# taz.de -- Regionalsprachen in Schulen: Löppt in de School | |
> Regionalsprachen wie Niederdeutsch waren jahrelang an Schulen verboten. | |
> Jetzt wird „Plattdüütsch“ im Norden teilweise als Abiturfach | |
> unterrichtet. | |
Bild: Jo, dat is würklich ’ne Sproak – muss man auch erstmal richtig büff… | |
Rendsburg taz | „Ik weet eenen Eekboom, de steiht an de See, de Noordstorm, | |
de bruust in sien Knaest“. So beginnt ein Gedicht des plattdeutschen Autors | |
Fritz Reuter. | |
Am Goethe-Gymnasium in Demmin könnte es Stoff für eine Abiturprüfung sein: | |
Die Schule ist eine von vier in Mecklenburg-Vorpommern, in denen | |
Niederdeutsch, Eigenbezeichnung Plattdüütsch, als Abiturfach gewählt werden | |
kann. Zwar wird das Angebot bisher kaum genutzt, aber in allen nördlichen | |
Bundesländern sind Regionalsprachen auf dem Vormarsch. In zahlreichen | |
Schulen in den norddeutschen Bundesländern wird heute Niederdeutsch | |
angeboten, in Niedersachsen können Schüler*innen an einzelnen Orten | |
zusätzlich auch Saterfriesisch lernen. Auch Schulen in Nordrhein-Westfalen, | |
Sachsen-Anhalt und Brandenburg bieten heute vereinzelt Unterricht in Platt | |
an. | |
## Platt schnacken war verboten | |
Die Rückkehr der Regionalsprache an die Schulen begann vor 25 Jahren mit | |
der Ratifizierung der Europäischen Charta für Regional- oder | |
Minderheitensprachen. Mecklenburg-Vorpommern hat daraufhin die Förderung | |
der Sprache in die Landesverfassung aufgenommen, Schleswig-Holstein sogar | |
schon kurz vorher. Als erstes Bundesland führte dann Hamburg 2010 | |
[1][Plattdeutsch als] reguläres Schulfach in einzelnen Grundschulen ein, | |
Mecklenburg-Vorpommern ein paar Jahre später auch für weiterführende | |
Schulen. In den übrigen Ländern ist Platt als Wahlpflicht-Fach oder AG | |
belegbar. Im März 2017 nahm die Kultusministerkonferenz (KMK) Niederdeutsch | |
in die Liste der länderspezifischen Fächer der Abiturprüfung auf. Genutzt | |
wurde das Angebot bisher allerdings erst von zwei Schüler*innen. | |
„Das Interesse ist schon da, aber es ist eben die dritte Fremdsprache“, | |
sagt Kristin Studier, die am Goethe-Gymnasium in Demmin eine neunte Klasse | |
im Niederdeutschen unterrichtet. Dennoch sei der Status als Abiturfach die | |
logische Konsequenz, wenn die Sprache am Gymnasium angeboten werde, sagt | |
Studier. Die Zahlen könnten steigen, wenn mehr Kinder in unteren Klassen | |
Erfahrungen mit der Sprache machen. Das Ziel: der Spracherhalt. „Sie sollen | |
frei sprechen können, aber natürlich gehören auch korrektes Schreiben und | |
Grammatik zur Sprachkompetenz.“ | |
Ihre Kollegin Andrea Strichau-Plüg unterrichtet Plattdüütsch an der | |
Alexander-von-Humboldt-Schule im schleswig-holsteinischen Neumünster. Die | |
Lehrerin stammt aus der Region, für ihre Großeltern war Platt noch die | |
Alltagssprache, sie selbst hörte es als Kind. Dennoch zählt sie sich zu den | |
sogenannten verlorenen Generationen, wie heute viele Erwachsene im Norden. | |
Mehrere Jahrzehnte lang wurde den Kindern in der Schule verboten, platt zu | |
schnacken. Denn die Regionalsprache galt als bäuerisch, und wer Höheres | |
anstrebte, sollte sie rasch verlernen. So verschwand die Sprache aus dem | |
Alltag. Angehörige der folgenden Generationen verstehen Platt zwar, doch | |
ihnen fehlt der aktive Wortschatz. | |
Das soll sich wieder ändern. Dafür plant Andrea Strichau-Plüg, einen | |
Plattdeutsch-Grundkurs für alle fünften und sechsten Klassen ihrer Schule | |
anzubieten. So sollen möglichst viele Kinder zumindest ins Plattdeutsche | |
hineinhören. Die Humboldt-Schule liegt in einem Randbezirk der Stadt, viele | |
Kinder stammen aus dem Umland. „Das ist dörflich geprägt, also können die | |
Großeltern oft Platt und freuen sich, es mit ihren Enkeln zu sprechen.“ | |
Damit die Kinder nicht nur Texte lesen und im Unterricht sprechen, will die | |
Lehrerin einen „Platt-Cast“ starten. Die erste Ausgabe wird sich mit Eten | |
un Drinken, Essen und Trinken, befassen. Dafür gehen die | |
Sechstklässler*innen des Plattdüütsch-Kurses zum Interview in die Mensa | |
oder erzählen die lokale Sage vom Aalversuper, in der Dörfler*innen | |
einen räuberischen Aal bestrafen wollen, indem sie ihn „versupen“. Das | |
heißt nicht etwa „zu Suppe verarbeiten“, sondern „ertränken“ und rett… | |
