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# taz.de -- Peaches über ihr neues Album „Rub“: „Das eigene Begehren ane…
> Die kanadische Sängerin und Produzentin Peaches lässt in ihren Videos
> Laserstrahlen aus Hintern leuchten. Auch ihre Musik basiert stark auf
> Körperlichkeit.
Bild: Der Körper ist kein Käfig, findet Peaches. Vielleicht trägt sie deshal…
taz: Peaches, man hört Sie auf Ihrem neuen Album „Rub“ sprechen, shouten,
rappen – aber selten klassisch singen, so wie Sie es etwa im Bühnenstück
„Peaches Christ Superstar“ getan haben. War die Entscheidung für den
Sprechgesang bewusst?
Peaches: Von Beginn an war es wichtig für mich, niemals zu singen. Ich
wollte nicht, dass Zuhörer sagen: „Wie hübsch sie singt.“ Ich wollte, dass
diese andere Atmosphäre durch meinen Sprechgesang rüberkommt und eben nicht
durch „schönen“ weiblichen Gesang.
Und das ist bis heute so?
Es ist auch einfach der Peaches-Style! Und ich finde, mein Stil
funktioniert so, wie er ist.
Ihr neues Album heißt schlicht und einfach „Rub“ („reiben“). Warum?
Gut, dass Sie das Wort mit weichem b aussprechen. Die meisten Deutschen
sagen „Rapp“. Man kann es auch sehr faul aussprechen: „roooob“, das mac…
es ein bisschen sexyer, müde, wie es sich hinter den Beat legt … Ich mag
das Wort. „Rub“ hat verschiedene Bedeutungen: Man kann jemanden sanft
anstupsen, um zu flirten, aber man kann sich auch an jemandem reiben. In
dieser Doppeldeutigkeit sehen die Leute mich und meine Kunst auch; also auf
der einen Seite denken sie an etwas Inklusives, auf der anderen Seite an
etwas Horrendes.
Sexualität ist Oberthema auf „Rub“. Beschäftigen Sie sich viel mit „fre…
Sexualität?
Nicht in diesem Hippie-Sinne: „Alle sollen Sex miteinander haben.“ Nein, es
geht mir um die Frage, was wir zum Leben brauchen. Wir sollten unser
Begehren und unsere Bedürfnisse als sexuelle Wesen anerkennen. Tust du das
nicht, verstellt es dir viele Wege. In fundamentalistischen Zusammenhängen
erleben wir immer noch, dass man so und so zu sein hat; der „Wert der
Familie“ wird betont. Wer vom Wert der Familie spricht, tut so, als gelte
dies für alle, aber das ist natürlich nicht der Fall – es ist eine sehr
patriarchale Denkweise.
Als Künstlerin haben Sie seit Ihrem Solodebüt in Ihren Songs stets
Geschlechtergrenzen überschritten. Gender und Identität wird heute breiter
diskutiert als je zuvor, überhaupt nicht vergleichbar etwa mit der Zeit,
als David Bowie durch seine Androgynität bekannt wurde. Ein Erfolg?
Einerseits ja, das fühlt sich an wie ein Sieg, andererseits muss man sich
Sorgen machen, dass es nur ein Trend sein könnte. Etwas, das sich gut in
den Medien macht. Besonders, was transsexuelle Menschen betrifft, verkauft
sich das natürlich gut: „Guckt euch an, er war ein Mann und nun ist er eine
Frau!“ Aber man sollte es nicht als packende Geschichte oder als etwas
Freakiges ansehen, sondern als selbstverständlich.
Erleben wir in der Genderdebatte doch positive Folgen der versuchten
sexuellen Befreiung von 68?
Nein, ich glaube, heute prallen in vielerlei Hinsicht einfach heftigere
Positionen aufeinander. Es gibt mehr Erzkonservative, mehr Hassverbrechen,
mehr Extremisten – und, ja, zugleich auch mehr sexuelle Freiheit. Alles ist
möglich. Außerdem kann man ungestört in seiner eigenen kleinen Welt
bleiben, das funktioniert selbst in Zeiten des Internets. Es gibt heute
unzählige Subkulturen und Sub-Weltanschauungen. Genderidentität ist auf
jeden Fall ein trendy Thema. Es ist die perfekte Zeit, um Peaches zu sein…
Die Leute wollen mit mir reden.
Das erste Video zum neuen Album, [1][“Light in Places“], thematisiert Sex
und Körperlichkeit: Man sieht die Performancekünstlerin Empress Stah wie
eine Trapezkünstlerin durch die Lüfte schweben, es gibt sehr viele
Close-up-Aufnahmen ihres nackten Pos, ein Laserpointer kommt aus ihrem
Anus. „Liberate en masse / Eliminate the class / All humans, free at last /
So much beauty coming out of my ass“, sprechen Sie dazu.
Oha, es ist kein Laserpointer, es sind Laser, die über Midi-Control
funktionieren. Und es ist mit der Musik abgestimmt, es funktioniert mit der
Musik zusammen.
Feiern Sie mit dem Video den menschlichen Körper?
