Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Zum Tod des Musikers Klaus Dinger: Maestro der Apachen
> Der Schlagzeuger und Gitarrist Klaus Dinger ist tot. Er prägte Bands wie
> Kraftwerk, und Neu! - auch David Bowie liess sich von ihm inspirieren.
Bild: Verhalf Kraftwerk zum Kraftwerk-Sound: Klaus Dinger.
Bands haben sich nach seinen Songtiteln benannt. Sein
Markenzeichen-Schlagzeug-Rhythmus, ein metronomisch gerader und
gleichzeitig minimalistischer Four-to-the-Floor-Beat, von ihm selbst "der
Apache" genannt, wurde tausendfach kopiert, aber nie erreicht. Auf seinen
selbst gestalteten Plattencovern kam ein extravagantes Pop-Stilbewusstsein
zum Tragen, das in Deutschland in den Siebzigern noch gar nicht verbreitet
war und heute hippe japanische T-Shirts ziert.
Am 21. März ist der Musiker Klaus Dinger in Düsseldorf gestorben (die taz
berichtete). "Total Artist" stand als Berufsbezeichnung auf Dingers
Stempel. Klaus Dinger war auch sehr an Kunst interessiert. Studenten aus
dem Umfeld von Joseph Beuys haben ihm dessen Werk nahegebracht. Umgekehrt
steht Dinger heute als Pop-Kunstwerk der Siebzigerjahre da.
"Seine Musik hat mich natürlich beeinflusst", erklärt der wie Dinger aus
Düsseldorf stammende Stefan Schneider (To Rococco Rot, Mapstation), "noch
mehr aber seine Entschlossenheit, sich zum Musikmachen zu bekennen."
Bereits in den Sechzigerjahren trommelte Dinger in Beatbands, die gängige
Hits aus den Charts coverten. Auf Fotos kleidete man sich im Stile der
englischen Mods, mit Parka, Sonnenbrille und halblangen Topfschnitt-Haaren.
1969 schmiss Dinger sein Architekturstudium in Krefeld, um sich völlig der
Musik widmen zu können. "Wir haben uns 1971 kennengelernt, als wir zusammen
bei Kraftwerk waren und mit Florian Schneider viele Konzerte gaben",
erinnert sich der Gitarrist Michael Rother.
Das Kraftwerk-Debütalbum mit dem roten Verkehrshütchen war zu jener Zeit
gerade erschienen. In der Triobesetzung Schneider-Rother-Dinger entwickelte
diese Kraftwerk-Besetzung den unnachahmlichen Sog. Man kann das auf YouTube
in einem WDR-Livemitschnitt des Songs "Rückstoßgondoliero" nachvollziehen.
Zentraler Bestandteil war die durchgetretene Kickdrum von Dinger, die nur
von einzelnen Snare- und Beckenschlägen begleitet wurde. Die wuchtigen
Drums schleifen Rothers Gitarre und die mit Effektgeräten verfremdete Flöte
und den Synthesizer von Florian Schneider meilenweit mit. "Mich faszinierte
Dingers immense Energie", erklärt Michael Rother. "Ich kannte keinen, der
so kraftvoll endlos geradeaus spielen konnte und dabei die entstehende
Musik insgesamt im Blick behielt."
"Neue Musik", so formulierte es Karlheinz Stockhausen einmal, "ist
unheimlich, sogar für die, die sie erschaffen haben." Dinger ging an die
Grenzen. Bei einem Kraftwerk-Konzert schlug er sich die Hand an einem
Becken blutig, drosch aber weiter unbeirrt drauf ein. Herbert Grönemeyer,
der Klaus Dinger 2000 kennengelernt hat, sagt über ihn, er sei "enorm
inspirierend gewesen, sehr akribisch auf seine Außenwirkung bedacht, im
positiven Sinne chaotisch, undeutsch. Aber auch menschenscheu und manisch
in seiner Angst davor, hintergangen zu werden."
