| # taz.de -- Neues Album von Devendra Banhart: Stimme wie eine missbrauchte Ziege | |
| > Der US-Singer-Songwriter Devendra Banhart über Songideen zu Unzeiten, | |
| > Punkrock als ultimative Form von Courage und die Angst, als Purist zu | |
| > gelten. | |
| Bild: Fühlt sich jetzt schon alt: Devendra Banhart | |
| taz: Herr Banhart, letztes Mal, als ich Sie per Telefon interviewte, | |
| sprachen Sie über die Renaissance in Rumänien, Scheiße von einbeinigen | |
| Tauben und die ganzheitliche Zahnpasta von Dr. Hauschka. | |
| Devendra Banhart: Ich erinnere mich gut, unser Gespräch mochte ich, nein, | |
| ich bewunderte es sehr. Das Interview fand in gelöster, beinahe göttlicher | |
| Atmosphäre statt. Um ehrlich zu sein, womöglich habe ich das Telefon jemand | |
| anderes gereicht, der statt meiner geredet hat. War nett, mit Ihnen | |
| gesprochen zu haben! | |
| Danke! Ich möchte Ihnen das Kompliment zurückgeben. Ich finde, auf Ihrem | |
| neuen Album „Mala“ klingt Ihre Stimme wie die einer meckernden Ziege. | |
| Oh ja! Das hätten Sie ruhig noch ausführlicher beschreiben können, lieber | |
| Freund. Meine Stimme klingt ja nicht nach irgendeiner Ziege, sondern nach | |
| einer Bergziege, die gerade auf einer Alm missbraucht wird und um Hilfe | |
| schreit. Inzwischen habe ich mich mit meiner Stimme abgefunden. | |
| Ich fühle mich auch nicht wie ein Sänger, obwohl mir das Singen liegt. Fakt | |
| ist, meine Lieblingssänger sind in der Lage, etwas zu kommunizieren, das | |
| nachhallt. Sie entwickeln etwas Größeres als nur den reinen Gesang. Manche | |
| dieser SängerInnen können auch laut werden, nehmen wir Diamanda Galas oder | |
| Patti Waters. Ganz oben steht Chet Baker, den liebe ich sehr. | |
| Ihre Stimme ist in den 14 Songs auf „Mala“ eingebettet in sparsame | |
| Arrangements. Ein oder zwei Gitarren, Synthesizer, Drums und Bass. Die | |
| Geschwindigkeit der Songs ist träge, die Atmosphäre fast aufreizend | |
| gelassen. Das weckt sofort Erinnerungen an die pastorale Stimmung von | |
| Folkmusik. | |
| Der einzige Song, auf den Ihre Interpretation zutrifft, ist das | |
| Instrumental „The Ballad of Keenan Milton“. Finden Sie wirklich, dass die | |
| anderen Songs nach einem lahmen Nachmittag auf der Veranda in einem Dorf | |
| klingen? | |
| Die Songs klingen aufreizend lässig, hatte ich gesagt. | |
| Das würde mir nie in den Sinn kommen. Wirklich? Soll mir recht sein. Cool. | |
| Großartig. Neulich hat jemand zu mir gesagt, die Zeichnung auf dem | |
| Albumcover sieht aus wie eine Seekuh. | |
| Ich meinte, auf Ihrer Zeichnung eine Tasse zu erkennen. | |
| Genau, die Zeichnung ist figurativ. Nicht abstrakt. Natürlich habe ich der | |
| Interpretation Tür und Tor geöffnet. Es ist ein Tasse, belassen wir es | |
| dabei. Aber in Wahrheit möchte ich nicht sagen, was genau sie darstellt, | |
| denn sie schaut trotzdem aus wie ein Vogel Strauß in der Menopause. Oder | |
| wie zehn Rollerblades in einer Auster. Egal, wenn mein Album aufreizend | |
| lässig klingt, dann nur deshalb, weil ich alt und faul bin. | |
| Jetzt möchte ich erst recht auf die pastorale Anmutung in Ihrer Musik zu | |