Tier damit das Leben. | |
Die Themen seien fast egal, „Hauptsache, ich halte sie am Sprechen“, sagt | |
Strichau-Plüg. Ihr ist wichtig, das Niederdeutsche zu erhalten: „Es ist | |
Teil der Landesgeschichte, und wenn es verschwindet, hat es auch mit der | |
Unterdrückung der ursprünglichen Kultur zu tun.“ | |
So ein Schulangebot hätte auch Vanessa Teichmann gerne gehabt. Die | |
19-Jährige stammt aus einem Dorf bei Parchim, studiert aktuell in | |
Greifswald und nutzt jede Gelegenheit, Platt zu schnacken. Gelernt hat sie | |
die Sprache zusammen mit ihrer Mutter, die als Kita-Erzieherin Platt | |
unterrichten wollte. In ihrer Schule gab es erst eine Plattdüütsch-AG, als | |
Teichmann bereits kurz vor dem Abitur stand. „Dabei hätte ich es gern in | |
der Schule belegt“, sagt die Studentin, die sich bei den „Jungen Lüüd“ | |
engagiert, einer Gruppe von Nachwuchs-Plattschnackern. Weil es im Alltag | |
kaum Gelegenheit gibt, die Sprache zu sprechen, treffen sie sich in | |
Online-Gesprächsrunden über das „Plietschfon“, Smartphone, oder am | |
„Reekner“, dem Computer. | |
Die wichtigste Lobbyorganisation für den Erhalt der Regionalsprache ist das | |
Niederdeutschsekretariat mit Sitz in Hamburg. Sekretariatsleiterin | |
Christiane Ehlers hat die Entwicklung im ganzen Norden im Blick und weiß: | |
„Jedes Bundesland geht seinen eigenen Weg.“ | |
## „Plattdüütsch in den Ünnerricht“ | |
Hamburg war zwar Vorreiter, doch zurzeit wird die Sprache vor allem in den | |
Grundschulen der Hansestadt angeboten. Mecklenburg-Vorpommern geht weiter: | |
Das Land lässt Platt seit dem Schuljahr 2017/18 als Fremdsprache in allen | |
weiterführenden Schulen zu, bevorzugt Lehrkräfte mit | |
Niederdeutsch-Zertifikat bei der Einstellung und hat Profilschulen | |
eingerichtet. Eine Reihe von Modellschulen gibt es auch in | |
Schleswig-Holstein, aber das Land setzt vor allem auf freiwilliges | |
Engagement. | |
Das gebe es in vielen Orten, stellt Ehlers erfreut fest: „Die | |
Sprachförderung läuft aufgrund vieler Beteiligter inzwischen sehr | |
strukturiert.“ Niedersachsen, wo als [2][zweite Minderheitensprache | |
Saterfriesisch] gesprochen wird, setzt auf ein landesweites Beraternetz, | |
inzwischen sind über 40 Schulen als „Plattdeutsche Schulen“ ausgezeichnet, | |
2 als „Saterfriesische Schulen“. Vergleichsweise wenige Unterrichtsangebote | |
gibt es in Bremen. Während das Interesse auf Schüler*innenseite | |
wächst, fehlt es an Lehrkräften. | |
Sie zu gewinnen sei je nach Region „zum Teil herausfordernd“, sagt Karen | |
Nehlsen, Landesfachberaterin für Niederdeutsch beim Institut für | |
Qualitätsentwicklung an Schulen [3][Schleswig-Holstein] (IQSH). Wer in | |
Schleswig-Holstein Deutsch auf Lehramt studiert, befasst sich mit | |
Niederdeutsch und kann auch einen unterrichtsqualifizierenden Schwerpunkt | |
wählen. Im Vorbereitungsdienst belegen alle Lehrkräfte mit dem Fach Deutsch | |
ein Modul Niederdeutsch. Für ausgebildete Lehrkräfte bietet das IQSH die | |
Zertifikatskurse „Plattschool för Lehrers“ und „Plattdüütsch in den | |
Ünnerricht“ an, die gut angenommen würden, sagt Nehlsen, die auch an den | |
„Paul un Emma“-Schulbüchern mitgewirkt hat, die in ganz Norddeutschland | |
eingesetzt werden – in Mecklenburg-Vorpommern übrigens in Übersetzung, weil | |
dort Plattdeutsch nach anderen Schreibregeln gelehrt und gelernt wird als | |
im westlichen Sprachraum. | |
Da es kaum mehr plattdeutsche Muttersprachler*innen gibt, „legen wir | |
die Fremdsprachen-Didaktik an“, sagt Deutschlehrerin Kristin Studier aus | |
Demmin. „Allerdings erleichtert es das Vokabellernen, dass es dicht an der | |
Muttersprache dran ist.“ Die Lehrerin, die aus Sachsen stammt und | |
Plattdüütsch an der Uni Greifswald lernte, warnt jedoch auch: Es reiche | |
nicht, „einfach nur Wörter rund auszusprechen, damit es irgendwie platt | |
klingt“. | |
Ihre Kollegin Andrea Strichau-Plüg in Schleswig-Holstein jedenfalls ist | |
optimistisch, dass sich [4][verschüttete Kenntnisse] wieder aktivieren | |
ließen: „Die Sprache war und ist immer da. Man muss sich nur trauen zu | |
sprechen.“ | |
23 Mar 2023 | |
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## AUTOREN | |
Esther Geißlinger | |
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