| # taz.de -- Glam-Ausstellung in Frankfurt: „Glam sagt, das kann ich auch“ | |
| > Darren Pih, Kurator der Schau „Glam – The Performance of Style“, über … | |
| > Relevanz des Jugend-Phänomens Glam in Kunst, Pop und Mode. | |
| Bild: Roxy Music, 1972 – der Prototyp der Art-School-Band: Klappt doch prima … | |
| taz: Was bedeutet Glam? | |
| Darren Pih: Glam ist eine Sensibilität, eine Haltung, eine Art, über | |
| Identität nachzudenken. Glam ist ein extravaganter Stil, campy, künstlich | |
| und androgyn. Da kommen mehrere Dinge zusammen: Kunst, Mode und Musik, | |
| exemplarisch bei Roxy Music, der Prototyp der Art-School-Band. Glam ist ein | |
| Produkt dieser Kunstschulen, in London etwa, wo der Maler David Hockney und | |
| der Designer Anthony Price studiert haben. | |
| Glamour, hat Diedrich Diederichsen einmal gesagt, könne nicht | |
| selbstreflexiv sein, weil er im Herzen der Kulturindustrie entsteht. Kann | |
| man Glam am Reißbrett entwerfen? | |
| No! | |
| Warum nicht? | |
| Weil Glam das Resultat aus unterschiedlichen Entwicklungen ist. Es gibt | |
| Spuren von Glam in den Sechzigern in Warhols Factory, in der Kunst von Jack | |
| Smith, den Anfängen von Performance-Kunst, im Dandyismus. Es gibt | |
| Verbindungen zur Identitätspolitik der Sechziger, also Feminismus und | |
| Schwulenbewegung. Glam war eine Fortsetzung verschiedenster | |
| Befreiungstendenzen und Bewegungen der Sechziger, man könnte sagen, dass | |
| die Sechziger erst 1973 zu Ende gingen, mit dem Höhepunkt von Glam-Rock. | |
| Warum enden die Sechziger ausgerechnet 1973? | |
| Ich sehe Glam als späte Manifestation von Psychedelia, ein exzessiver, | |
| bewusst übertreibender Style. Die Schlüsselfiguren wie Warhol, Bowie und | |
| Bryan Ferry waren schon in den Sechzigern präsent. Als Glamrock zu Ende | |
| ging, 73, 74, da hatten sie ihre jeweiligen Personas gekillt und neue | |
| Identitäten angenommen, Bowie hatte Ziggy Stardust sterben lassen. 1973 war | |
| auch das Jahr, in dem die Amerikaner aus Vietnam rausgingen. | |
| Durch die Rotunde der Schirn fliegen Andy Warhols Silver Clouds, drinnen | |
| zeigen Sie seine frühen Modezeichnungen, Filme mit Velvet Underground in | |
| der Factory. Glam avant la lettre? | |
| Exakt. Wir zeigen auch einen Film von Bowies Besuch in der Factory. „I | |
| don’t like your hair, but I like your shoes“, soll Warhol zu Bowie gesagt | |
| haben – der ging dann gleich zum Friseur. Bowie nahm etwas mit aus der New | |
| Yorker-Avantgarde-Kunst der Sechziger und überführte es in die | |
| Pop-Massenkultur, als er Ziggy Stardust erschuf. | |
| Bowie mal Aladdin Sane, mal Ziggy Stardust, Marc Bolan, Sternenstaub auf | |
| den Wangen, im Glitter-Anzug, Bryan Ferry in Gold-Lamé, Brian Eno mit | |
| Federboa. Glam war ein großer Maskenball. Auch eine Vorwegnahme der Gender- | |
| und Identitätsdebatten der 90er Jahre? | |
| Es gab die Idee, dass Gender etwas Konstruiertes ist, dass der Gegensatz | |
| der Geschlechter nicht naturgegeben ist, dass man sich als Person erfinden | |
| kann, all das wurde im Glam vorweggenommen und das hat ihn für Künstler | |
| interessant gemacht. Nehmen Sie Katharina Sieverdings Arbeit „Transformer“, | |
| benannt nach der gleichnamigen Ausstellung, die Jean Christophe Ammann 1974 | |
| in Lausanne kuratiert hatte (während Lou Reed einen weiteren „Transformer“ | |
| ins Rennen schickt, K. W.). Da problematisiert sie den Gegensatz von | |
| männlich und weiblich, die Gender-Ambivalenz. Bei der großräumigen | |
| Video-Installation morpht Sieverdings Gesicht in das Gesicht ihres | |
| männliches Partners Klaus Mettig. Das machte Glam so kraftvoll, die | |
| Entdeckung, dass man Identität konstruieren kann, dass man sich in der | |
| Kunst neu erfinden kann. | |
| Sich neu erfinden? In den siebziger Jahren mag das ja noch ein Versprechen | |
