# taz.de -- Ausstellung „David Bowie is“: Vom Stubenhocker zum Popidol | |
> Das Londoner Victoria and Albert Museum eröffnet die Ausstellung „David | |
> Bowie is“. Sie zeigt ihn als zeitgenössischen Künstler. | |
Bild: Cool, unnahbar und vor allem androgyn: David Bowie. | |
LONDON taz | Aufgrund von 50.000 vorverkauften Karten vorzeitig verlängert | |
ist „David Bowie is“ schon vor der Eröffnung die erfolgreichste Ausstellung | |
in der langen Geschichte des Victoria and Albert Museums (V&A). | |
Zwei eher unscheinbare Ausstellungsexponate erklären umstandslos, warum. | |
Iain R. Webb hat in der Zeit von 1972 bis 1976 ein Fanalbum gepflegt, über | |
das er bemerkt: „Zum ersten Mal habe ich David Bowie im Fernsehen gesehen | |
als er ’Starman‘ sang, am 6. Juli 1972 – in der Nacht vor meinem 14. | |
Geburtstag. Was für ein Geschenk! Bowie war all das, was mein Leben in | |
einem beschaulichen Dorf auf dem Land nicht war: außergewöhnlich, exotisch | |
und aufregend.“ Man möchte also hoffen, von den 50.000 vorbestellten Karten | |
mögen doch wenigstens 30.000 an Kids im Alter zwischen 10 und 16 Jahren | |
gegangen sein. | |
Für sie, die heute für Bowie weder nostalgische Gefühlen hegen können, noch | |
ihn für besonders aktuell halten, scheint die Ausstellung wie geschaffen. | |
Denn in ihr wird David Bowie nicht nur in rund 300 Artefakten, | |
handschriftlichen Liedtexten, Fotografien, Gitarren, Filmausschnitten und | |
vor allem über 60 Bühnenkostümen – vom Freddie Burettis | |
Ziggy-Stardust-Anzug bis zum Union Jack Coat, den ihm Alexander McQueen | |
1997 schneiderte – konkret greifbar, sondern es wird auch ein | |
exemplarischer Dandy, Anführer und Aufrührer des Pop sichtbar. Noch immer | |
fasziniert Bowies beispielhafte Figur, will man wissen, wie das geht, die | |
Welt auseinanderzunehmen und nach eigenem Gutdünken wieder neu | |
zusammenzusetzen. | |
Auf einem anderen Fandokument, einem großen Blatt Packpapier mit den | |
sorgfältig ausgeschnittenen und aufgeklebten Lyrics von Bowies 1971 | |
erschienen „Hunky Dory“-Album, steht auf einem weiteren Zettel zu lesen: | |
„Jung sein heißt schlau sein. Jung sein heißt dreist sein. Jungsein heißt | |
auch daneben sein. Jung sein heißt fickerig zu sein, heißt zuweilen | |
Künstler sein … Jung sein heißt den Kippenberger so zu lassen, wie er ist!�… | |
Zugegeben, dieses Blatt ist nicht in London zu sehen. | |
Das V&A stützt sich ganz auf Bowies Archiv, das ihm der Star zugänglich | |
machte. Das Blatt hängt vielmehr in Berlin, in der Ausstellung „Martin | |
Kippenberger: sehr gut, very good“. Doch es fehlt in London, denn es bringt | |
die Frage nach dem Status des Rockstars und Popidols einerseits und dem | |
Status des Künstlers andererseits aufs Tapet, die für die Ausstellung | |
zentral ist. | |
## Bowie als zeitgenössischer Künstler | |
Ihre Kuratoren Victoria Broackes und Geoffrey Marsh von V&A-Department of | |
Theatre and Performance sind sichtlich engagiert, den Blick auf Bowie als | |
zeitgenössischem Künstler zu stärken. Dazu bringen sie sein weit | |
ausgreifendes kulturelles Wissen und Interesse ins Spiel. Immer wieder | |
verweisen sie auf die literarischen, kunsthistorischen oder | |
zeitgeschichtlichen Wurzeln von Bowies Kunstfiguren, wie Major Tom, Ziggy | |
Stardust, Aladdin Sane oder The Thin White Duke, beziehungsweise seiner | |
Bühnenbilder, angefangen bei der „Changes“-Tour 1969 bis zur „Reality“… | |
2003. George Orwells „1984“ (1949) und William S. Burroughs „The Wild Boy… | |
A Book of Dead“ (1971) identifizieren sie etwa als wichtigen Einfluss der | |
„Diamond Dogs“-Tour 1974. | |
Den zeitgenössischen Künstler Kippenberger interessiert dagegen der | |
Rockstar, den er – wie viele damalige Kunsthochschulabsolventen – als | |
integralen Bestandteil seiner Rolle als Künstler für sich reklamiert. | |
Auffällig ist nur, dass er dafür ausgerechnet Bowie zitiert, dessen | |
Coolness, Unnahbarkeit und vor allem Androgynität, also kunstvolle | |
