# taz.de -- Plattdeutscher Liedermacher: „Ich mochte den Sound nicht“ | |
> Helmut Debus musste die Sprache, in der er seine Lieder singt, erst | |
> entdecken. Platt hat für ihn nichts mit Gemütlichkeit und Heimatverein zu | |
> tun. | |
Bild: Helmut Debus in seinem Domizil in Brake | |
wochentaz: Herr Debus, Sie sind eigentlich gebürtiger Hesse. Das hört man | |
gar nicht heraus, wenn Sie sprechen. | |
Helmut Debus: Nee, das geht auch gar nicht, weil ich bin ja mit ein paar | |
Pfund wieder zurückgekommen. Mein Vater kommt aus diesem kleinen Dorf | |
Hartenrod aus Hessen und wollte in die Welt. Und der einzige Weg war die | |
Marine. Deshalb ist er hierher nach Brake gekommen. Er hat dann im | |
Tanzlokal Admiral Brommy beim Tanztee sonntags um 15 Uhr meine Mutter | |
kennengelernt, die von hier ist. Und so hat das seinen Gang genommen. Und | |
1949, als ich geboren bin, sind sie in sein Dorf zurück. Wie mir gesagt | |
wurde, um Holz zu holen. 1949 war eine arme Zeit. Ich erinnere mich noch | |
dran, weil mich das heute noch ekelt, dass wir jeden Morgen einen großen | |
Esslöffel Lebertran verabreicht kriegten, gegen den wir uns sträubten wie | |
sonst was. Ekelhaft. | |
Haben Sie dann von Ihrer Mutter zu Hause Platt gelernt? | |
Nein, es wurde nirgendwo zu Hause Platt gesprochen. Das war ja damals so, | |
was heute alle bedauern: [1][Man hätte zu große Schwierigkeiten in der | |
Schule gehabt.] Es gab das Urteil, dass Plattsprechen dumm ist, ein | |
bisschen bäuerlich. Ich komme aus der Feldstraße, das ist hier unterm | |
Deich, ein Kilometer von hier, und in unserer ganzen Straße arbeiteten alle | |
am Hafen oder waren Fischer. Wir waren als Kinder nur auf der Straße. Als | |
Kleinkinder sind wir an einen Baum im Garten angebunden worden und später | |
wurden wir rausgeschickt. Man sah sich nur zur Mittagszeit und zur | |
Abendzeit. Wir waren den ganzen Tag an der Weser. Das sind Eindrücke, die | |
prägen und für alles eine Blaupause sind. Die Binnenschiffer in unserer | |
Straße sprachen nur Plattdeutsch, aber nicht mit uns Kindern. Wir sollten | |
ja was werden. Aber Kinder haben einen unsichtbaren Trichter auf dem Kopf, | |
und da geht alles rein. | |
Sie sind also sozusagen zweisprachig aufgewachsen? | |
Ja, und das habe ich auch später erst begriffen. Das ist einfach da. Das | |
passiert einem. Und ich mochte die Sprache überhaupt nicht. In der | |
Jugendzeit sowieso nicht. 1966 hatten wir eine Band, die Madmen. Da haben | |
wir die englischen und amerikanischen Dinger gesungen, Yardbirds, Kinks und | |
so weiter. | |
Platt war für Sie das, was die alten Leute sprechen? | |
Genau. Ich mochte den Sound überhaupt nicht. Es wurde viel, viel mehr | |
getrunken als heute. Und wenn sie dann losgrölten, „Herr Pastor sin Kuh“ | |
und solche Dinger, wurde mir schlecht. Ich fand das schrecklich und habe | |
erst später, als die Band sich auflösen musste, weil einige zum Bund | |
mussten, die Sprache entdeckt, in mir sozusagen. Ich bin später darauf | |
gekommen, dass ein Grund vielleicht das große Schweigen zu Hause war. Mein | |
Vater schwieg. Wie alle anderen Väter auch. Dafür hat unsere Generation die | |
Väter angeklagt. Heute weiß ich, dass mein Vater Erlebnisse gehabt haben | |
muss, die er gar nicht erzählen konnte. Aber ich glaube, dass dieses | |
