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# taz.de -- Jerusalem In My Heart beim CTM-Festival: Ihr Stern ist der Atheismus
> Die kanadisch-libanesische Band Jerusalem In My Heart gastiert beim
> Festival CTM. Und zeigt, wie sich „moderne arabische Musik“ anhören
> könnte.
Bild: Radwan Ghazi Moumneh (mit Sonnenbrille) und Charles-André Coderre.
„Oh, what’s the matter with you, Syria?“, singt Radwan Ghazi Moumneh wied…
und wieder auf Arabisch im Finale seines Songs „Ah Ya Mal El Sham“. Auf dem
im September 2015 erschienenen Album „If He Dies, If If If If If If“ wirft
Moumnehs Bandprojekt Jerusalem In My Heart einen verzweifelten Blick in
Richtung des explodierenden Nahen Ostens, in den die Familie des heute in
Montreal lebenden, im Oman aufgewachsenen Exillibanesen mittlerweile wieder
zurückgekehrt ist.
Und so ist auch der Titelsong eine von Trauer getragene Bestandsaufnahme
des noch immer unter den Folgen des Bürgerkriegs leidenden Libanon, dessen
alte Machthaber nach wie vor alle Fäden in der Hand haben.
1993 waren die Moumnehs aufgrund der unsicheren Lage aus ihrer Heimat nach
Kanada geflohen, wo der damals 18-jährige Radwan in die Montrealer
Punkszene eintauchte. Einige Jahre später gründete er mit Efrim Menuck und
Thierry Amar von der Band Godspeed You! Black Emperor das Aufnahmestudio
Hotel2Tango, das eng mit dem Plattenlabel Constellation Records verknüpft
ist, Heimstatt von Thee Silver Mt. Zion, Ought oder der Jazzsaxofonistin
Matana Roberts.
Moumneh verbringt mehrere Monate im Jahr in Beirut, wo er für sein Projekt
Jerusalem In My Heart die experimentelle Musikszene ebenso erforscht wie
traditionelle Hochzeitsgesänge. Die Band wurde wegen der arabischen Texte
und des Gesangs immer wieder als geistliche Musikgruppe missverstanden,
Moumneh als moderner Muezzin beschrieben, was er stets weit von sich
gewiesen hat – im Titelsong des aktuellen Albums schleudert er den Hörern
ein rotziges „Atheists, we are atheists!“ entgegen.
Die Spurensuche in der Musikwelt des Nahen Ostens verbindet vielmehr
archaische Folkmuster mit moderner arabischer Musik, die mit Postrock,
Drones, Samples und experimentellem Film zusammengeführt wird.
## Unwiederholbare Performances
Film war von Beginn an ein integraler Bestandteil des Bandkonzepts von
Jerusalem In My Heart, weswegen eine Album-Veröffentlichung zunächst gar
nicht vorgesehen war. 2005 war ein „live audio-visual happening“
entstanden, die chilenische Künstlerin und Filmemacherin Malena Szlam
Salazar hatte zunächst die Aufgabe, die Sounds von Moumneh mit
Filmsequenzen, Loops und Fotografien zu unterlegen, durch die die seltenen
Auftritte der Band zu unwiederholbaren Performances wurden.
Der visuelle Beitrag Salazars findet sich im ästhetischen Konzept des 2013
erschienenen ersten Albums „Mo7it Al-Mo7it“ wieder, dessen Cover einen
eingefrorenen Eindruck der live entstehenden Dynamik des Zusammenspiels von
Bild und Ton ermöglicht.
Mittlerweile arbeitet Moumneh mit dem kanadischen Regisseur Charles-André
Coderre zusammen, der analoge Fotos und 16-Millimeter-Filme mit Chemikalien
bearbeitet und die Ergebnisse bei den Live-Performances benutzt. Auch
musikalisch setzt sich diese Mischung aus live gespielten Instrumenten, die
digital dekonstruiert, bearbeitet und neu zusammengesetzt werden, auf dem
zweiten, in Montreal und Beirut aufgenommenen Album fort.
Diese Dekonstruktion traditioneller Hörgewohnheiten nennt Moumneh „moderne
arabische Musik“, die geprägt ist von der dominanten und doch mit Sound und
Bild verschmelzenden Stimme des Sängers, die wie ein Instrument eingesetzt
wird – ein weiterer Sound neben der von ihm gespielten Busuki und der
nordindischen Bansuri-Flöte des Gastmusikers Dave Gossage, dessen
Flötenspiel im letzten Track, „2asmar Sa7ar“, zu Drones verarbeitet mit dem
Geräusch von Wellen an einem libanesischen Strand zusammentrifft.
Moumnehs Musik ist voller Zitate und Verweise und live ein
visuell-akustisch überwältigender Eindruck dessen, wie die „moderne
arabische Musik“ aussehen könnte, wenn da nicht die Frage wäre: „Oh, what…
the matter with you, Syria?“
2 Feb 2016
## AUTOREN
Jonas Engelmann
## TAGS
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