# taz.de -- Synthesizer-Entwickler bei der Transmediale: Das Neue ist Tradition | |
> Morton Subotnick war in den sechziger Jahren federführend bei der | |
> Entwicklung der ersten Synthesizer. Seine Mission ist jedoch noch längst | |
> nicht beendet . | |
Bild: "Zuvor war da nur die Elektrizität. Ich wusste noch nicht, wie diese neu… | |
Es ist schon eine schöne Tradition beim Berliner Festival "Club | |
Transmediale": Vor der Präsentation neuester Entwicklungen der | |
experimentellen Musik in einem einwöchigen Konzertmarathon lädt man einen | |
Alten zur Geschichtsstunde. In früheren Jahren bestritten etwa die | |
französischen Komponisten Jean-Jacques Perrey und Pierre Henry | |
Eröffnungskonzerte. Jeder für sich ein Begründer der Avantgarde. | |
Der Club Transmediale mag einfach Visionäre, deren Ruhm erst durch die | |
Popularisierung der elektronischen Musik in den letzten 20 Jahren bedeutsam | |
gestiegen ist. | |
Man zeigt damit auf, wo das Neue eigentlich her kommt. Elektronische Musik | |
und Techno sind schließlich nicht mehr die Musiken, die andauernd | |
unentdecktes klangliches Territorium erobern und mit der Geschichte | |
brechen, wie das noch Anfang der Neunziger der Fall war. Der Bezug auf die | |
eigene Historie spielt hier also inzwischen genauso eine Rolle wie in der | |
Rockmusik, die Neues oft auf Grundlage des Alten zu schaffen vermag. | |
Immense Schaffenskraft | |
Dieses Jahr konnte der US-amerikanische Komponist Morton Subotnick dafür | |
gewonnen werden, in das seit Anfang dieser Woche laufende Festival | |
einzuführen. Ein Künstler, der geradezu perfekt zum Anspruch des Clubs | |
Transmediale passt, schon heute die Musik zu präsentieren, über die morgen | |
alle reden werden. Subotnick ist inzwischen 77 Jahre alt. Trotz seiner | |
Schwerhörigkeit legt er eine immense Schaffenskraft an den Tag. | |
Ende letzten Jahres wurde etwa bei den Bregenzer Festspielen Subotnicks | |
Oper "Jacobs Room" uraufgeführt. Seine Frau, die Stimmakrobatin Joan La | |
Barbara, half ihm bei der Inszenierung, der Berliner Lichtkünstler Lillevän | |
sorgte für die sogenannten Visuals, die der Aufführung einen Touch | |
Clubkulturatmosphäre verliehen. | |
Lillevän ist auch in Berlin wieder mit von der Partie, doch Subotnick hatte | |
musikalisch etwas anderes mit im Gepäck. Ein Stück Musik, das besser in | |
einen Festivalrahmen passt, der sich an Popkultur orientiert. Der Komponist | |
führte sein Werk "Silver Apples On The Moon" nochmals auf. Ein Stück | |
Musikgeschichte, das nur Eingeweihten etwas sagt und das dennoch in mehr | |
als einer Hinsicht revolutionär ist. "Silver Apples of the Moon" gilt | |
inzwischen als die Blaupause der elektronischen Musik. | |
Das Album erschien 1967 auf dem amerikanischen Klassiklabel Nonesuch und | |
wird als erste rein elektronische Komposition überhaupt geführt. Bis heute | |
wird die Musik freilich eher in Popmusikkreisen rezipiert und gilt dort als | |
Referenzwerk. "Man kennt mich in der E-Musik und in der U-Musik, aber | |
eigentlich zähle ich mich zu keinem der beiden Systeme. Ich verkehre in | |
meiner eigenen Welt, kann aber verstehen, dass ich in der Sphäre des Pop | |
besonders geschätzt werde, weil meine Visionen gut hierhin passen", | |
bilanziert Subotnick. | |
Wenn auf dem Cover des Beatles-Albums "Sergeant Peppers Lonely Hearts | |
Clubband" 1967 unter anderem Karlheinz Stockhausen abgebildet war, was die | |
Lücke zwischen E- und U-Musik symbolisch schließen sollte, sind genauso | |
auch Subotnicks Arbeiten aus den Sechzigern Bindeglieder zwischen Hoch- und | |
Popkultur. Die Zusammenhänge werden jedoch erst allmählich erforscht. | |
Ein vor Kurzem erschienenes Buch mit dem Titel "San Francisco Tape Music | |
