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# taz.de -- Neuer Reiseführer für Schleswig-Holstein: Platt vor Glück
> Das Schriftstellerpaar Mareike Krügel und Jan Christophersen führt durch
> Schleswig-Holstein – mit viel Heimatliebe und ohne Geheimtipp-Prahlerei.
Bild: Kann man mögen: das Watt vor der schleswig-holsteinischen Küste. In der…
Reiseführer sind wie Kochbücher. Man schaut, liest sie gerne und braucht
sie nicht wirklich. Sie sind der Vorfreude verpflichtet, auch der diffusen
Anregung, was man mal kochen und wohin man einmal reisen könnte –
allerdings ohne Verpflichtung, es je zu tun. Eher im Sinne einer angenehmen
Ersatzhandlung, was mit erklärt, warum so viele Buchverlage
Reiseführerreihen führen.
Beim fernen Münchner Piper Verlag ist es die Reihe der
„Gebrauchsanweisungen“, womit man den vermeintlich praktischen Wert ihres
Erwerbs noch einmal unterstreichen will. Gut 120 Titel haben sich unter
diesem Motto daher mittlerweile versammelt: Es gibt eine
Gebrauchsanweisung für den Iran, für Taiwan und den Harz. Es gibt sie für
Dänemark, für Namibia sowie für Südkorea. Auch je eine fürs Campen und das
Reisen zu Pferde wurden verfasst; eine auch über das [1][Reisen] im
Grundsätzlichen und über das Zugreisen im Speziellen.
Hamburg ist gebrauchsanweisungsmäßig versorgt, ebenso
Mecklenburg-Vorpommern mit seinen Seebädern. Bremen als Stadtstaat hat es
bislang nicht geschafft, dafür der Fußball-Erstligist SV Werder.
Geschlossen werden konnte nun die Lücke einer Gebrauchsanweisung für
[2][Schleswig-Holstein], vorgelegt von dem Schriftstellerpaar Mareike
Krügel und Jan Christophersen. Und das ist ganz pauschal eine gute Idee,
denn die beiden kommen von dort, leben und arbeiten hier, und schreiben
können sie auch. Und so merkt man beim Lesen sogleich, wie diese lokale
Verbundenheit kraft Geburt, Kindheit und Jugend sich mit einem durchaus
kritischen Blick der Weggegangen und dann Wiedergekehrten ergänzt wie
anregt.
Die beiden – Krügel wuchs in Kiel auf, Christophersen in Flensburg, seit 15
Jahren leben sie mit ihren Kindern bei Kappeln – müssen sich und uns in
Sachen Ortskenntnis wie Detail- und Hintergrundwissen nichts beweisen. Sie
müssen nicht auftrumpfen, nicht mit vorgeblichen Geheimtipps prahlen, was
man zwischen Treene und Eider, zwischen Dithmarschen und Angeln unbedingt
gesehen und erlebt und also besucht haben muss.
Ihnen fehlt angenehmerweise jener Drang der Hinzugezogenen, unbedingt
dazuzugehören zu wollen. Und so können sie kundig wie locker und Kapitel
für Kapitel einander abwechselnd erzählen, was sie kennen, was sie schätzen
und was sie immer wieder suchen. Die scheinbar langweilige [3][Wattregion]
an der Westküste etwa, wo sich die Kunst der Landgewinnung zeigt und man
Worte wie „Buhnen“, „Lahnungen“ und „Queller“ verstehen lernen kann…
überhaupt das Bundesland ohne geologische Kategorien schwer zu fassen sei.
Sie können auch ins Plaudern kommen, ins Schwärmen, können auch
eingestehen, wo sie ratlos und unsicher sind: Sagt man strikt „Moin!“ oder
geht auch „Moin, moin!“ in Ordnung? Ist es okay, immer wieder übers immer
wieder wechselnde Wetter zu reden? Und sind die Ortsansässigen nun scheu
oder schroff oder beides?
Drumherum gruppieren sie eine nicht zu überbordende Menge von Zahlen und
Daten, berichten von Ereignissen mit geschichtlicher Wucht, wie die
Belehnung Holsteins und Stormarns an Graf Adolf II. ab dem Jahr 1111, die
zur Kolonisierung des heutigen Ostholsteins führte; oder sie schauen auf
die unmittelbaren Nachkriegsjahre, als die Bevölkerung Schleswig-Holstein
von 1,6 Millionen Menschen auf 2,7 Millionen anwuchs, wobei man es den aus
den Ostgebieten Geflüchteten nicht leicht machte.
Herrenschlösser werden im Vorbeigehen vorgestellt, der Bad Segeberger
Kalkberg wird enttarnt und auch dass das lokale Getränk „Möwenschiet“ aus
Schnaps besteht, der in ein Glas gefüllt, mal mit einer Scheibe Mett-, mal
mit einer Scheibe Leberwurst abgedeckt wird, erfahren wir. Von Sturmfluten
wird erzählt, Matthias Claudius' aufgegangener Mond leuchtet hell durch die
Nacht; Literatur, Geschriebenes, spielt logischerweise eine gewisse Rolle.
Zugleich fließt in all das auch immer wieder Privates im Sinne von selbst
Erlebtem mit ein, doch ohne dass es je anbiedernd wird: eine Schiffsfahrt
über Föhr und Amrum nach Helgoland bei hohem Wellengang, die Spucktüten
griffbereit, gehört dazu; melancholische Erinnerungen an die einstige
Trachtentanzgruppe als identitätsstiftendes Moment, der vorbei war, als es
in die Pubertät ging – an das sich nicht wieder anknüpfen lässt, so wie aus
dem Trachtenrock mittlerweile ein Sofakissen geworden ist.
So strahlt dieses Buch, jenseits von Ableitungen der Ortsnamen,
Einführungen in die bedrohten Sprachwelten des Friesischen wie des
Plattdeutschen, dann Wetterbeobachtungen, immer wieder einen ganz eigenen,
stillen Glanz aus. Früher sagte man schlicht „Heimatliebe“ dazu.
26 Aug 2022
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## AUTOREN
Frank Keil
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