| sprechen kommen. Mit Folkmusik assoziiert man allgemein das flache Land, | |
| den weiten Raum. Ihre Version von Folk erzählt aber etwas ganz anderes. | |
| Finden Sie wirklich, dass „Mala“ ein Folkalbum ist? | |
| Auf perverse Art ja. | |
| Die wahre Folkmusik von heute ist HipHop. Sie interpretieren also ein Album | |
| als Folk, das mit E-Gitarren, Drums, Synthesizern und Bass eingespielt ist. | |
| Seit wann dürfen Folkies keine elektrischen Instrumente mehr benutzen? | |
| Gut. Wenn Sie entscheiden, dass der A-cappella-Gute-Nacht-Song Ihrer Oma | |
| Punkrock ist, dann lasse ich „Mala“ auch als Folkalbum durchgehen. Aber | |
| eins möchte ich klarstellen, wenn Folk so viel bedeutet wie akustische | |
| Instrumente und Volkslieder, dann bin ich raus. Und meine große Angst ist, | |
| als Purist gebrandmarkt zu werden. Meine Musik reflektiert nichts davon. | |
| Aber zurück zu Punk. Es ist keine Ästhetik, kein Musikstil. Punk bedeutet | |
| in Wahrheit Courage. Wenn man sagt, dies oder jenes ist Punk, dann bedeutet | |
| es, etwas ist furchtlos. Sie wissen ja, von was ich spreche. | |
| Ihr Songtitel „Hatchet Wound“ („Streitaxtwunde“) klingt für meinen Beg… | |
| ziemlich punkig. | |
| Dann hätte ich ihn mal lieber „Pussy“ taufen sollen. Oder „Pussy, Pussy, | |
| Pussy“, das wäre richtig Punk … | |
| Moment, wenn Sie sich nun auf Punk beziehen, frage ich mich, wo liegt die | |
| Aggression in Ihrer Musik? | |
| Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, ich finde Klaviermusik von Harold | |
| Budd viel eher Punk als die Musik der Subhumans. | |
| Sprechen Sie von den kanadischen oder den britischen Subhumans? | |
| Von den mongolischen Subhumans. Ich fand „Penis Envy“ von Crass war das | |
| ultimative Punk-Album. Dafür habe ich immer Prügel bezogen. An der | |
| Highschool in Kalifornien galt ich als seltsame Schwuchtel, die „Penis | |
| Envy“ mochte. Wo ist die Aggression? Es gibt einfach keine Aggression in | |
| meiner Musik! Außerdem einen Mangel an Enthusiasmus, viel Selbstmitleid und | |
| reichlich Schamgefühl. | |
| Warum bezieht „Mala“ Außengeräusche in das Klangbild ein? | |
| Sie meinen die Sirene eines Krankenwagens in dem Song „The Ballad of Milton | |
| Keenan“. Meine Wohnung liegt nahe an einem Krankenhaus. Und meine guten | |
| Songs entstehen immer zur unmöglichsten Zeit: Das Einzige, auf das ich mich | |
| verlassen kann. In meiner Musik spielt der Zufall eine große Rolle, die | |
| Entropie und Kollaborationen mit weiß Gott wem. | |
| Wenn ich finde, Musik ist es wert, komponiert zu werden, habe ich gerade | |
| kein Papier und keinen Stift zur Hand. Wenn eine geniale Melodie | |
| aufgenommen werden muss, bin ich leider nicht im Aufnahmestudio. Wenn ich | |
| etwas malen möchte, fehlen mir stets Leinwand und Pinsel. So läuft’s bei | |
| mir. Für mein Debütalbum habe ich Songs auf Anrufbeantworter gespielt, die | |
| Ideen kamen mir beim Wandern durch Los Angeles, also habe ich meinen Freund | |
| Noah Georgeson angerufen und gefleht, dass er die Skizzen nicht löscht. | |
| Stimmt es, dass Sie nach New York gezogen sind, weil Sie so fasziniert von | |
