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# taz.de -- Buch über Italiens Popmusik: Cantautori sind keine Kekse
> „Azzurro“ von Eric Pfeil ist ein musikalischer Reiseführer zu Italiens
> vielfältiger Popszene. Es empfiehlt sich nicht allein für den
> Strandurlaub.
Bild: Die Sängerin Mina hatte Hits wie den von Ennio Morricone komponierten So…
Goethe, Heinrich und Thomas Mann taten es, Udo Struutz aus dem Film „Go
Trabi Go“, genauso wie Willi Hirsekorn alias Heinz Erhardt: Seit
Jahrhunderten reisen Deutsche gen Italien. Ob im Opel Ascona oder per
Interrail-Ticket, auf einem Pferd reitend oder im Flugzeug – von Genua bis
Sizilien sind alljährlich die Strände voller Touristen aus der
Bundesrepublik.
Selbst die Coronapandemie konnte diese Tradition nur unterbrechen; 2022
plant mehr als ein Sechstel der Bevölkerung einen Besuch im Stiefelstaat am
Mittelmeer. Trotzdem hat Deutschland, so ist es aus dem Süden oft zu
vernehmen, die Seele der Italiener*innen bis heute nicht verstanden. La
dolce vita ist eben nicht die deutsche Vita.
Das ändern möchte ein durch und durch musikalischer Reiseführer: „Azzurro …
Mit 100 Songs durch Italien“ heißt er. Sein Autor ist Kenner*innen der
hiesigen Popszene bekannt. Eric Pfeil, geboren 1969 in Bergisch Gladbach,
ist eine Ikone des Popfernsehens.
Auf sein Konto geht etwa die stilprägende TV-Sendung „Fast Forward“ bei
Viva, die er zusammen mit seiner Ex-Partnerin Charlotte Roche zum täglichen
Irrsinn überschäumen ließ; später sollte Pfeil auch der Moderatorin Sarah
Kuttner als Showrunner einen Platz an der Sonne bescheren. Nebenbei und bis
heute schreibt er ein „Pop-Tagebuch“, früher in der FAZ publiziert,
inzwischen hat es beim Rolling Stone einen festen Platz.
## Liebe zum italienischen Liedgut
Die Liebe zu Italien begann noch weit vor seinen Pop-TV-Heldentaten.
Geburtshelfer war der CDU-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Bosbach, der für
den Ortsverein Bergisch Gladbach eine Busreise in die italienische
Hauptstadt organisierte. Obwohl Pfeils Eltern SPD-Parteibücher haben,
ließen sie den Sohn mit. Auf diesem Ausflug verliebte er sich dann nicht
nur in Elena – platonisch –, sondern auch in Italien – und das Land gab i…
auch etwas zurück. Seitdem manifestiert sich Pfeils Liebe in einer tiefen
Zuneigung zu den Canzoni italiane: italienisches Liedgut in all seinen
Formen.
Wer will, kann diesen Einfluss auch aus Pfeils Eigenkompositionen
heraushören: [1][Mit seiner Band Der Süden intonierte er Italosound etwa in
dem Song „Radio Gelato“ (erschienen bei Trikont)]. Stilecht im eng
geschnittenen Anzug und mit langsam dahinschmelzendem Eis mimte er im
Videoclip schon 2014 den Cantautore am Strand. Cantautore – wem der Begriff
nichts sagt, sei „Azzurro“ schon mal ans Herz gelegt.
Zielsicher, kenntnisreich und mit der nötigen Verve schreibt Eric Pfeil auf
über 300 Seiten von den Eigenheiten und Alleinstellungsmerkmalen der
italienischen Musik der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts; von den Diven
und den Stars – und eben von den Cantautori/Cantautrici: jenen
Sänger*innen, die in der Tradition von Bob Dylan als Singer/Songwriter mit
italienischen Texten berühmt wurden.
## Inventar der Italopopszene
Einige sind schon durch Deutschland getourt, die meisten Namen liest man
zum ersten Mal: Luigi Tesco und Fabrizio de André sind vermutlich nur
Insidern geläufig. Dazu tummeln sich im Buch selbstverständlich auch
Gestalten wie der sozialkritische Clown und Superstar Adriano Celentano und
die vergessene, da früh verschwundene Sängerin Mina; Loredana Bertè
wiederum, die stilistisch zwischen den Sirenen Nina Hagen und Grace Jones
anzusiedeln sein dürfte und seit über 40 Jahren zum Inventar der
Italopopszene gehört, darf genauso wenig fehlen wie der [2][Filmkomponist
Ennio Morricone].
Den Namen des Komponisten hätten wohl nicht viele hier erwartet, seinen
Platz hat er sich aber allemal verdient, weil er neben Filmmusik auch Songs
komponiert hat. „Se telefonando“, interpretiert von der göttlichen Mina,
ist ein solcher Geniestreich – und einer der 100 erwähnten Songs, die es
durchzuarbeiten heißt.
Danach weiß man nicht nur, warum der Songwettbewerb von San Remo
einzigartig ist, sondern erfährt auch etwas über die Nachkriegsgeneration
in Italien, über das krasse Nord-Süd-Gefälle, Studentenrevolten, über
typisch italienische Sängerviten und wie darin radikale katholische
Positionen mit kommunistischen Gedanken und LGBTQI-Liebe zusammenkommen –
schlicht: über die Seele der Republik entlang des Apennin.
Eric Pfeil spielt in der Zwischenzeit mit seiner Band Die Realität
astreinen Lo-Fi-Freak-Kraut und veröffentlicht auch eine Single mit
Italoschlagseite beim Label Rheinschallplatten: „Radio Gelato“ in einer
Neubearbeitung des Stuttgarter Musikprojekts Mondo Sangue, das sich dem
Komponieren fiktiver Soundtracks in sogenannter Giallo-Tradition
verschrieben hat. Dazu mehr nach dem Strandurlaub in Rimini!
13 Jun 2022
## LINKS
[1] /Farewell-Mr-Trikont-Achim-Bergmann/!5490375
[2] /Filmkomponist-Ennio-Morricone-ist-tot/!5698305
## AUTOREN
Lars Fleischmann
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