Das Kapitel Kraftwerk war nach einem Streit mit Florian Schneider beendet.
Daraufhin gründeten Rother und Dinger Neu!. Bis 1975 erschienen drei Alben
des Duos. Die Cover zierten der Bandname als orange- und rosafarbenen
Schriftzug in Graffiti-Ästhetik und kaum leserliches handschriftliches
Gekritzel. "Musik für Kopf und Hose". Neu! machten Headmusic, aber eine
stylishe, postpsychedelische Headmusic.
Der Coverhintergrund ihrer Alben bestand aus nacktem Weiß. Unscharfe Fotos
der Musiker steigerten die Fantasie der Betrachter. Auch in der
Klangphilosophie setzten sich Neu! von ihren Blues-Folk-inspirierten
Zeitgenossen und dem laschen Hippie-Gedaddel ab. Mit der Unterstützung des
Produzenten Conny Plank kreierte das Duo einen körperlosen, gleichwohl
metallischen Rocksound, der die Antiästhetik von Punk und die hypnotische
Energie von Techno vorwegnahm.
Klaus Dinger war in seiner präzisen Interpretation von Rhythmus die
"Menschmaschine", von der Kraftwerk später singen sollten, während Rother
die Gitarre als Apparat entdeckte, mit dem man blinkende Töne und
schlieriges Feedback aussenden kann.
Volle drei Jahre vor dem Kraftwerk-Evergreen "Autobahn" trommelte Dinger
auf dem Neu!-Song "Hallogallo" den Beat, der später in der elektronischen
Popmusik zum Grundmuster werden sollte. "Von heute aus betrachtet, spielen
Neu! Techno", findet der Karlsruher Produzent Kristian Beyer, eine Hälfte
des House-Duos Âme, "weil der Schlagzeugbeat loopartig gespielt ist und
sich ihm alles andere unterordnet." Im Hintergrund setzte Dinger immer
wieder Fieldrecordings in die Aufnahmen als Klangelemente ein. So standen
das Plätschern eines Sees oder der Presslufthammersound von einer Baustelle
neben Dingers Nicht-Gesang, seinen in Fantasiesprache hingehauchten
Schlummermelodien.
Dem Ausland blieb die visionäre Kraft von Dinger und Rother nicht
verborgen. "Heroes" von David Bowie zitiert den Neu!-Song "Hero" aus dem
Album "Neu 75". Michael Rother war ursprünglich auch als Gitarrist für die
Bowie-Sessions in Berlin vorgesehen. "Ich war und bin großer Neu!-Fan",
gesteht die Berliner Musikerin, Djane und Labelinhaberin Gudrun Gut
(Malaria!, Oceanclub und Monika Records). "Das Album Neu! 75 habe ich rauf
und runter gehört, dementsprechend sieht das Cover auch heute aus. Es ist
möglich, dass wir das Ausrufezeichen hinter unserem Bandnamen Malaria! von
Neu! hatten", so Gudrun Gut. "Ich mag an Neu!, dass es fast tonlose Musik
ist. Die Tracks sind rhythmisch und ambient zugleich."
In Deutschland wurden vom Neu!-Debütalbum damals 35.000 Alben verkauft, ein
bescheidener Erfolg. Trotzdem verausgabte sich die Band bei den Aufnahmen
für das nachfolgende Werk "Neu! 2", die Aufnahmen wurden aus Zeitgründen
abgebrochen. Dingers Management-Firma "Dingerland", mit der er andere Bands
produzieren wollte, meldete 1974 Bankrott an. "Gegensätzliche
Persönlichkeiten" (Rother) führten dann zu Spannungen und zur Auflösung von
Neu!. Der Streit eskalierte in den Neunzigerjahren, weil Klaus Dinger ohne
Rothers Zustimmung auf zwei Alben bis dahin unveröffentlichte
Neu!-Aufnahmen in Japan herausbrachte.