| dem Musiker Arthur Russell sind? „Mala“ beginnt mit dem Song „Golden Girl… | |
| und der Aufforderung, „Get on the Dancefloor“. | |
| Sie sehen hier einen Zusammenhang? Dann gibt es ihn tatsächlich. Gut, es | |
| ist schon eine Weile her, dass ich Tim Lawrence’s Buch „Hold on to your | |
| Dreams“ gelesen habe, die Lebensgeschichte von Russell. Ich mochte seine | |
| Musik schon lange bevor ich nach New York gegangen bin. Aber als ich | |
| Lawrence las, wurde mir schlagartig bewusst, dass das New York von Arthur | |
| Russell heute verschwunden ist. | |
| Ich empfinde ihn als Genie, und das wird in dem Buch richtig klar, denn es | |
| beschreibt dieses Spinnennetz von disparaten Szenen und Russell als eine | |
| Art Harry Smith, der zwischen der schwulen Discokultur und der | |
| experimentellen Musikszene rastlos hin und her wandert, im Diner „Odessa“ | |
| rumhängt und im Tompkins Square Park. | |
| Lawrence beschreibt, wie Russell auf der Fahrt zu einem Konzert aus dem | |
| Auto springt, um durch den Holland Tunnel nach New Jersey zu gehen. Das | |
| würde kein Normalsterblicher je machen. Also es war nicht so, dass ich | |
| Russells Musik entdeckt habe und sofort beschloss, nach New York zu gehen. | |
| Aber das Buch war ein Katalysator für mich. | |
| Wie Russell waren Sie auch zuerst an der West Coast. | |
| Aber anders als Russell hatte ich keinen Allen Ginsberg als Lyriklehrer. | |
| Anders als Russell habe ich mein Cello auch nicht im Schrank geübt. Mein | |
| Coming-out war mit neun Jahren und ich bin jahrelang nur Skateboard | |
| gefahren. | |
| Ein Song auf Ihrem neuen Album ist Hildegard von Bingen gewidmet. Vor | |
| Kurzem aß ich ein Biobrot, das „Hildegard von Bingen Brot“ hieß. Es | |
| schmeckte etwas fad. | |
| Ist Ihnen von Bingens Musik ein Begriff? | |
| Ich weiß, dass Hildegard von Bingen eine Protofeministin aus dem | |
| Mittelalter ist. | |
| Lassen Sie es mich mit einer Analogie erklären. Simon Diaz ist ein | |
| wunderbarer Sänger und Dramatiker aus Venezuela, wo ich mit meiner Mutter | |
| aufgewachsen bin. Er ist auch als Komiker bekannt und als Musikologe, der | |
| Alan Lomax Venezuelas. Außerdem hat er im Fernsehen eine Talkshow. Als ich | |
| jung war, war er für mich nur der Mann, der Werbung für Cornflakes macht. | |
| Erst später entdeckte ich seine Musik. Ähnlich verhält es sich mit | |
| Hildegard von Bingen. Für Sie mag von Bingen nur Biobrot sein. Aber sie war | |
| eine Heilige, eine Mystikerin und eine fantastische Komponistin. | |
| Ich hörte zuerst, wie das Kronos Quartett einen ihrer Choräle | |
| interpretierte. Dann dachte ich: Wer ist diese Hildegard? Dann | |
| interessierten mich ihre Schriften sogar noch mehr. Die Hildegard in meinem | |
| Song flieht aus dem Kloster, zieht nach San Francisco und wird eine VJ, die | |
| „Zulu Nation“ von Africa Bambaataa auf Heavy Rotation spielt. Eine | |
| Feministin des Mittelalters, das finde ich als Ausgangspunkt eines Songs | |
| geradezu überwältigend! | |
| 14 Mar 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Julian Weber | |
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