Gut, dass Sie vom Feiern des Körpers sprechen – denn es geht mir nicht
darum, transgressiv zu sein. Es ist sehr wichtig, den eigenen Körper zu
verstehen und sich in der eigenen Haut wohl zu fühlen, nicht nur in
sexuellem Sinne; egal, wie maskulin und feminin man ist, die Fluidität zu
akzeptieren – sodass man sich nicht wie in einem Käfig fühlt. Und, auch da:
Wenn man noch heute in den Bereich der organisierten Religion oder zu
konservativen Kreisen schaut, so deutet dort vieles in eine Richtung, sich
nicht mit seinem Körper im Einklang fühlen zu können.
Es geht in dem Song aber auch um Disziplin oder Kontrolle über den Körper.
Ja. Und auch, wie wir auf gewisse Körperregionen blicken, zum Beispiel den
Anus. Er ist natürlich ein Körperteil, der viel mit Anti-Schwulen-Gesetzen
zu tun hat – es gibt so viel Kontroversen darum in vielen verschiedenen
Arten und Weisen. Manche werden das Video als krass, schräg oder empörend
empfinden, seine ästhetische Bedeutung ist unbestritten.
Das Video zu [2][“Close Up“] ist mit Kim Gordon aufgenommen – und ist auch
sehr körperbetont. Sie steigen dort in den Ring und boxen.
Ja, das ist eine andere Seite von mir. Beide Songs und ihre
Videoinszenierungen basieren stark auf Körperlichkeit.
Haben Sie zuvor schon mit Kim Gordon zusammengearbeitet?
Nein, wir sind Freunde, wir kannten uns bisher nur von Festivals. Sie
besuchte mich und hörte den Track – nicht gerade ein Kim-Gordon-Song. Dann
kam sie mit der Hookline – und es fühlte sich so an wie in dem
Sonic-Youth-Song „Kool Thing“, bei dem der Rapper Chuck D. von Public Enemy
mitsingt. Sie war nun mein Chuck D. in diesem Song. Es gibt auch noch ein
drittes Video, zum Song [3][“Dick in The Air“]. Das ist das lustigste und
lächerlichste von allen.Es soll ein Video zu jedem Song des Albums geben.
Zu jedem der elf Songs?
Ja, ich versuche es! Es ist wirklich eine traurige Situation, wenn du die
Arbeit an einem Album abgeschlossen hast: „Oh, it’s over!“ Man wartet nur,
die Songs live zu spielen; von daher ist es gut, in der Zwischenzeit in
einer anderen Art und Weise an den Songs zu arbeiten.
Lassen Sie uns über die Musik auf „Rub“ sprechen. Was hat sich musikalisch
geändert?
Es fühlte sich an, als wäre dies das „Teaches of Peaches“-Album [Ihr Deb�…
als Peaches von 2000, Anm. d. Red.], wie ich es schon damals gern gemacht
hätte. Die Sounds haben Tiefe. Es ist immer noch ein rauer Klang, aber in
High Fidelity. Für mich ist eine fette Bassdrum wichtig. Jeder Sound hat
nun auch genau den Platz, den er haben soll. Gleichzeitig klingt es sehr
spartanisch. Das passt zum derzeit grassierenden Minimalismus etwa beim
Trap-Sound.
Was unterscheidet die Peaches heute von der im Jahr 2000?
Als ich „The Teaches of Peaches“ gemacht habe, hatte ich keine Ahnung von
Poptraditionen. Ich wusste nichts über Sounds, nichts über Chicago House.
Ich hab einfach nur Beats produziert. Bis ich mehr über diese Musik lernte.
Heute ist es nicht nur textlich und politisch, sondern auch musikalisch
eine sehr gute Zeit, um Peaches zu sein.
Was war an der Produktion anders als früher?
„Rub“ ist komplett am Computer produziert. Es hat sehr deepe, volle Töne.
Unsere nerdigen Freunde fragten schon: „Hey, was benutzt ihr da?“ Wir
sagten: „Nichts. Nur Synthesizer-Software.“ Mein Studio besteht nur aus
einem Computer, zwei Lautsprechern – und einem Mikrofon.
Das Finale des Albums heißt „I mean something“. Sie sprechen die Zeile sehr
betont: „No matter, how old, how young, how sick / I mean something“. Geht
es da um Repräsentationen von Macht und Machtlosigkeit?
Ja, in gewisser Weise. Ich habe eine Schwester, die an multipler Sklerose
erkrankt ist. Ich denke viel über sie nach. Darüber, wie stark sie ist. Sie
ist kognitiv nicht beeinträchtigt, sie hat eine fantastische Einstellung
zum Leben, aber sie kann nicht reisen, sie braucht 24-Stunden-Pflege. Auf
der anderen Seite ist es ein sehr poppiger Song. Es soll ein Song für jeden
und für jede sein. Es ist eben egal, wer und wie du bist, du musst nicht
irgendeinen besonderen Weg einschlagen, um etwas darzustellen.
22 Sep 2015
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=pHD2QqjcnR4
[2] https://www.youtube.com/watch?v=-rnJAe3zuzQ
[3] https://www.youtube.com/watch?v=Yh_57nQFSEg
## AUTOREN
Jens Uthoff
## TAGS
Pop
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