisierten queer-migrantischen Veranstaltung in
der Galerie Einwand trat die Rapperin Kharis Ikoko, bekannt als Kokonelle,
auf. Die Münchnerin mit kongolesischen Wurzeln macht Musik und ist darüber
hinaus aktivistisch und in der politischen Bildungsarbeit tätig. Räume
schaffen ist auch für sie ein Stichwort. „Meine Projekte sollen besonders
Schwarze Frauen empowern und ihnen Räume bieten, sich auszutauschen und zu
erholen.“
Sowohl für ihre Musik als auch ihre aktivistische Tätigkeit bezieht
Kokonelle Energie und Inspiration aus ihren Wurzeln. Zu ihren ersten
musikalischen Erinnerungen zählen kongolesische Gospelsongs, die in ihrem
Elternhaus gespielt wurden und deren Einfluss in Kokonelles mehrsprachigem
Rap und R & B zu hören ist.
## Klare Positionierung
Während Kokonelle und queer:raum erst seit ein paar Jahren aktiv sind,
gibt es die Münchner Band beißpony schon länger. [2][Als experimentelles
Popduo veröffentlichen Steffi Müller und Laura Theiss bereits seit 2006
Alben]. Von Beginn an haben sie sich queer-feministisch positioniert.
„Es gab auch damals eine queer-feministische Community in München“,
erinnert sich Steffi Müller im Gespräch mit der taz. „Das war zwar weniger
intersektional als heute, aber mich hat diese Gemeinschaft damals sehr
motiviert, Musik zu machen. Außerhalb davon war und ist die Kultur- und
Musikszene oft patriarchal geprägt, und das Konservative ist noch volle
Kanne da.“
Seitdem haben sich durch das Engagement von Künstler_innen wie Kokonelle,
[3][Mira Mann (früher bei der Band Candelilla)] und Cosma Joy und
Initiativen wie queer:raum und das städtisch geförderte #sieINSPIRIERTmich
mehr intersektionale und feministische Kulturräume gebildet. Vor wenigen
Wochen fand das Musikfestival „Good Sister: Bad Sister“ statt, das die
Vielfalt der lokalen Musikszene auf die Bühne brachte.
## Akut gefährdet
Kleine Konzerträume wie der Club Import Export in Neuhausen und der Habibi
Kiosk an den Münchner Kammerspielen zeigen, dass es auch in München eine
vielfältige Szene gibt. Diese ist durch die geplanten Kulturkürzungen
allerdings gefährdet. [4][Selbst dem über Münchens Stadtgrenzen hinaus
bekannten Musikfestival, die Alien Disko, das für sein vielfältiges und
mutiges Programm bekannt ist, wurde Förderung gekürzt. Es musste durch
Spenden und Konzerte von The Notwist querfinanziert werden.] Es ist also
kein Wunder, dass die Kürzungen allerorten Existenzängste verstärken.
Kokonelle, die auch in der Bildungsarbeit tätig ist, beobachtet: „Ich
erlebe, dass viele Personen sagen, wie schwer es ihnen fällt, überhaupt
weiterzumachen. Fördergelder können von heute auf morgen wegbrechen. Das
führt auf Kosten der Planungssicherheit zu extremer Unsicherheit. Natürlich
wirkt sich das auf die Arbeit und die Kreativität aus. Selbst wenn im
Kulturreferat gewisse Offenheit herrscht, müssen sie jetzt Abstriche
machen.“
Marginalisierte Personen bekommen das oft als Erste zu spüren, glaubt die
Rapperin. Dabei ist Kultur ein wichtiges Mittel, um diskriminierende
Gesellschaftsstrukturen kritisch zu hinterfragen und abzubauen. „Musik kann
Menschen erreichen, die sich bisher überhaupt nicht mit bestimmten
Thematiken auseinandergesetzt haben“, sagt Kokonelle.
