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# taz.de -- Das Nordfriisk-Instituut in Bredstedt: Die Dialekt-Retter
> Das Nordfriisk-Instituut in Bredstedt erforscht Dialekte, kulturelle
> Eigenheiten und „Mentalität“ der Friesen. Wobei sich die nur grob
> umreißen lässt.
Bild: Hat die Friesen endlich vereint: das Nordfriisk-Instituut in Bredstedt
Bredstedt taz | Es ist kaum zu glauben: Da sind sie schon so wenige, und
dann leisten sie sich massig Varietäten: die Friesen, in Nord-, West- und
Ostfriesen nur unzureichend unterteilt – wobei die in den Niederlanden
lebenden 450.000 Westfriesen die größte einheitliche Sprechergruppe bilden.
Während Ostfriesisch ganz ausgestorben ist, hat jede nordfriesische Gegend
ihren eigenen Dialekt: Amrum, Sylt, Helgoland, Föhr, die Halligen, das
Festland.
Das ist auf den Inseln und im durch viele – einst schwer überwindbare –
Wasserströme gegliederten Marschland durchaus erklärlich. Und die Gemeinden
im emsländischen Saterland, [1][die das alte Ostfriesisch bewahrt haben],
waren von Mooren umgeben und gleichfalls unzugänglich. Da gedeiht Sprache
eigenständig und eigenwillig.
Erforscht wird das alles am [2][Nordfriisk-Instituut] in Bredstedt, dessen
Leiter seit vier Jahren der gelernte Archäologe Christoph Schmidt ist. Er
setzt auf Erforschung und Beförderung der Sprache, „denn das ist es, was
die Friesen eint, darum sammeln sich die Friesen.“ Obwohl es ein
„Hochnordfriesisch“, das alle mittragen würden, nicht gibt, sondern nur
besagte Dialekte. „Wenn wir ein Buch auf Sylter Friesisch herausgeben, wird
es auf dem Festland nicht gekauft und umgekehrt“, sagt er.
Um möglichst vielen Facetten gerecht zu werden, hat das Institut in den
letzten Jahren Wortbildungs-Handbücher mehrerer friesischer Dialekte
herausgegeben, um der Sprache wiederzugeben, was ihr jahrhundertelang
fehlte: die Verschriftlichung. Da Friesisch immer die Sprache der Fischer
und Bauern, aber nie Kirchen- oder Amtssprache war – das waren [3][Platt]-
oder Hochdeutsch – wurde es in Schulen nicht gelehrt. Die Sprecher*innen
konnten ihre Sprache also weder schreiben noch lesen.
## Friesische Literatur erst im 19. Jahrhundert
Erst im 19. Jahrhundert erschien erste Literatur auf Friesisch, begannen
Wanderlehrer mit selbst geschriebenen Lehrbüchern umherzuziehen. Bis heute
würden Unterrichtsmaterialien aus Kostengründen von Lehrerinnen und Lehrern
selber erstellt oder im Landesauftrag aus dem Plattdeutschen übersetzt und
von Ehrenamtlern korrigiert, sagt Schmidt.
Dabei hätten viele heutige junge Eltern das Friesisch nicht von ihren
Eltern gelernt, denn in den 1960ern, 70ern und 80ern wurde davon abgeraten.
Zweisprachigkeit galt als Gefahr, eine nicht hochdeutsche Muttersprache als
potenzieller Makel. Das Interesse sei heute bei Eltern und Kindern aber
grundsätzlich da, sagt Schmidt. „Um das in echte Nachfrage umzusetzen,
bräuchte man Angebote, die motivieren: hochwertiges Unterrichtsmaterial,
vollwertigen Unterricht sowie Lehrerstunden, die nicht zulasten anderer
Fächer gehen.“
„Bisher wird Friesisch fast ausschließlich in Grundschulen gelehrt, und
auch nicht kontinuierlich, sagt Schmidt. „Das zu ändern, ist ein Ziel
meiner Lobbyarbeit in der Politik.“ Auch das Nordfriisk-Instituut selbst
bekommt erst seit zehn Jahren eine verstetigte Finanzierung durch Land und
Bund. Heute firmiert es als An-Institut der Europa-Universität Flensburg,
wo die Institutsmitarbeiter auch unterrichten.
Entstanden ist das Institut aus einem Verein, der sich 1948 gründete, um
die Debatte um das Friesische zu versachlichen und sich vom Klischee des
vom NS-Regime propagierten blonden, blauäugigen, „arischen“ Friesen zu
befreien. Man versuchte, „die ideologische Vereinnahmung der Friesen im
Dritten Reich durch eine politisch wie national neutrale, streng
wissenschaftliche Arbeit zu friesischer Sprache, Geschichte und Kultur zu
überwinden“, steht auf der Homepage.