Schweigen damit zusammenhängt. Wie ich überhaupt glaube, wenn man irgendwas | |
so in der Richtung macht, wie sich das bei mir entwickelt hat, dass das mit | |
einem Mangel zusammenhängt. Dass man etwas sucht, was einem fehlt oder | |
wohin man zurück will – oder nach vorne. | |
Aber hätte das nicht auch Beatmusik auf Englisch sein können? | |
Wir haben die Songs gesungen und gar nicht verstanden. Was man mir heute | |
immer sagt: Ich finde das ja ganz toll, was du machst, aber ich verstehe | |
nicht alles. Meine Antwort ist dann: Ich auch nicht. Und das ist kein Witz, | |
weil es in meinen Texten Sätze, Bilder, Wörter, Zusammenhänge gibt, die ich | |
selber nicht verstehe. Das ist ein Geheimnis des Lebens und der Kunst, der | |
Poesie, dass man, wenn man eine Idee hat, wenn die Muse einen küsst, dass | |
man plötzlich merkt, das führt woanders hin, indem man versucht etwas | |
auszudrücken, dass es manchmal einen ganz anderen Verlauf nimmt. | |
Gibt es so was wie eine Initialbegegnung für die Idee, auf Plattdeutsch zu | |
singen? | |
Nein, das hängt mit der Findung der eigenen Sprache zusammen, dass ich | |
einfach gemerkt habe: Englisch ist es nicht. Das war nicht überlegt oder | |
bewusst. Und Deutsch war es auch nicht. Ich habe dann gemerkt: Platt ist | |
meine Herzenssprache, die Sprache, die tiefer ist, die eben nicht außen | |
liegt, sondern irgendwo anders liegt in dem Bereich, wo ich jetzt zuständig | |
bin für das, was ich mache. Heute weiß ich, dass, obwohl die Sprache viel | |
älter ist als das Deutsche, das ja eigentlich erst mit Luther zum Deutschen | |
wurde, dass Platt für mich viel jünger ist. Ich mache mal einen Umweg. In | |
den meisten der Millionen Songs, die es gibt, geht es um Liebe. Und da gibt | |
es für mich im Deutschen zu viele Phrasen, Klischees, Verbrauchtheit. Und | |
im Plattdeutschen ist es für mich neu. Da habe ich zum Beispiel so einen | |
Satz in einem ganz kurzen Lied: Twee sünd sich goot – zwei sind sich gut. | |
Das ist für mich ein wunderbarer Ausdruck. Und so gibt es ganz viele | |
Sachen, wo ich weiß und fühle, dass die Sprache bereit ist zu neuen | |
Wörtern. Ich erfinde auch Wörter, denn die Sprache hat sich ja | |
schriftsprachlich eigentlich nicht entwickelt. | |
Es gibt keine einheitliche Verschriftlichung? | |
Nee, nee, nee. Sie existiert praktisch seit der Hanse-Zeit gar nicht mehr | |
als Schriftsprache. Und wer treibt die Sprache voran? Es sind die | |
Schriftsteller. Das sind die Leute, die mit der Sprache umgehen, die | |
versuchen, die Welt zu verändern mit Sprache. Denn alles, was wir nicht | |
sprachlich ausdrücken können, haben wir auch noch nicht richtig im Griff. | |
Das finde ich so spannend. Ich habe eine unglaubliche Lust, in meiner | |
Herzenssprache zu schreiben. Meine Omi Käte sprach Plattdeutsch mit uns. | |
Wir durften das ja im Elternhaus nicht. Aber die Omi durfte. Und ich weiß | |
noch ganz genau, 1974 oder 1975 zeigte ich ihr meine ersten Texte. Sie | |
liest, guckt mich an und sagt: Helmut, was gehst du für sonderbare Wege? | |
Das ist nicht mehr unser Braker Platt! Und da hatte sie absolut recht. Das | |
hat mich auch vorwärts gebracht. Das hat mich irgendwie gereizt. | |
Wenn das jetzt nicht mehr „unser Braker Platt“ war, woher kam das „andere… | |
Ich weiß es nicht. Ich kannte ja nur das Braker Platt, das worüber die | |
