# taz.de -- Schlagloch Polit-Clowns: Der Zirkus zieht weiter | |
> Wenn Politik nur dazu dient, Reiche reicher und Arme ärmer zu machen, | |
> helfen nur noch Clowns. Doch hierzulande lebt die kryptorassistische | |
> Niedertracht. | |
Bild: Die Clowns haben auf die unterschiedlichste Art die Wahrheit über die We… | |
In einem meiner Lieblingsfilme unter den Western all’ italiano, „La collina | |
degli stivali“, wird die Herrschaft eines babygesichtigen Erzkapitalisten | |
geschildert, der mit seiner terroristischen Bande und mithilfe windiger | |
Advokaten und korrupter Gesetzeshüter alle Leute von ihrem Grund und Boden | |
vertreibt. Wer sich seinem Willen nicht beugt, wird umgebracht oder | |
verjagt. Die Organe von Gesetz und Ordnung sind schwach, korrupt oder | |
profitieren von der Herrschaft des Kapitalisten. Niemand kann sich seiner | |
Gewalt entgegenstellen. | |
Niemand? Ein Zirkus kommt in die Stadt, mit Akrobaten, schönen Frauen und | |
vor allem mit Clowns. Mit dem Zirkus kommen ein Pistolero, ein Haudrauf und | |
ein befreiter Sklave. Der Kapitalist, der gerade wieder einem | |
eingeschüchterten Landbesitzer seinen Boden abgenommen und ihn durch | |
Drohungen mundtot gemacht hat, um ihn sogleich als mies bezahlten | |
Lohnarbeiter wieder einzustellen, zeigt sich großzügig und lädt alle, seine | |
Opfer, seine Mittäter und die ohnmächtigen Zeugen, zu einer Vorstellung des | |
Zirkus ein. | |
Doch die Clowns spielen ein derbes Stück. Sie spielen das Stück vom | |
Terror-Kapitalisten. Sie sprechen im Namen der Opfer. Und sie spielen den | |
Aufstand, so lange, bis der Terror-Kapitalist sein wahres Gesicht zeigt. | |
Dann kommen der Pistolero, der Haudrauf und der freie Sklave zum Einsatz. | |
Das Volk, das in der Zirkusarena endlich nicht mehr ratlos war, befreit | |
sich. Was nach der Revolte kommt, bleibt offen. Nur so viel ist klar: Ohne | |
die Clowns würde der babygesichtige Terror-Kapitalist noch heute herrschen. | |
Beziehungsweise genau das tut er. | |
## Vollendeter Opportunist | |
Wenn staatliche Gewalt, ökonomische Interessen, das Gesetz und der Alltag | |
eine Einheit gebildet haben, um die Menschen von ihrem Land, aus ihrem | |
Leben und aus ihren Rechten zu vertreiben, wenn Leute, die sich ihre Rechte | |
nicht nehmen und ihre Solidarität nicht abkaufen lassen wollen, mit Gewalt | |
bedroht werden, wenn der Umbau der Demokratie mit freiem Markt in eine | |
staatskapitalistische „marktkonforme Demokratie“ vorangetrieben wird, wenn | |
Gesetz und Politik nur noch dazu dienen, die Reichen reicher und die Armen | |
ärmer zu machen, dann helfen nur noch die Clowns. | |
Die Clowns sind die Einzigen, die dem Herrschaftssystem ein fundamentales | |
Nein entgegensetzen können. Und nicht umsonst gibt es den Clown in zwei | |
Ausprägungen. Da ist der weißgesichtige Clown mit seinem Glitzeranzug, ein | |
vollendeter Opportunist, der sich Autorität angemaßt hat und der im Namen | |
der Ordnungen und der Interessen und der furchtbaren Normalitäten spricht. | |
Und da ist der dumme August, rotnasig und in viel zu großen Schuhen, der | |
erfindungsreich die Selbstinszenierung des weißen Clowns sabotiert. | |
Der Kampf zwischen Berlusconi und Grillo etwa ist so eine | |
Auseinandersetzung. Das große, glitzernde und clownesk übertriebene Ja zu | |
allem, was Neoliberalismus und Postdemokratie an Niedertracht zu bieten | |