Erst mit Hilfe von Herbert Grönemeyer konnten die Streitigkeiten der
Musiker beigelegt werden. Grönemeyer war es auch, der die lange
vergriffenen Neu!-Alben offiziell auf seinem eigenen Label Grönland Records
wiederveröffentlichte. Dinger setzte seine mit Neu! begonnene Arbeit 1976
mit der Band La Düsseldorf fort. Zusammen mit seinem Bruder Thomas und
einigen anderen Musikern entstanden so drei Alben mit plakativen, leicht
hysterisch anmutenden Popsongs, die sich sogar in den Charts platzierten.
Dinger sang nun englisch-deutsche Texte, trat als LSD-Diva in Erscheinung,
mit weißem Overall und Seidenschal. Er nahm das Komponisten-Pseudonym
Nikolaus van Rhein an, und seine Songs "Silver Cloud" oder "Cha Cha 2000"
erstreckten sich nun schon mal über eine Plattenseite. Punk und Neue
Deutsche Welle waren damals aber bereits radikaler.
Dennoch, in den Achtzigerjahren erschien auf dem englischen Punklabel
Cherry Red mit "Black Forest Gateau" eine Sammlung der raren
Neu!-Aufnahmen. Die Musik von Dinger wurde neu verortet und bekam mit dem
Aufkommen der Postrockszene in den Neunzigerjahren und Bands wie Stereolab
und Tortoise eine zeitgemäße Entsprechung. "Habe heute Morgen wieder
Schlagzeug gespielt", vermeldet der Produzent und Schlagzeuger von
Tortoise, John McEntire, in einer E-Mail aus Chicago. "Ohne dass es mir
bewusst war, fiel ich in den Beat des Maestros. Paradox, dass ein Rhythmus,
der heute ubiquitär ist und selbstlos wirkt, auf einen Schlagzeuger
zurückfällt. Aber Klaus Dinger ist zweifellos der Erfinder von etwas, das
so elementar ist wie die Luft, die wir atmen. Dingers Vision hat großen
Einfluss auf die Musik der letzten 30 Jahre genommen, und sein Einfluss auf
alles, was Punkrock ist, futuristisch klingt oder einfach der Reduktion von
Rhythmus dient, wird kaum nachlassen."
23 Apr 2008
## AUTOREN
Julian Weber
Julian Weber
## TAGS
Pop
Krautrock
Pop
Krautrock
Nachruf
Konzert
## ARTIKEL ZUM THEMA
Musikszene in Düsseldorf: Glasgow am Rhein ist modern
Düsseldorfs neue Musikszene ist international konkurrenzfähig. Bands wie
Stabil Elite berufen sich auch auf Krautrock-Traditionen.
Abschiedstour von Londoner Stereolab: Gut gealterte Kopfhörersuperhirne
Stereolab kommen auf finale Tour. Ihr stilvoller Pop zitiert auch das
Debütalbum des Krautrockduos Neu!, das nun erneut veröffentlicht wird.
Musiker und Autor Kiev Stingl: Dem Wahnsinn auf der Spur
Kiev Stingl veröffentlicht sein fünftes Album. Eine Begegnung mit dem durch
Punk zivilisierten Außenseiter und Eremiten des deutschen Rock.
Retrospektive von Krautrockband Faust: The great cosmic Krautmusic
Das Hippierockkollektiv Faust war Anfang der 70er Kult im
angloamerikanischen Raum. Eine Box bündelt nun alle Alben – bisher
Unveröffentlichtes inklusive.
Krautrock-Musiker stirbt mit 71: Dieter Moebius ist tot
Mit seinen Bands Cluster und Harmonia gehörte Moebius zu den Pionieren der
elektronischen Musik. Auch die Berliner Studentenrebellion inspirierte ihn.
Neues Album von The Sea And Cake: An den Quellen des reinen Sounds
Die Band The Sea And Cake aus Chicago kommt für drei Konzerte nach
Deutschland. Das passiert nicht so oft.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.