Menschen geredet haben. Wetter. Dat un dat. Gestern an Strand, hes dat | |
sehen … Es werden Dinge geschildert, die realistisch sind, die passiert | |
sind. Das, wovon Songs, Poesie berichten, ist ja was ganz anderes. Das ist | |
der Versuch, die Welt zu verändern mit Sprache. Dinge auszudrücken, die | |
etwas auslösen, was einem selber guttut, was einem selber Trost gibt. Ich | |
muss es wirklich pathetisch sagen: Das Leben besteht aus Leid und Schmerz. | |
Jeder, der das leugnet, lügt. Es ist oft trostlos und langweilig. Und wenn | |
wir die Musik nicht hätten und die Kunst nicht hätten, die Poesie nicht | |
hätten, dann wüsste ich gar nicht, wie ich leben sollte. Und ich weiß: | |
unbewusst geht es jedem so, in welcher Form auch immer. Aber es ist ja auch | |
die Musik. Es ist eine Melodie. Es ist ein Geheimnis. | |
Ist Platt für Sie auch eine Sprache für den Alltag? Gibt es Leute, mit | |
denen Sie Platt sprechen? | |
Es ist kein Alltag mehr. Ich habe auf dem Deich jetzt nur noch zwei Leute. | |
Wenn wir uns treffen, verändert sich unser Gesicht und wir freuen uns. | |
Mit Ihrer Frau sprechen Sie nie Platt? | |
Nee. Wir haben auch mit unseren Jungs kein Platt gesprochen. Ich habe bei | |
entsprechenden Tagungen und so weiter von Wissenschaftlern erfahren, was | |
man machen sollte. Und bei mir ist hängen geblieben, dass es im Haushalt | |
eine Person geben muss, die mit den Kindern ausschließlich die Sprache | |
spricht. Wenn das wechselt, hat es keine Wirkung. Ich konnte das nicht | |
durchhalten und hatte auch keine Lust dazu. | |
Warum das? | |
Ich spreche gar nicht gern Plattdeutsch. Wenn ich die zwei Leute auf dem | |
Deich treffe, mache ich das gerne. Aber bei Interviews komme ich mir da wie | |
ein Zirkuspferd vor. Für mich ist Plattdeutsch keine theoretische Sprache. | |
Ich kann zwar auch in Plattdeutsch alles sagen, aber das ist mir zu | |
gemütlich. Insofern ist Plattdeutsch ein totes Pferd. Die Sprache wird ja | |
heute nur noch in der Tourismusindustrie als Folklore benutzt. | |
Es gab immerhin in den letzten Jahren ein paar jüngere Bands, die Platt | |
getextet haben … | |
Ja, zum Beispiel [2][De Fofftig Penns]. Da sagte deren Rapper Malte, dass | |
er das Wort „kommodig“ so toll findet. Das ist für mich ein Hasswort. Das | |
heißt „gemütlich“. Deshalb mochte ich die Sprache nie in der Jugendzeit. | |
Das war alles so piefig, klein, so stinkig. Das bestürzt mich ein bisschen, | |
muss ich sagen. Ich dachte, die wären heute weiter. Das kommt | |
wahrscheinlich von Oma und Opa. Es ist dieses Alte. Ihnen fehlt was in | |
dieser kalten Welt. Und dieses Plattdeutsch vermittelt etwas vom Ofen und | |
dem Bratapfel, der da draufliegt. Das erledigt sich von selbst. | |
Finden Sie das traurig? | |
Nein, auf gar keinen Fall! Ein Freund von mir sagt immer: Helmut, | |
Hauptsache, sie sind von der Straße weg. Aber dem Plattdeutschen nützt es | |
nichts, sondern es bringt diese Sprache genau in dieses Wasser, gegen das | |
wir gekämpft haben, als wir anfingen, der Dichter [3][Oswald Andrae] oder | |
Wolfgang Sieg. Die kämpften damals gegen das, was da war an Plattdeutsch. | |
Heimat ohne Brauntöne, das war unser Motto. Ich merke davon heute noch | |
Reste in diesen Heimatvereinen. Die haben mich auch anfangs eingeladen. | |
