| # taz.de -- Musiker Franco Battiato über Italien: „Mit 16 letztmals verliebt… | |
| > In seiner Heimat ist Franco Battiato einfach „Il Maestro“. Ein Gespräch | |
| > über Ali Baba, die Reformierbarkeit der italienischen Politik und die | |
| > Liebe. | |
| Bild: Ironie kommt vor lauter Experimentierfreude nicht zu kurz. | |
| taz: Herr Battiato, in den 80ern haben Sie mit „Alexanderplatz“ eine Hymne | |
| an Berlin geschrieben. Wie ist Ihre Beziehung zu der Stadt? | |
| Franco Battiato: Es ist nur eine distanzierte Beziehung. Mir gefällt heute | |
| Schöneberg besser, dort ist es sehr ruhig. Wie vor 30 Jahren am | |
| Alexanderplatz: Da war es vollkommen leer, nur eine Person lief über den | |
| Platz. Heute ist es mir dort aber zu wuselig. | |
| Sie singen auch auf Deutsch. Zuletzt hatte eines Ihrer Alben mit „Inneres | |
| Auge“ sogar einen deutschen Titel. Haben Sie ein besonderes Verhältnis zu | |
| Deutschland? | |
| Ich habe viele Deutsche gelesen, auf Italienisch. Die mitteleuropäische | |
| Literatur ist für mich deutsch. Auch die Musik des 18. Jahrhunderts, die | |
| war außergewöhnlich! | |
| Stimmt es, dass Sie bei Karlheinz Stockhausen Musik studiert haben? | |
| Nicht ganz. 1975 hat er mich kontaktiert, um mir ein gemeinsames Projekt | |
| vorzuschlagen, nachdem er meine Platte „Pollution“ gehört hatte. Er hat | |
| mich zu sich eingeladen, in sein Haus in Kürten, gab mir eine riesige | |
| Partitur und sagte: „Hier, sing mal!“ Aber ich konnte keine klassischen | |
| Noten lesen. Als er das merkte, widmete er mir den ganzen Abend und sagte: | |
| „Wenn du erst mal 60 bist, kannst du nicht mehr Pop machen!“ | |
| Sie sind 68 … | |
| Er hat sich geirrt, ich mache heute noch Pop. Aber er hat mich | |
| elektrisiert! Zurück in Italien, habe ich sofort angefangen, Musik zu | |
| lernen und in zwei Jahren das gelernt, wo andere zehn Jahre für brauchen – | |
| als Musiker musste ich ja nicht bei null anfangen. Zwei Jahre später habe | |
| ich einen Klavierpreis gewonnen, der Stockhausen gewidmet war. | |
| Das war nach Ihrer Krautrock-Zeit? | |
| So ist er auf mich aufmerksam geworden. Er hat mal im Melody Maker gesagt: | |
| „Die Musiker, die ich schätze, sind der Italiener Battiato und Kraftwerk!“ | |
| Ihre neue Platte heißt „Apriti Sesamo“, also „Sesam öffne dich“. Welc… | |
| Schatz wollen Sie entdecken? | |
| Ali Baba ist ein einfacher Holzfäller und beobachtet die Räuber, wie sie | |
| vor der Höhle „Sesam öffne dich“ sagen. Als sie weggehen, versucht auch er | |
| es und dankt Gott für den Schatz. Nur: Das ist nicht die eigentliche | |
| Geschichte. Wenn sich eine Tür öffnet, die wir nur verschlossen kennen, ist | |
| das ja nicht immer gut, was dahinter wartet. | |
| Wie meinen Sie das? | |
| Wir Menschen können alles Mögliche tun, sogar fliegen! Aber wir sind | |
| geblendet vom Geld! Wenn jemand in einem dunklen Keller ein Wort sagt und | |
| so einen riesigen Schatz findet – das ist eine Art von Verdammnis! So wie | |
| bei der Legende vom Turmbau zu Babel, das ist eine Parabel aus der Bibel, | |
| die keiner wirklich verstanden hat. Es geht nicht um Vielsprachigkeit, wir | |
| alle sprechen die gleiche Sprache, aber wir schaffen es nicht, uns zu | |
| verständigen! Weil es um Geld geht. Da ist die göttliche Verdammnis! | |
| Auf Ihrem Album thematisieren Sie auch die Sterblichkeit. | |
| Wenn der Tod kommt und uns einen Verwandten oder Freund nimmt, weinen wir | |
| monatelang. Aber so ist es nun mal. In einem Song singe ich: „Cio che deve | |
| accadere, accadrà“ – „Was passieren muss, wird auch passieren“, egal, … | |
| wir tun, um es zu vermeiden. Es ist vorbestimmt. Das ist kein Fatalismus, | |
| ganz im Gegenteil! Alles hat Folgen: Wenn du dich in eine Frau verliebst – | |
| schon ab dem ersten Moment hat das Auswirkungen auf alles Mögliche. | |
| Auch bei Ihnen? | |
| In meinem Fall nicht. Ich habe mich mit 16 das letzte Mal verliebt. | |