hat, und das fundamentale, polternde, kindische und poetische Nein. Um | |
diese beiden wuseln die „Zwerge“, die Kleinwüchsigen, die in ihren kleinen | |
Feuerwehrautos unterwegs sind, sich mit Kanonen davonschießen lassen oder | |
aus Koffern purzeln. Die kleinwüchsigen Clowns sind nicht komisch, weil sie | |
so klein sind, sondern sie sind so komisch, weil sie das Klein-Sein ihrer | |
Zuschauer repräsentieren. Alle gegen den großen weißgesichtigen Clown. | |
## Poetische Gewalt des dummen August | |
Wer am Ende gewinnt? Die Zwerge sind, wenn sie dem Großen einmal die | |
Instrumente geklaut haben, dann doch mehr übereinandergefallen; die | |
poetische Gewalt des dummen August richtet sich schließlich gegen ihn | |
selbst. Er kann ja nichts anderes als Nein zu den Verhältnissen sagen. Er | |
muss stolpern über sein Nein. | |
Wenn Peer Steinbrück von den zwei italienischen Clowns gesprochen hat, | |
glaubte er wohl, wie die Gäste im Zirkus am Hügel der blutigen Stiefel, | |
kein Teil ihres Spiels zu sein. Reden wir nicht von Respekt oder Ignoranz: | |
Wenn jemand das Spiel der Clowns so wenig versteht, dass er nicht einmal | |
erkennt, wie das System gemeint ist, das er repräsentiert, dann bleibt ihm | |
höchstens noch eine Zwergenrolle. | |
Die Clowns haben auf die unterschiedlichste Art die Wahrheit über die Welt | |
gesagt. Danach kommen die Leute, die die Manege aufräumen und jemand, der | |
die Leute nach Hause schicken muss. Aber wie können wir heimkehren, als | |
wäre nichts gewesen? | |
## Die Perspektive der Nutznießer | |
Dies ist jedoch die deutsche Lösung, scheint es. Ein fundamentales Nein ist | |
hier nicht zu hören gegen den Neomerkantilismus des Merkel-Staates und | |
gegen eine mediale Verblendung, die von „uns“ spricht und den Menschen im | |
Nachbarstaat längst das Häuschen neidet und den Schafskäse auf dem Brot, | |
der nicht von Lidl stammt. Es lebe der Nationalkapitalismus! Es lebe die | |
kryptorassistische Niedertracht! Die Zyprioten sollen sich nicht so haben; | |
wenn wir ihnen helfen sollen, müssen sie schon was hergeben dafür. | |
Wir haben uns in Deutschland auf eine Art der Alltagsclownerie verständigt. | |
Da es eine fundamentale Kritik der, na ja, freien Presse nicht mehr gibt | |
(erwähnten wir, dass der Terrorkapitalist im Film natürlich auch die | |
Zeitung in seiner Gewalt hat?), haben wir den Clowns und Kabarettisten die | |
Aufgabe übertragen, Nein zu sagen. Aber nur so, dass wir danach heimgehen | |
dürfen und weitermachen wie vorher. | |
Ein politisches System wie der Berlusconismus wäre niemals möglich ohne die | |
willfährige Hilfe eines Heeres von „Medienarbeitern“, die nichts dabei | |
finden, als Stimme ihres Herrn zu lügen. Ein politisches System wie der | |
Merkelismus, dessen Europäisierung uns nicht aus der Perspektive der Opfer, | |
sondern aus der der Nutznießer erzählt wird, wäre nicht möglich ohne die | |
willfährige Hilfe eines Heeres von „Medienarbeitern“, die nichts dabei | |
finden, „für uns“ zu lügen. Wer, wenn nicht die Clowns, könnte noch die | |
Wahrheit über die Menschenfeindlichkeit des deutschen Staatskapitalismus | |
sagen? | |
Der Zirkus zieht weiter. Wir kehren an den furchtbarsten Ort der Welt | |
zurück. In die politische Normalität. | |
27 Mar 2013 | |
## AUTOREN | |
Georg Seesslen | |
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