Aber die haben sehr schnell gemerkt, dass ich nicht zu ihnen gehöre. | |
Dagegen haben wir gekämpft seinerzeit. Vielleicht war das ein bisschen | |
ungerecht, aber man muss sich, um in eine neue Zeit zu gehen, abwenden. | |
Deshalb liebe ich HipHop. Das war für mich die erste Musik seit der | |
Beatzeit, wo ich gemerkt habe: Auch wenn das vielleicht ein Scheißtext ist, | |
haben die recht in ihrem Zorn. Ich liebe nach wie vor Tupac Shakur, Public | |
Enemy oder Eminem. Ich bin mit meinem Sohn Jonni immer zu allen Konzerten | |
gegangen. Ich stand immer hinten beim Mixer, um nicht aufzufallen. Der | |
drehte sich dann die Joints und reichte sie mir rüber, das war großartig. | |
Sie haben erzählt, wie Sie manchmal die letzten zwei Plattdeutschen auf dem | |
Deich treffen. Hat das auch etwas Melancholisches? | |
Nee, nee, überhaupt nicht. Ich erzähle mal von einem der beiden, der ist | |
zur See gefahren und seine Frau ist gestorben vor ein paar Jahren. Und er | |
erzählt eigentlich nur über seine Seefahrerzeit und ich saug das auf. Es | |
sind nicht Gespräche, wie wir sie hier führen. Eigentlich will man das auch | |
gar nicht. Wenn man jemanden trifft, hat der seine eigene Geschichte. An | |
der Sprache ist wirklich, und das merke ich auch bei dem, der mir am | |
wichtigsten ist von den zweien, das Schweigen. Also, dass jemand etwas | |
sagt. Und dann gibt es tatsächlich so ein Schweigen. Es ist nicht das große | |
Schweigen. Wenn zwei, drei Leute zusammen sind, ist normalerweise ein | |
ununterbrochenes Geplapper. Die Begegnung mit dem Nachbarn geht so: Moin! | |
Moin! Wo geiht? Geiht. Sölm? Ok. Wat Neies? Nix, denn seh to. Ebenso. Das | |
Schweigen, das ich meine. Das ist wirklich da. Und das finde ich ganz | |
großartig. Und das ist ein Wesen dieser plattdeutschen Sprache. Während in | |
der Sprache, in der wir jetzt sprechen, alles einfließt, was wir so | |
aufnehmen. Man wiederholt das, was man in einer Talkshow gehört hat. Man | |
wiederholt Sachen, von denen man eigentlich gar keine Ahnung hat. Diese | |
paar Leute, mit denen ich Platt rede, sind irgendwie in der Sprache | |
vorsichtiger. Das finde ich ganz interessant. Das kann auch damit | |
zusammenhängen, dass man nach Worten sucht, weil die nicht irgendwo gelesen | |
oder gehört wurden. | |
Ihr aktuelles Album heißt „Angst legg di slapen“, Angst, leg dich schlafen. | |
Ist das die poetische Reflexion auf die Zeit, in der wir leben, mit Corona | |
und dem Ukrainekrieg? | |
Eindeutig ist das die Grundstimmung. Was ich erzählt habe von der Freiheit | |
der Kunst und so weiter, das ist natürlich nicht wie in diesem berühmten | |
Wort „Leben einzeln und frei wie ein Baum“, sondern man ist Teil, und | |
gerade in der letzten Zeit haben wir alle gemerkt, wie wichtig der andere | |
ist. Wir haben gemerkt, wie empfindsam das Leben ist und was passieren | |
kann. Worauf wir keine Antworten haben. Wir leben in Unsicherheit, in | |
totaler Unsicherheit, und das ist sozusagen der Menschheit bewusst | |
geworden. Ob wir was richtig Gutes daraus ziehen, weiß ich nicht. Ich habe | |
da meine Zweifel. Aber es hat auf jeden Fall was in uns allen verändert, da | |
bin ich ganz sicher. | |
5 Jun 2023 | |
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Andreas Schnell | |
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