## Wenig Verlässliches
Nach Jahren der selbstständigen Arbeit als interdisziplinäre_r Künstler_in,
berichtet Steffi Müller, dass es abgesehen von Geldern vor allem an
transparenten und verlässlichen Strukturen für Fördermittel mangelt. Zu
Beginn der Musikkarriere war Müller über viele Möglichkeiten, finanzielle
Unterstützung zu beziehen, nicht im Bilde.
Erst die Vernetzung mit anderen feministischen Bands und Kollektiven,
ermöglichte den Zugang. Das sei heute immer noch so, kritisiert Steffi
Müller. Gerade dem Nachwuchs könne mehr Transparenz helfen, einfachen
Zugriff auf Förderangebote zu erlangen. „Es würde helfen, wenn es explizit
feministische Förderaustauschprogramme gäbe, die Wissen niederschwellig
weitergeben und dabei besonders Personen fördern, die aufgrund von
Diskriminierung, weniger Zugang zu Fördermitteln haben.“
Innerhalb der feministischen Kreise in der Münchner Kulturszene findet
bereits Vernetzung statt. Kokonelle, Steffi und das queer:raum Team kennen
sich teilweise untereinander und arbeiten zusammen. Kokonelle etwa tritt
mit Rapperinnen und Sängerinnen wie Gündalein und Queen Lizzy auf.
## Weckruf für alle
„Ich merke, dass sich ein Netzwerk aufbaut, in dem sich Personen und
Gruppen untereinander solidarisieren und unterstützen. Es beruht auf dem
Verständnis, dass wir alle Platz haben und uns unter Musiker_innen niemand
etwas wegnehmen möchte,“ sagt die Sängerin. „Es gab schon immer Widerstand
gegen diskriminierende Strukturen innerhalb der Musikszene. Die Kürzungen
der Kulturgelder jetzt und das Genderverbot könnten zumindest ein Weckruf
für Künstler_innen sein, die bisher nicht aktiv waren“, so Steffi Müller.
„Ich wünsche mir, dass Gelder für Projekte zur Verfügung gestellt werden
und diese langfristig gefördert werden, sodass wir nicht jedes Jahr um die
Existenz fürchten müssen“, sagt Sophie Boner von queer:raum. „Wir stehen
erst am Anfang und brauchen mehr Räume, in denen Flinta* sich sicher fühlen
– in der Musikindustrie und darüber hinaus“, wünscht sich Steffi von
beißpony. Für Kokonelle steht fest: „Wir können diese Räume nur schaffen,
wenn wir Musik und Kunst nicht losgelöst von politischen Entwicklungen und
Diskriminierung betrachten, sondern als fundamental damit verwoben.“
Mit Blick auf die aktuelle politische Gesamtlage in Deutschland, in der
rechte Stimmen an Macht gewinnen und Forderungen nach Grenzschließungen
lauter werden, sei Unterstützung für Projekte, die Grenzen überschreiten,
besonders wichtig, betont Steffi Müller. „Wir brauchen mehr Förderung von
Kollaborationen, damit wir nicht um Gelder konkurrieren, und Austausch
zwischen Szenen und über Landesgrenzen hinweg angeregt wird. Das hält die
Köpfe und Herzen wach.“
Den Kürzungen und der Unterrepräsentation von queer-feministischen und
BiPoC Künstler_innen im Mainstream zum Trotz erkämpfen Kokonelle, beißpony,
und queer:raum Räume in München. Kokonelle sagt: „Die Stadt hat viel zu
bieten, aber es ist noch sehr versteckt. Das liegt nicht an den
Musiker_innen und Künstler_innen, sondern an den existierenden Strukturen,
die viele unsichtbar machen.“
9 Jan 2025
## LINKS
[1] /Kulturkuerzungen-in-Muenchen/!6049662
[2] /!5651041/
[3] /Neue-Postpunk-Alben/!5072790
[4] /Indie-Musikfestival-in-Muenchen/!6051499
## AUTOREN
Ilo Toerkell
## TAGS
Feminismus
München
Neue Musik
Kürzungen
Musik
Kulturpolitik
DIY
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