Vermeidung jeder machohaften Sexualität, ein einziger Gegenentwurf zu | |
seinem eigenem Lebensstil ist. | |
Aber das ist es eben, was Bowie so groß, ja übergroß macht: Dass er | |
Zumutungen in die Welt setzt, die von der Welt als solche nicht wahr-, | |
sondern vielmehr als freudige Überraschungen angenommen werden, und die | |
damit umso nachhaltigere Wirkung haben. Dass absolut straighte | |
Bowie-Verehrer in den 70er Jahren mit Make-up zur Schule gingen, hat in den | |
80er Jahren der Aidskrise eine neue liberale Einstellung zu den Forderungen | |
der Schwulenbewegung und den Fragen der Genderpolitik gewiss befördert. | |
Auch in der Ausstellung kommen einem die Dinge leichthin entgegen, obwohl | |
über weite Strecken das Pathos einer nur durch die Lichtregie gezielter | |
Scheinwerfer erhellten Dunkelheit herrscht. Glücklicherweise bekommt man | |
mit dem Ticket auch das Gegengift dazu aufs Ohr. Denn zusammen mit dem | |
Hannoveraner Audiospezialisten Sennheiser hat das Team des V&A einen | |
absolut perfekt auf den jeweiligen Standort reagierenden Audioguide aus | |
Musik, Interviewausschnitten und Erläuterungen entworfen, der entschieden | |
zur Erhellung der jeweiligen Situation beiträgt. | |
Besonders im letzten Raum, auf dessen geschätzt mindestens zehn Meter hohen | |
Wänden große Stadionauftritte Bowies – etwa mit „Heroes“ – projiziert | |
werden, erzeugt die Kombination von Kopfhörer und Raumlautsprechern ein | |
3-D-Hören, das einen wirklich abheben lässt. State of the Art gelingt den | |
Ausstellungsmacher in diesem Raum endlich die Gottwerdung Bowies. | |
## Vorstadtkind und Stubenhocker | |
Am Anfang des Rundgangs begegnet man natürlich erst einmal dem Menschen | |
David Robert Haywood Jones, dem 1947 geboren Vorstadtkind und sensiblen | |
Stubenhocker, der dann früh die Musik für sich entdeckt. Mit 15 Jahren | |
singt und spielt er Saxofon in der Band The Konrads. 1965 wird er David | |
Bowie, 1969 landet er mit „Space Oddity“ einen Riesenhit. Das klingt nach | |
einer rasanten Karriere. Für einen Frühstarter wie ihn bedeutet das | |
allerdings doch lange Jahre, in denen er sich mit dem Theater und der | |
Schauspielerei auseinandersetzt und wichtige Erfahrung mit dem | |
Bühnenauftritt gewinnt, bis er dann mit dem Album „The Rise and Fall of | |
Ziggy Stardust and the Spiders from Mars“ weltweit berühmt wird. | |
Die chronologische Abfolge, „Diamand Dogs“ 1974, der Umzug nach New York | |
und „Young Americans“ 1975, sein Filmauftritt in Nicolas Roegs „Der Mann, | |
der vom Himmel fiel“ 1976, Los Angeles und die Produktion von „Station to | |
Station“ im gleichen Jahr, wird in Kostümgruppen oder in Themenräumen, wie | |
Bowie der Schauspieler, aufgebrochen. Die Berliner Jahre bilden einen | |
eigenen Raum mit dem Video zu „Where Are We Now“ als Hintergrundprojektion. | |
Das Plattencover zu „The Next Days“, der Sensation des Popjahrs 2013, ist | |
dann aber wieder in einer eigenen Nische sämtlicher Plattencover zu finden: | |
Zehn Jahre liegt „Reality“, das letzte Album, zurück. Mit dieser Art | |
Ausstellungsführung gelingt den Kuratoren ein kurzweiliger Parcours, der | |
immer wieder eigene Schleifen und Rückkopplungen provoziert. | |
Der Fan, der dann doch den Künstler, also das Popidol im Werden entdecken | |
will, sollte seinen Rundgang nach Soho ausdehnen, wo Bowie in der Zeit | |
zwischen 65 und 73 abhing. Das Coverfoto zu „Ziggy Stardust“ 1972 entstand | |
etwa in der Heddon Street 23, einer kleinen Nebenstraße der Regent Street, | |
wo im Café Royale Ziggys Totenwache stattfand, nachdem er am 3. Juli 1973 | |
auf der Bühne des Hammersmith Odeon gestorben war – ein bis dato in der | |
Popszene unerhörter Vorgang. Das aber konnte eben nur David Bowie. | |
Bis 11. August, [1][Victoria and Albert Museum] (V&A), London. Katalog 25 | |
£. Talks mit u. a. Boy George oder Jon Savage | |
23 Mar 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://www.vam.ac.uk/ | |
## AUTOREN | |
Brigitte Werneburg | |
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