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# taz.de -- Comeback von Locust Fudge: Der Vibe von Ostwestfalen
> Totgesagte leben länger: Die Band Locust Fudge ist mit ihrem neuen Album
> „Oscillation“ überraschend wiederauferstanden.
Bild: Mischen Schrammelrock und Sun Ra: „Krite“ Uhe, Chikara Aoshima, Dirk …
Die Jüngeren werden das vielleicht gar nicht mehr wissen, aber
schmutzig-schöner Schrammelrock war mal eine ostwestfälische Spezialität.
Vor einem guten Vierteljahrhundert werkelte an Orten wie Detmold und
Bielefeld eine äußerst vitale Indie-Szene – die Bands hießen Hip Young
Things, Speed Niggs, Sharon Stoned und Locust Fudge.
Letztere kehren dieser Tage überraschend mit einem neuen Album zurück:
„Oscillation“ heißt das jetzt veröffentlichte Werk von Locust Fudge, dama…
eine Art All-Star-Combo dieses Zirkels. Immer noch an Bord sind Dirk
Dresselhaus, den man inzwischen unter seinem Elektronik-Alias als Schneider
TM kennt, und Christopher „Krite“ Uhe, der zuletzt als Produzent und
Komponist von Theatermusik reüssierte. Ostwestfalen haben die beiden längst
gen Berlin verlassen, aus den Augen verloren haben sie sich nie.
Von langer Hand geplant war das Comeback nicht: „Es standen keinerlei
rationale Überlegungen dahinter. In erster Linie hat es sich durch das
gemeinsame Spielen ergeben“, sagt Dresselhaus, der gemeinsam mit Uhe und
dessen Sohnemann in einem Kreuzberger Café sitzt.
Vor gut drei Jahren wurden die beiden alten Locust-Fudge-Alben („Flush“ ,
1993, und „Royal Flush“, 1995) wiederveröffentlicht, seither trat man
gelegentlich wieder live auf – und mit dem Japaner Chikara Aoshima fand
sich ein neuer Schlagzeuger.
Ist „Oscillation“ denn ein Back-to-the-Roots-Album geworden? „Auf jeden
Fall ist es für mich keine Neunziger-Jahre-Platte. In unserem Sound klingen
auch Stilrichtungen wie zum Beispiel Free Jazz, kosmische Musik und Sun Ra
an“, sagt Dresselhaus. In der Tat, grundiert ist „Oscillation“ zwar vom
Frühneunziger-Indie, aber gleich das Auftakt-Stück, „Light and Grace“,
führt nach sehr eingängigem, poppigem Beginn auf versponnene Pfade und
endet dann nach mehr als elf Minuten mit Noise- und Free-Beat-Eskapaden.
Bei dem Begriff „Roots“ bleiben Dresselhaus und Uhe – heute 47 und 50 Jah…
alt – aber noch kurz hängen: „Es gibt schon einen Rückgriff darauf, wo man
herkommt, nur ist ‚Oscillation‘ eben ein wesentlich freieres Album“, sagt
Uhe. „,Roots' passt in dem Sinne, dass damit nicht unsere eigene vergangene
Musik gemeint ist, sondern das, was einen lange davor bewegt hat“, meint
sein Kompagnon.
Der Rückgriff zeigt sich auch in der Haltung oder in einem „bestimmten
Vibe“, den sie erzeugen wollten, wie Dresselhaus sagt. Sie fühlen sich dem
Verständnis von „Indie“ verpflichtet, wie es zu Zeiten der Bandgründung
1991 vorherrschte. „Damals bedeutete dieser Begriff ja wirklich,
‚independent‘, also unabhängig zu sein“, sagt Uhe. „Heute ist ‚Indie…
Marke, eine Schublade für eher harmloses, ödes Zeugs; wobei inzwischen wohl
viel mehr Musik im ökonomischen Sinne ‚independent‘ produziert wird als
jemals zuvor.“
Locust Fudge sind heute so unabhängig, wie man nur sein kann: Sie müssen
nicht zwingend Geld mit der Band verdienen (eher mit ihren anderen
Projekten), veröffentlicht wird das neue Album beim Berliner Label
PlayLoud, das ebenfalls unkommerziell ausgerichtet ist.
Nicht nur das verbindet Band und Label, sondern auch der Gedanke, Musik
nicht mehr in Genres zu denken. „Das Genre ist im Prinzip scheißegal. Es
geht um Frequenzen, um Strukturen, um Harmonien und Disharmonien. Die
Message der Musik kommt auf einer physikalischen Ebene rüber“, sagt
Dresselhaus.
Sein Bandkollege bringt diesen Aspekt auf eine Metaebene: „Der Sound als
physische Reaktion entwickelt sich aus der Dialektik des Spiels, der Logik
der zwei, der Differenz. Darin liegt vielleicht ein ‚politischer‘ Aspekt
der Musik: Sie ist anti-identitär.“
Körpergefühl und Körperintelligenz sind Schlagworte, die im Gespräch
mehrmals fallen. Verständlich, denn bei Livekonzerten von Locust Fudge
kriechen die wummernde Gitarre und die bollernde Bassgitarre geradezu in
einen hinein, die Druckwellen sind spürbar. Beim Album, sagen sie, seien
ihnen insbesondere die Bassfrequenzen wichtig gewesen.
Wucht entfaltet „Oscillation“ auch wegen seines kollaborativen Ansatzes.
Als Gastmusiker sind unter anderem J Mascis von Dinosaur Jr., der Drummer
Wolfgang Seidel (einst Ton Steine Scherben), Ur-„Faust“ Werner „Zappi“
Diermaier sowie Gwendo Tägert von Mondo Fumatore dabei. Der Schriftsteller
Dylan Thomas steuert postum immerhin einen Songtext bei: „Do not go gentle
into that good night“.
Das alles wirkt sehr stimmig, genau wie die Chemie zwischen den beiden
Protagonisten: „Wir sind beide nicht die Typen, die ewig lang über die
Stücke diskutieren. Gemeinsam Musik zu spielen an sich ist ja die
Konversation“, erklärt Dresselhaus.
Diese Konversation ist ziemlich groß- und einzigartig – das wird klar, je
öfter man das neue Album hört. Der Sound Ostwestfalens, er ist mit
„Oscillation“ würdig gereift und hat ein paar tolle neue Impulse bekommen.
16 Apr 2018
## AUTOREN
Jens Uthoff
## TAGS
Ostwestfalen
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Free Jazz
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Pop-Underground
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