| Aufgrund von Naturgesetzen gibt es in diesem Alter ein sinnloses | |
| Sichverlieben. Das hat mir gereicht. Es ist herrlich, das damit zu beenden. | |
| Haben Sie Angst vor dem Tod? | |
| Nein. Ich bin an einem Punkt angelangt, wo ich es als natürlich akzeptieren | |
| kann. Geld bedeutet mir nichts, ich habe auch keine anderen Bindungen. Am | |
| Ende ist der Tod ein tröstlicher Übergang: Wenn ein Mensch stirbt, gehen | |
| alle seine Fehler auf null. | |
| Sie haben über vierzig Platten gemacht, dazu Filme, Malerei – was treibt | |
| Sie voran, wenn es nicht Liebe ist oder Angst vor dem Tod? | |
| Die Liebe zur Göttlichkeit hält mich im Leben. | |
| Was meinen Sie damit? | |
| Es gibt höhere Pläne. Die Frage für die Menschen ist immer die gleiche: Wer | |
| sind wir? Unsere Inkarnation in einen Körper zu einem bestimmten Moment der | |
| Geschichte ist dazu da, dass wir uns entwickeln. Wir betreten und verlassen | |
| die Welten je nachdem, was für ein Leben wir hier geführt haben. Man kann | |
| sich auch zurückentwickeln, zurückkehren, also Reinkarnation in eine | |
| Pflanze oder einen Stein, eine Schlange, eine Katze … | |
| Also sind Sie Buddhist? | |
| Ich folge dem tibetanischen Buddhismus. Aber ich bin auch Hindu, ich bin | |
| Christ, ich bin Jude, ich bin Sufi … | |
| Außerdem sind Sie seit November Tourismus- und Kulturminister in der | |
| Provinzregierung von Sizilien. Wie passt das zu Ihrer künstlerischen | |
| Arbeit? | |
| Ich habe diese Rolle akzeptiert, um meiner Heimat etwas zu geben. Ich halte | |
| den Ministerpräsidenten Rosario Crocetta für einen Revolutionär! Als er | |
| mich fragte, habe ich die Bedingung gestellt, dass ich keine Bezahlung | |
| will. Ich muss auch keinen Dienstwagen haben. Bei uns gibt es Eskorten, wie | |
| sie sonst nur Mafiosi haben. Das ganze System ist wie die Mafia. | |
| Rosario Crocetta führt eine Minderheitsregierung, die von Beppe Grillos | |
| Movimento Cinque Stelle geduldet wird. Wäre das auch ein Modell für ganz | |
| Italien? | |
| Wir geben ein Signal an ganz Italien. Hoffentlich sehen sie es. In Sizilien | |
| funktioniert das im Augenblick sehr gut. | |
| In Deutschland gilt Grillo als Populist. | |
| Das ist ein Irrtum. Sie denken zu sehr in Schubladen: „Der ist ein Clown | |
| und kann kein Politiker sein.“ Aber in den USA ist ein Schauspieler sogar | |
| Präsident geworden! Warten wir ab, bevor wir kritisieren. Wenn man sich | |
| anschaut, was für Schweinereien die in den letzten 20 Jahren gemacht haben. | |
| Ist das ein historischer Moment? | |
| Grillo sagt vor allem: Diese politische Klasse muss weg. Und da gibt es | |
| keinen Zweifel daran, das wissen alle! Die haben es einfach nicht gebracht, | |
| auch die Opposition nicht! Die hat es nicht geschafft, ein einziges Gesetz | |
| einzubringen. Aus Respekt vor dem Volk und dem Land sollten sie alle gehen. | |
| Es reicht! | |
| Mit Crocetta in Sizilien und Nichi Vendola in Apulien kommen offen schwule | |
| Politiker in hohe Ämter. Ist das ein Zeichen des Wandels? | |
| Ein interessanter Gedanke. Crocetta ist ein Freigeist, wie die Spartaner, | |
| die stolz waren, schwul zu sein! Sizilien ist aber auch ein Sonderfall, | |
| Crocetta sagt: „Alle wissen, dass ich schwul bin, aber die können mir | |
| nichts anhaben!“ In Sizilien sind immer so viele Leute zusammengekommen, | |
| hier gab es wechselnde Fremdherrschaft, das ist ein bunter Mix. | |
| Noch mal zur Musik: Viele Deutsche kennen Sie vom Grand Prix d’Eurovision. | |
| Folgen Sie dem Eurovision Song Contest heute noch? | |
| Was ist das, wovon sprechen Sie? | |
| 1984 sind Sie mit Alice angetreten und mit „I Treni di Tozeur“ Fünfter | |
| geworden. | |
| Ach so, das! Nein, nie wieder! | |
| 28 Mar 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Malte Göbel | |
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