## Erst seit zehn Jahren stabil finanziert
Geld für ein Nordfriesisches Institut werde es aber nur geben, wenn die
jahrhundertealte innerfriesische Spaltung in „Deutsche“ und „Dänen“
überwunden werde, sagten die Regierungen beider Länder, als junge
Wissenschaftler darum ersuchten. „Das muss eine mühsame Pendeldiplomatie
von Verein zu Verein gewesen sein“, sagt Schmidt.
1965 schließlich wurde das Institut eröffnet. Aus der Laienbewegung war
eine wissenschaftliche Einrichtung geworden. „Wobei wir die Balance halten
müssen zwischen Elfenbeinturm und Populärwissenschaft, denn wir müssen
relevant bleiben für die, die uns tragen – etwa für den Verein mit rund 850
Mitgliedern“, sagt Schmidt. Die jüngst edierten sprachwissenschaftlichen
Bücher müssen daher auch für Laien verständlich sein und heißen
„Gebrauchsgrammatiken“.
Dabei sind es Pionierarbeiten. „Da haben sich Wissenschaftler mit
Muttersprachlern getroffen, Tonaufnahmen gemacht, verschriftlicht und
Aussprache und Grammatik mit älteren Vorlagen verglichen“, sagt Schmidt.
Und unter den Einsendungen des Institut-Erzählwettbewerbs „Ferteel
iinjsen!“ („Erzähl doch einmal“), den der NDR zusammen mit dem Institut
organisiere, seien immer wieder Dialekte, „von denen wir glaubten, dass sie
nur noch wenige und sehr alte Menschen sprechen“, sagt Schmidt.
Auch im „Futurum“, einer interaktiven Ausstellung im Institut, geht es
bodenständig zu: Beim Karaoke kann man Friesisch üben, anderswo ertasten,
aus welchen Materialien [4][Friesenhäuser] bestehen. Man kann aber auch in
die 15.000 Bände fassende Präsenzbibliothek oder ins Institutsarchiv gehen
und die Nachlässe nordfriesischer Forscher und Kulturschaffender sichten.
Wirtschaftsgeschichte im Miniformat bieten etwa die Koogsbücher aus dem 17.
und 18. Jahrhundert – Verrechnungsbücher, in denen steht, wie viel man
welchem Landarbeiter gezahlt hat, zu welchem Preis die eigenen Produkte auf
dem Markt weggingen oder welche Tiere angeschafft wurden. Spannend auch die
Unterlagen eines Vaters, der 1920, nach der Teilung Schleswigs, lange
versuchte, ein Visum für den Besuch bei seiner erwachsenen Tochter im nun
dänischen Landesteil zu bekommen.
## Friesische Migration war immer ein Thema
Wobei Aufbruch und Migration für die Nordfriesen immer Thema war: Nach der
[5][Sturmflut] von 1634, der „Groten Manndränke“ heuerten viele, die ihr
Land verloren hatten, auf niederländischen Schiffen an. Auch im 19. und 20.
Jahrhundert flohen etliche vor Armut, Weltwirtschaftskrise, dem NS-Regime,
meist in die USA. Etliche blieben, einige kehrten zurück – wie jenes
Ehepaar, das den „Manhattan“ nach Föhr brachte. Dieser New Yorker Cocktail
ist inzwischen Föhrer „Nationalgetränk“. Nur wenige wissen noch, warum.
Umso interessierter sind die Nachfahren der USA-Auswanderer: „Wir bekommen
immer wieder Anfragen von Menschen, die uns fragen, ob wir etwas über ihre
Familie wissen oder sagen können, wer wann auf welchem Schiff ausgewandert
ist“, berichtet Schmidt.
Oft kann das Institut helfen. Denn seit 1994 gibt es dort das
Nordfriesische Auswanderer-Archiv mit Dokumenten zu rund 5.000
Übersee-Auswanderern aus Nordfriesland. „Man sieht, Friesen sind keineswegs
so stur wie ihr Ruf“, sagt Schmidt. „Ich habe den Eindruck, aus der
Tradition der ‚friesischen Freiheit‘, möglichst viele Dinge selber zu
regeln, folgt ein gewisser Hang zur Anarchie. Der es manchmal nicht leicht
macht, aber mir doch ziemlich sympathisch ist.“
18 Jul 2022
## LINKS
[1] /Erhalt-der-Sprache-Saterfriesisch/!5834717
[2] https://www.nordfriiskinstituut.eu/
[3] /Niederdeutsch-im-Kommen/!5287076
[4] http://Arbeiten%20in%20der%20taz%20Abo%20Genossenschaft%20taz%20zahl%20ich%…
[5] /Deichbau-und-Groessenwahn/!5040553
## AUTOREN
Petra Schellen
## TAGS
Ostfriesland
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Schwerpunkt Stadtland
Plattdeutsch
Schwerpunkt Klimawandel
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