| # taz.de -- Nachruf auf Cantautore Franco Battiato: Progressives in den Charts | |
| > Der italienische Komponist Franco Battiato ist tot. In seiner Heimat ist | |
| > er eine Popikone. Trotz großer Erfolge blieb er am Experiment | |
| > interesssiert. | |
| Bild: Franco Battiato im November 2004 | |
| Auf der italienischen Wikipedia-Seite ist der Eintrag über ihn etwa so lang | |
| wie der über die Beatles und länger als der über Aristoteles. Franco | |
| Battiato ist in Italien ein Kulturdenkmal, ein Pop-Philosoph, der Geist und | |
| [1][Dance-Tauglichkeit] miteinander verband – wenn er wollte. Über | |
| Jahrzehnte war er präsent in Charts und Feuilleton zugleich. | |
| Geboren 1945 auf Sizilien, ging er mit 19 nach Mailand, tauchte in die | |
| Musikszene ein, sang Protestsongs und Liebeslieder. Er lernte bei Karlheinz | |
| Stockhausen, veröffentlichte Alben mit Progrocktüfteleien und | |
| atmosphärischen Klangmeditationen. In einem 15-minütigen Song kehrt ein | |
| kurzer Klavierakkord wieder und wieder, in unterschiedlichen Abständen, nur | |
| mit angedeuteter Geräuschkulisse. | |
| Anfang der 1980er Jahre entwickelte Battiato sein eigenes | |
| Hitparadenexperiment: eingängige Melodien, mitreißende Rhythmen, Chöre, | |
| Synthesizer, Geigen, E-Gitarren. Seine Musik ist ein einzigartiger | |
| Klangreigen, der genüsslich ins Ohr wirbelte. Dazu dichtete er verrätselte | |
| Texte voller Zitate und Anspielungen. „La voce del padrone“ war 1982 | |
| monatelang das meistverkaufte Album – fast jedes Lied daraus ist ins | |
| kollektive Gedächtnis Italiens geflossen. „Cuccurucucu“ wurde zum | |
| Tanzklassiker. In „Centro di gravità permanente“ sucht er nach einem | |
| unerschütterlichen Kern des Daseins – eine [2][philosophische Reflexion], | |
| bei der er beiläufig erwähnt, dass ihn Punk und New Wave nerven. | |
| ## Die Weiße Fahne | |
| Genauso ikonisch geworden ist die düstere Ballade über die weiße Fahne, die | |
| er hisst: In „Bandiera bianca“ zeigt er sich angeekelt von aberwitzigen | |
| Wahlveranstaltungen und all den eitlen Gestalten im Land. Diese resignative | |
| Elegie gipfelt in einer Reminiszenz an The Doors, vorgetragen in | |
| repetitiver Melancholie: „The end, my only friend, this is the end“. | |
| Der Song wurde ein großer Erfolg, was Battiato nicht vom Experimentieren | |
| abhielt, er komponierte Opern, verwebte orientalische Mystik in seine | |
| Musik, malte, drehte Filme – und blieb populär, auch als Gegenbild zu | |
| polternden Figuren wie dem Ur-[3][Trump] Silvio Berlusconi. Er liebte | |
| Zurückgezogenheit und sang gegen banalen Oberflächlichkeitskult an – | |
| vielleicht sein Grundwiderspruch, stand er doch dadurch selbst oft im | |
| Rampenlicht. | |
| So zog er in ein sizilianisches Dorf am Ätna, nahe seinem Geburtsort, | |
| meditierte und las. Am Dienstag hisste er endgültig die weiße Fahne, nach | |
| langer Krankheit starb er im Alter von 76 Jahren. | |
| 20 May 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Giuseppe Pitronaci | |
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