# taz.de -- Feministisches Festival in Berlin: Genie feminin | |
> Hochrangige Posten waren in der Geschichte Männern vorbehalten. Der Abend | |
> „Ich brauche eine Genie“ setzt dieser Tradition etwas entgegen. | |
Bild: Bringen die weiblichen Genies auf die Bühne: Sandra und Kerstin Grether | |
Gestatten: Menschen, von denen Sie vielleicht nie gehört haben. Phillis | |
Wheatley, im 18. Jahrhundert in Westafrika geboren und als Sklavin in die | |
USA verkauft, veröffentlichte schon als 13-Jährige Gedichte – als erste | |
Afroamerikanerin. | |
Die Mathematikerin Emmy Noether beeinflusste mit ihren Theorien Albert | |
Einstein. Und Delia Derbyshire, Komponistin aus Großbritannien, bereitete | |
mit ihren Loop-Experimenten in den 1960er Jahren der elektronischen Musik | |
den Weg. Eines ist Wheatley, Noether und Derbyshire gemein: Als „Genies“ | |
kennt man sie nicht. | |
Genietum, das Maximum der schöpferischen Begabung, schien stets Männern | |
vorbehalten zu sein. Genies heißen Goethe oder Shakespeare; mit dem | |
Denker-Superlativ „Universalgenie“ adelte man etwa Leonardo da Vinci und | |
Gottfried Wilhelm Leibniz. Nie aber Frauen. | |
Umso irritierender ist deshalb der Titel der Veranstaltungsreihe, die sich | |
Kerstin und Sandra Grether, Musikerinnen, Autorinnen und Vordenkerinnen des | |
Pop-Feminismus in Deutschland, nun ausgedacht haben: „Ich brauche eine | |
Genie – Popkultur, Feminismus, Spaß und so“. Künstlerinnen, die „ein | |
gewisses genialisches Können mitbringen“, wollen die Schwestern auf der | |
Bühne der Berghain-Kantine versammeln. | |
Eine Genie: Das hätte es früher nicht gegeben, und zwar per Definition. Im | |
römischen Glauben war der „Genius“ der Schutzgeist eines Mannes, der mit | |
dem Tod seines Trägers starb. In Deutschland schlug die Stunde des | |
Geniedenkens, als Goethe seinen „Prometheus“ aufs Papier protzte: in der | |
Epoche des Sturm und Drang. War die Poetik bis dato strengen Regeln | |
unterworfen, rückte nun der Schöpfer in den Mittelpunkt. | |
## Frauen studieren, Frauen regieren | |
Der Frau indes war es vorbehalten, den dichtenden Halbgott zu umsorgen. | |
Selbst Genie zu sein, das war nicht drin: Es stürmte und drängte sich | |
schlecht mit sittsam überkreuzten Beinen. Im 18. Jahrhundert ebbte der | |
Geniekult ab. Heute ist Schopenhauers These, schon der Anblick der Frau | |
lehre, dass sie „weder zu großen geistigen, noch körperlichen Arbeiten | |
bestimmt ist“, erfolgreich widerlegt: Frauen studieren, Frauen regieren | |
Länder und Charts. | |
Und dennoch: Googelt man „Patti Smith“ und „Genie“, erhält man einen | |
Artikel über William S. Burroughs. Die Welt verneigt sich vor dem | |
„Pop-Genie“ Brian Wilson und dem „Schach-Genie“ Magnus Carlsen – die | |
weibliche Genie-Riege hingegen: unterbesetzt, nach wie vor. | |
Und das ist kein Wunder, ist Genietum schließlich verbunden mit | |
Eigenschaften, die Frauen angeblich schlecht kleiden. Wahnsinn etwa, der | |
dem intellektuellen Übermenschen von jeher wie ein böser Zwillingsbruder an | |
den Hacken hängt. Kaum ein Genie ohne psychische Probleme; dem römischen | |
„Genius“ entsprach im Griechischen der „daemon“. | |
Genies können autoaggressiv sein (Vincent van Gogh) oder mit Ziegenkacke | |
salben (Salvador Dalí), ohne dass ihr Ausnahmestatus Schaden nimmt. Taumelt | |
eine wie Amy Winehouse hingegen mit Depressionen und Drogenproblem durchs | |
Leben, dominiert das Negativimage ihre öffentliche Wahrnehmung oft stärker | |
als ihr Talent. | |
## Begabt, beseelt, begnadet – aber nicht fleißig | |
Überhaupt: die Begabung. Das lateinische Wort „ingenium“, von dem „Genie… | |
abstammt, ließe sich mit „angeborene Fähigkeit“ übersetzen, auch Kant | |
nannte das Genie einen „Günstling der Natur“. Der geniale Mensch, so die | |
gängige Vorstellung, ist begabt, beseelt, begnadet – aber nicht fleißig. Im | |
Absinthrausch hängt er auf der Chaiselongue ab und entlässt große Gedanken | |
in die Welt. | |
Blöd halt, dass Fleiß eine Eigenschaft ist, die man Frauen eher zuschreibt | |
als natürliche Schaffenskraft. Und noch blöder, dass sich Frauen, die gegen | |
diese Zuschreibung antreten, sofort des Dilettantismus verdächtig machen. | |
Wenn weiblich besetzte Bands wie Schnipo Schranke auf dem Keyboard | |
„klimpern“ (Zitat FAZ), gilt das nicht als Punk, als Reduktion aus Protest | |
– sondern als Beweis, dass sie keinen Bock auf eine anständige | |
Klavierausbildung haben. | |
Mit Frauen ist offenbar kein Geniestreich zu machen. Nur: Ist das denn | |
schlimm? Brauchen wir im Feminismus – der die Welt ja schöner, weil | |
gleicher machen soll – intellektuelle Leuchttürme, die andere Talente in | |
ihren Schatten stellen? Sorgt nicht auch ein strahlendes weibliches Genie | |
dafür, dass seine genialen Mistreiterinnen übersehen werden? „Wir brauchen | |
natürlich immer wieder herausragende Künstlerinnen, die uns inspirieren“, | |
sagen Marlen Pelny und Chio Schuhmacher alias Zuckerklub. | |
Das Berliner Indiepop-Duo wird bei der Veranstaltung „Ich brauche eine | |
Genie“ auftreten. Als Inspiration nennen sie die Band von Sandra und | |
Kerstin Grether, Doctorella (von deren Song „Ich brauche ein Genie“ auch | |
der Titel des Abends entliehen ist). Auf ihrer aktuellen Platte „Ich will | |
alles von dir wissen“ singen die Grether-Schwestern: „Die Liebe ist ein | |
Song, der sich nicht reimt, sie ist nicht gut gemacht, nur gut gemeint“. | |
Ist das nun genial? Warum nicht. „Wir bewundern große Songwriterinnen und | |
finden es schändlich, dass der Kulturbegriff so eingestaubt ist. Und man | |
nur mit dicken Büchern ernst genommen wird, aber nicht mit genialen | |
Liedzeilen, die jeder immer wieder vor sich hin summt“, sagen Zuckerklub. | |
Größe im Verborgenen suchen: Besser kann man die Halbgötter von einst wohl | |
nicht vom Olymp holen. | |
29 Jun 2017 | |
## AUTOREN | |
Julia Lorenz | |
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Margarete Stokowski | |
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