# taz.de -- Barbra Streisand in Berlin: Enough is not enough | |
> 12.000 Zuschauer bei einem fast intimen Clubkonzert. Der Star im güldenen | |
> Glanz, das Programm grandios wie immer – mit beinah all ihren Hits. | |
Bild: Eine Diva? Wer, wenn nicht sie! | |
BERLIN taz | Auf Facebook schrieb ein Freund zuvor, dass er sie beim | |
Konzert in Köln erlebt habe. Es muss elysisch gewesen sein, wörtlich führte | |
er aus: „Die Lichtshow war atemraubend. Dass sie alles abliest und selbst | |
die Dialoge einstudiert sind, merkt man nicht. Wirkt alles spontan und sehr | |
unterhaltsam. Die Eintrittspreise waren so Science Fiction, dass ich mir am | |
nächsten Tag auch gleich noch Star Trek ‚Into Darkness‘ anschaute, um | |
wieder Bodenhaftung zu bekommen.“ | |
Konnte das wahr sein? Ist es möglich, in der doch allzu reinlich wirkenden, | |
definitiv nicht glamourösen O2-Arena im Vergnügungsviertel rund um die | |
Warschauer Brücke ein Konzert zu geben, das Ticketpreise bis knapp an den | |
vierstelligen Eurobereich rechtfertigt? | |
Man muss es so beantworten, und zwar auch im Hinblick auf eventuell | |
Interessierte, die sich momentan spontan überlegen, zum 20. Juni nach Tel | |
Aviv zu reisen, zur letzten Station ihrer kleinen Fünfortetournee durch | |
Europa (London, Amsterdam, Köln und Berlin) und Israel: Ja. | |
Es liegt natürlich auch an den Liedern dieses Konzerts, das die New York | |
Times vorigen Herbst eine [1][„Sentimental Journal“] hieß. Obwohl die seit | |
Jahrzehnten, seit dem Central Park-Konzert in den Sechzigern, eigentlich | |
die immergleichen sind. Einige sind natürlich neu, aber das ästhetische | |
Rückgrat ist geblieben. „Happy Days Are Here Again“, „People“ aus den | |
Sixties, dann Stephen Sontheims „Send In The Clowns“, „Woman In Love“ (… | |
sie, wie sie bekannte, nicht gern singt, aber in Deutschland | |
außergewöhnlich populär ist), Broadwayklassiker wie „Somewhere“ oder | |
„Didn't We“, schließlich ihr Diskobrummer (mit Donna Summer) „Enough Is | |
Enough“ aus dem Jahre 1978 - und noch einige mehr. | |
## Die Hütte war so gut wie ausverkauft | |
Aber: Ein Song nach dem nächsten erntete wärmsten Applaus aller in der | |
Halle. So ist eben ihr Repertoire, „Back To Brooklyn“, wie sie ihre Tour | |
nannte, eine Verneigung vor ihren jüdisch-amerikanischen Wurzeln in jenem | |
Viertel New York Citys, in dem sie aufwuchs, wo sie von Ruhm und Geltung | |
träumte - und von aus sie startete zu jener Karriere, die offenbar diese | |
Ticketpreise begründen. Die Hütte war nämlich so wie gut ausverkuaft. | |
In der Pause sah man über den Platz vor der Halle zwei Zuschauer, ein | |
männlich-weibliches Paar, offenbar desinteressiert gehen. Die Billetts | |
warfen sie in den Papierkorb, das eine verfehlte die Mündung des Eimers, es | |
flog über den Asphalt. Vom Raucherbalkon sahen ihnen Menschen zu. Alle | |
guckten, als riefen beide Gehenden ein starkes Rätsel auf. Was mag sie als | |
einzige unter diesen 12.000 enttäuscht haben? | |
Doch was faszinierte? Dass sie da war. Ein Frau, die im güldenen Fummel das | |
Konzert begann, die unentwegt zwischen den Liedern etwas sagte, die | |
scherzte, das sogar ausgesprochen angenehm, die zugebenermaßen vom | |
Teleprompter ablas, wobei man selbst auf den 228-Euro-Plätzen nicht sah, wo | |
dieser aufgehängt war. Eine Frau, die niemals auch nur eine Sekunde eine an | |
den üblichen Kriterien gemessen Schönheit war - und die man doch, mit allen | |
Bildern, wie man kennt, als sexy bezeichnen muss. | |
Da hat eine Timing und somit auch Erotik - und es war hübsch zu sehen, wie | |
sie ihren Sohn Jason Gould noch auf der Bühne wie einen Sohn behandelte, | |
so, als brauchte er das mütterliche Streicheln über die rechte Wange zur | |
Aufmunterung. Auch, schon ganz am Ende, die Stiefschwester, die für ein | |
Lied die Rolle Tony Bennetts übernahm, begleitete sie, als brauchte sie | |
massel tov. | |
Die Streisand, das ist offenbar die Kunst, selbst in der O2-Arena ein | |
Momentum von Nähe und, ja, Intimität herzustellen. Ist natürlich eine | |
Illusion - und wieso muss man dies überhaupt schreiben? Klar ist man nicht | |
allein bei dieser „Show“ (Streisand) mit ihr, selbstverständlich ist das | |
auch Business des Entertainments - aber man kann großspuriger, protziger | |
performen, etwa wenn andere Veteranen wie die Stones, Tina Turner oder Paul | |
McCartney konzertieren. | |
## Die gute alte Freundin | |
Die Streisand bekannte neulich ihn einem Interview, sie sei keine Diva. Ja, | |
wer denn, wenn nicht sie? Aber man empfand doch eben keine Entrücktheit mit | |
ihr, eher die gute alte Freundin, die etwas in die Jahre gekommen ist, in | |
den mittleren Lagen leicht heisert, in den Belcantopassagen aber 1a | |
phrasiert. Das ist ihre Kunst: Das Leise nicht aufzublasen. Sie kann, was | |
sie immer konnte. Ein Lied mit keiner Note dem Kitsch auszuliefern. Und | |
scherzt sie, klingt es so, als hörte man eine Freundin im Café flachsen: | |
Warum sie denn nicht beim schwulesbischen Stadtfest auftrete? „Warum muss | |
ich denn? Ist doch schon hier?“ Beifall einmal mehr. | |
Eine gute Stunde vor Mitternacht geht sie letztmals hinter die Kulisse, | |
ohne wiederzukommen. Licht an. Man musste noch grübeln, nach diesem 98. | |
Livekonzert der Streisand ever: Sagte sie nicht, „never“ solle man nie | |
sagen, aber da sie nur alle sechs Jahre auf Tournee gehe, würde sie meinen, | |
das sei nun ihre letzte. Doch man wisse natürlich... Applaus. | |
Dann wird sie, die von halbweitem wie eine etwas wackelige Enddreißigerin | |
aussah, die nach dem Güldenem noch ein Paillettenhosenanzug in Schwarz trug | |
und ein rotes Priesterinnengewand, hoch in den Siebzigern sein. | |
Möglicherweise bräuchte sie dann für ihren Barhocker, auf dem sie gern | |
Platz nahm, Lehnen. Wenn schon! | |
*** | |
Der Autor hat als Journalist beide benötigten Tickets für dieses Konzert | |
selbst gekauft. Er hat nie geglaubt, eine Produktenttäuschung erleben zu | |
können. | |
17 Jun 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://www.nytimes.com/2012/10/13/arts/music/a-sentimental-and-glorious-bro… | |
## AUTOREN | |
Jan Feddersen | |
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