Center: 1960s Counterculture and the Avantgarde" stellt beispielsweise eine | |
Verbindung her zwischen den frühen Soundexperimenten, die Subotnick | |
zusammen mit Ramon Sender an dem von ihnen gegründeten "Tape Music Center" | |
betrieben hat, und dem, was Ende der Sechziger als "Summer of Love" an | |
psychedelischer Rockmusik rund um Bands wie Grateful Dead in die Annalen | |
der Popgeschichte einging. | |
Erst "Silver Apples On The Moon", das Werk, das der amerikanische | |
Musikjournalist Alex Ross eine "Rapsodie für Synthesizer" nennt, die die | |
"Studenten der Beatles-Generation" hypnotisierte, macht den Einfluss auf | |
nachfolgende experimentalelektronische Entwicklungen deutlich. Die Riege | |
der direkt von diesem Werk beeindruckten Bands reicht von der Sixties-Band | |
The Silver Apples, die schon im Bandnamen Tribut zollten, bis hin zu den | |
englischen Laika, die ihr Debütalbum genauso nannten wie Subotnick, eben | |
"Silver Apples on the Moon". | |
Morton Subotnick ist also eine Legende, doch trotz seiner Reputation von | |
bewundernswerter Bescheidenheit. Angesprochen auf all die Verehrer, die | |
aufgrund seiner Innovationen die elektronische Musik weiter vorangetrieben | |
haben, meint er nur: "Ich kriege nicht so viel. Seit den frühen Sechzigern | |
habe ich einen Masterplan, die Vision von einer neuen Musik. Und ich habe | |
mein Soll noch nicht erfüllt. Darum habe ich keine Zeit, mich um die | |
Außenwelt zu kümmern. Außerdem habe ich viel zu viel Angst davor, mich | |
durch andere musikalische Einflüsse von meinem Weg abbringen zu lassen." | |
Nach wie vor ist der Mann auf einer Mission, längst noch nicht zufrieden | |
mit dem Erreichten, das er mit angestoßen hat. Er war schon immer ein | |
Tüftler, der wusste, dass nur neue Techniken auch neue Musiken ermöglichen. | |
Kooperation mit Ableton | |
In den sechziger Jahren ist er es, der dem Synthesizeringenieur Don Buchla, | |
der gleichzeitig mit Robert Moog die Möglichkeiten von elektronischen | |
Musikerzeugern erforscht, die entscheidenden Ratschläge gab. Sie führten | |
dazu, dass Buchla noch vor Moog den ersten modularen Synthesizer entwarf. | |
Heute steht Subotnick in Kontakt mit der Berliner Musik-Software-Firma | |
Ableton. Die Zusammenarbeit stehe erst am Anfang, sagt er, aber er habe da | |
so Ideen. "Nichts, was annähernd so revolutionär wie in den Sixties sein | |
wird", aber immerhin: Ideen. Bei Ideen ist es bei Morton Subotnick nie | |
geblieben. | |
Damals, so berichtet er, "war meine Vision ein neues Medium, in dem Musik | |
wie eine Skulptur entsteht." Das Ergebnis dieser Vision ist der | |
Buchla-Synthesizer. "Zuvor war da nur die Elektrizität. Ich wusste noch | |
nicht, wie diese neuartige Musik klingen könnte. Ich wusste nur, wenn sie | |
entstünde, würde ich merken, dass sie es ist. Mir war klar, mit Hilfe der | |
Elektrizität könnte ein neuer Typ Künstler entstehen. Dann könnte man mit | |
Energie Musik formen." | |
Der Siegeszug der elektronischen Musik, der Ende der Achtziger tatsächlich | |
auch auf der Basis von Subotnicks Ideen einsetzte, mache ihn durchaus | |
glücklich, sagt der Gefeierte. Aber sein Ziel habe er trotzdem noch längst | |
nicht erreicht. "Ich glaube, es braucht immer noch ein paar Generationen, | |
um dort hinzugelangen, wozu wir die Möglichkeiten haben." | |
Böse Zungen behaupten ja, die Revolution der elektronischen Musik sei | |
überhaupt keine mehr. Doch wenn ein Morton Subotnick bekennt, wir stünden | |
eigentlich erst am Anfang der Entwicklungsmöglichkeiten, gibt es | |
berechtigte Hoffnungen, dass die Entwicklung weitergeht. | |
3 Feb 2011 | |
## AUTOREN | |
Andreas Hartmann | |
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