Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Neues Album von Noiserockerin Safi: Das Knacken im Nacken vom Nicken
> Die Berliner Künstlerin Safi ist ein Stimmwunder. Das unterstreicht sie
> auf ihrem brachialen Album „Groteske“. Es exorziert den Rechtsruck mit
> Krach.
Bild: Stimme frisst Feuer: Safi
Wenn Safi einen Song komponiert, orientiert sich die 47-jährige Künstlerin
nicht an abgetretenen Referenzen oder verkopften Konzepten. Sondern
vertraut einzig dem Gesang. So erklärt es die in Berlin lebende Musikerin
im Gespräch mit der taz. Wie das Lied wird, entscheidet ihre vier Oktaven
umfassende Stimme.
Manchmal will sie, dass die Strophen tief gecroont werden. Dann verlangt
sie höchsten Falsettgesang. Und immer, immer wieder Schreien. Kein Wunder,
dass Safi ihrem Organ so sehr vertraut – verfügt sie doch über eine der
charakteristischsten Stimmen im deutschsprachigen Pop. Ein heiseres
Kreischen, Jaulen und Ächzen, das Zwerchfell und Knochenmark in Schwingung
versetzt. Und auf ihrem neuen, nunmehr dritten Album „Groteske“ so befreit
klingt wie noch nie zuvor.
Einer der Gründe dafür findet sich im Aufnahmeprozess. Der Berliner
Produzent Moses Schneider ([1][Tocotronic,] Die Heiterkeit, [2][Ja,
Panik]), der bereits ihr Debütalbum begleitete, nahm Safi und ihre Band
live im Studio auf – inklusive Gesang. So blieb viel Raum für Atmosphäre,
im Zusammenspiel entstand eine Unmittelbarkeit, die sich in keiner
abgesicherten Gesangskabine reproduzieren lässt.
## Wie einst Diamanda Galás
Die am Konservatorium ausgebildete Safi (Sandra Fink) arbeitet in der
Tradition von Exzentrikerinnen wie US-Sirene Diamanda Galás. „Ich bin der
Schatten auf deinem Gemüt / Das Wort, das sich durch deine Zähne presst“,
singt sie in „Ewig diese Welt“.
Die Töne überschlagen sich, während Safi das t in „presst“ in die Länge
zieht. In „Gloria“ wiederum wechselt sie binnen Sekunden zwischen
aggressivem Sprechgesang, triumphalen Rockröhren und Axl-Rose-esken
Vibrato-Gekreische. „Hast du etwa Angst, über dich hinauszugehen“, lautet
die diesen virtuosen Ansatz zusammenfassende Zeile in „Adrenalin“ – Safi
singt, schreit, flüstert gleichzeitig.
Mit maximaler Expressivität beschreibt die gebürtige Leipzigerin eine Welt
in absurder Schieflage. „Groteske“ ist ein Song über Schulter an Schulter
stehende faschistische Horden und andere „gespaltene Gestalten mit Knacken
im Nacken vom Nicken“. Die Musik spiegelt diese schiefen Szenen sehr
treffend.
## Auf dem Schrottplatz
Wie schon beim Vorgänger „Janus“ (2015) bauen Safi und ihre Band
(Noise-)Rock mit den Werkzeugen der Avantgarde. Mit präparierten Gitarren
und zweckentfremdeten Fundstücken. Drummer Jörg Wähner (bekannt als
Mitglied des Technoprojekts Apparat) verzichtet auf herkömmliche Becken und
trommelt stattdessen auf Blechplatten, die er auf einem Schrottplatz
gefunden hat.
Bassist und Gitarrist Matthias Becker sorgt für kratzige Low-Endsounds.
Safi und Becker bauen mit ihren Gitarren bisweilen harmonische Walls of
Sounds und dann wieder glitchenden Noise – und das mitunter im gleichen
Song wie im Titeltrack.
Kein Wunder, dass diese Band lange Pausen zwischen ihren Alben lässt. Die
Musik von Safi braucht Zeit, um zu wachsen. Mehr noch als auf den vorigen
Werken schwenkt der Harmonie und Dissonanz balancierende Avantrockkrach auf
„Groteske“ diesmal in Richtung Schönheit aus. „Was es ist“ beginnt in
sonorer Hildegard-Knef-Tonlage und verwandelt sich in einen umarmenden,
denglischen Refrain.
## Beste Medizin
„Ist das was es ist / I pretend it is“, singt sie, hier begleitet vom
Gastsänger Dennis Lyxzén (von der schwedischen Punkband Refused). Das
könnte kitschig sein, genau wie ein paar andere Zeilen („Adrenalin ist die
beste Medizin“). Dass es dann doch nicht kitschig gerät, ist der größte
Beweis von Safis versatiler Stimme. Sie kann eine schlichte Zeile wie „Ich
will ein Leben, das mir nicht ständig kaputtgeht“ in nackten
Existentialismus verwandeln.
Safis Musik ist intensiv und herausfordernd, klar. Aber im Vergleich zur
gern verkopften und allzu konzeptuellen Avantgarde bleibt ihr avantgaragen
Rock immer zugänglich.
14 Nov 2024
## LINKS
[1] /Tagebuch-Roman-von-Dirk-von-Lowtzow/!5918474
[2] /Neues-Album-von-Ja-Panik/!5769457
## AUTOREN
Marius Magaard
## TAGS
Lärm
Neues Album
Avantgarde
Elektronik
Leipzig
Madonna
Folk
## ARTIKEL ZUM THEMA
Debütalbum von Saul: Wenn Mama dich hält
Der Flaneur hat’s schwer: „Homecoming“, der Berliner Autor Fabian Saul,
debütiert als elektronischer Chansonnier mit einem Soloalbum.
DIY-Musikszene Leipzigs: Zwischen Aufbruch und Verdrängung
Neue Alben von Shed Ballet, Afar Odea und Fastmusic aus Leipzig zeigen
vielfältigen Sound, der trotz prekärem Freiraum der wachsenden Stadt
gedeiht.
Sängerinnen und Sirenen: Zum Sterben schön
Bei Homer wurden die Sirenen eingeführt, diese Zwitterwesen aus Vogel und
Frau. Was ist aus ihnen geworden?
Neues Album von Devendra Banhart: Stimme wie eine missbrauchte Ziege
Der US-Singer-Songwriter Devendra Banhart über Songideen zu Unzeiten,
Punkrock als ultimative Form von Courage und die Angst, als Purist zu
gelten.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.