| gewesen sein. Heute ist es ein Imperativ. | |
| Na ja, Glam hat eben einiges vorweggenommen, das Posing, das Erfinden einer | |
| Persona, das gab es später auch in der Punk-Explosion. Anfang der Achtziger | |
| bei den New Romantics wurden viele Motive des Glam wieder aufgenommen. | |
| Glam war eine der wenigen Pop-Epochen, die von der | |
| Tabula-rasa-Kahlschlags-Rhetorik der Punk-Revolte verschont blieb. Wie | |
| sehen Sie das Verhältnis von Glam zu Punk? | |
| Ich bin nicht der Auffassung, dass Punk die einzige relevante | |
| popmusikalische Bewegung der Siebziger war. Punk war mehr auf Abgrenzung | |
| aus, provokativer, exklusiver. Das fing mit hundert Leuten in London an, du | |
| musstest dir eine Sicherheitsnadel durch die Nase stechen, Speed nehmen, | |
| wütend sein. Glam dagegen war ein gesellschaftliches Re-Tuning, ein | |
| Katalysator für persönliche und soziale Transformationen. Glam war offener | |
| und hat mehr Leute eingeschlossen. Du siehst Künstler im Fernsehen und | |
| denkst, das kann ich auch, wenn ich das nächste Mal ausgehe, dann trage ich | |
| Make-up und dann werde ich mehr wie ich selbst. Oder ich verkörpere (adopt) | |
| eine andere Persona. Künstlerinnen wie Katharina Sieverding oder Jürgen | |
| Klauke hatten zur selben Zeit ähnliche Ideen. So gesehen war Glam | |
| bedeutender als Punk. | |
| War Glam auch offener und durchlässiger, was Klassengrenzen angeht? | |
| Unbedingt, das war konstitutiv für die Pop-Explosion. Außerdem hat Glam die | |
| Provinz erreicht, das ist schön zu sehen in „Roxette“, dem Film von John | |
| McManus von 1977. Eine Hommage an Roxy Music, du siehst ihre Fans beim | |
| Dressing-up, Roxy Music als Medium der Transformation. Und im Hintergrund | |
| die hässlichen Industrielandschaften des englischen Nordens. Immer wieder: | |
| Glam – Katalysator für Re-Invention. | |
| War Glam ein weißes Phänomen? | |
| Weiß? Na ja, es gibt viele Glam-Elemente in der schwarzen Kultur, auch | |
| Little Richard oder Jimi Hendrix hätten reingepasst, aber man muss sich | |
| eben beschränken. | |
| Welchen zeitlichen Rahmen haben Sie sich gegeben? | |
| Die frühesten Werke sind Warhols Modezeichnungen aus den mittleren | |
| Fünfzigern, die Kernphase sind die Sechziger und Siebziger mit Richard | |
| Hamilton, bei dem Bryan Ferry studierte, Jürgen Klauke, Andrew Logan mit | |
| seiner androgynen „Alternative Miss World“-Selbstinszenierung, Cindy | |
| Shermans und Eleanor Antins Selbsverwandlungskünste, Derek Jarmans | |
| Film-Essays auf Super 8 und, und, und – Glam war international, in London | |
| hatten sie ähnliche Ideen wie in New York oder Köln, sie wollten ähnliche | |
| soziale und politische Veränderungen. It was fine arts ideas at the | |
| frontface of pop culture. | |
| Glamrock ist Geschichte, aber Glam? | |
| Glam ist nie ganz verschwunden und Glam ist definitiv im Hier und Jetzt. | |
| Wenn du heute auf Lady Gaga oder Goldfrapp schaust, die Patina, das | |
| Make-up, die Modenschauen, der Style hat noch Dringlichkeit. | |
| Haben Sie nicht daran gedacht, heutige Erben von Glam zu zeigen? | |
| Künstlerinnen, die mit queeren Strategien arbeiten, Coco Rosie, Peaches, | |
| Kumbia Queers oder Antony Hegarty. Antony bezieht sich ja ausdrücklich auf | |
| Jack Smith und das Theatre of The Ridiculous, er hat „Candy Darling on her | |
| deathbed“, Peter Hujars berühmtes Foto von Andy Warhols Trans-Star auf dem | |
| Totenbett, als Album-Cover verwendet? | |
| Jaja, das Peter-Hujar-Foto von Candy zeigen wir, es demonstriert, warum | |
| Glam als Performance von Style so bedeutend ist, Candy Darling auf ihrem – | |
| oder seinem – Totenbett, und sie performt immer noch. Performance never | |
| ends. | |
| 22 Jun 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Klaus Walter | |
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