| # taz.de -- Kunstausstellung: 300 mal Martin Kippenberger | |
| > Der Künstler ist untrennbar verbunden mit Kreuzbergs Boheme und dem SO | |
| > 36. Der Hamburger Bahnhof ehrt ihn ab heute mit einer Retrospektive | |
| Bild: Das Phänomen Kippenberger ist ein unentwirrbares Knäuel aus Legenden un… | |
| „Heavy Burschi“: Mehr als alle anderen kunsthistorischen Etiketten passt | |
| dieser selbstironische Titel eines seiner Bilder auf Martin Kippenberger. | |
| Der harte Bursche, der Macho und Säufer hat sich im kollektiven Gedächtnis | |
| fester eingenistet als der Maler, Installationskünstler, Performer, | |
| Bildhauer, Fotograf, Verleger oder Musiker. | |
| Dass der Hamburger Bahnhof nun dem 1953 in Dortmund geborenen Kippenberger, | |
| der am Montag 60 Jahre alt geworden wäre, eine große | |
| [1][//www.hamburgerbahnhof.de/exhibition.php?id=39503&lang=de:Retrospektive | |
| ] ausrichtet, ist „sehr gut/very good“ – so der Titel der Schau. Denn tro… | |
| diverser Rückblicke in den letzten Jahren bildet das „Phänomen | |
| Kippenberger“ ein unentwirrbares Knäuel aus Legenden und Anekdoten, hinter | |
| dem die Ästhetik dieses Mannes verschwindet. | |
| Die Flut höchst privater Reminiszenzen an den einstigen bad guy des | |
| deutschen Kunstbetriebs derzeit belegt: Es scheint einfacher, Kippenbergers | |
| Leben als seine Kunst zu erinnern. Das ist kein Wunder. Denn bei kaum einem | |
| Künstler, Joseph Beuys vielleicht ausgenommen, verschmolzen Leben und Werk | |
| so zu einem Amalgam wie bei dem Mann, der 1976 sein Studium an der | |
| Hamburger Kunstakademie abbrach, um dann zu einem der deutschen | |
| Künstlerstars aufzusteigen. Interdisziplinarität ist eine zu sterile | |
| Vokabel dafür, wie er Kunst, Musik, Performance, Happening und Politik | |
| verschaltete. Und alles zusammen dann, unter großem Gelächter, mit sich | |
| selbst. | |
| ## Held des Nachtlebens | |
| Doch obwohl er ein veritables „Oeuvre“ hinterlassen hat: Das Bild des | |
| Helden des Berliner Nachtlebens vor dem Mauerfall strahlt immer noch heller | |
| als etwa das des Erschaffers der Serie „Unsinnige Bauvorhaben“. Dabei | |
| schaffte es der improvisierte Eingang zu einem fiktiven U-Bahn-System 2003 | |
| bis in den Deutschen Pavillon nach Venedig und 2007 auf die Kasseler | |
| Documenta. Und wer erinnert sich noch an die Tankstelle in Brasilien, die | |
| Kippenberger 1986 in „Martin Bormann Gas Station“ taufte? Stattdessen reden | |
| alle über das SO 36. | |
| Natürlich hat das seinen Grund: Berlin war das Labor, in dem Kippenberger | |
| seinen Spagat zwischen Hoch- und Subkultur probte. Hier begann er, 24 Jahre | |
| alt, als Künstler, Publizist, Sammler, Galerist und Autor zu agieren. Vor | |
| allem aber als Selbstdarsteller. In die Frontstadt des Kalten Krieges war | |
| er 1977 gezogen, nachdem er in Florenz endgültig den Versuch aufgegeben | |
| hatte, ein klassischer Künstler zu werden. | |
| Wie er schon in Italien Vita und Werk verschmolz, zeigen die 100 | |
| Schwarz-Weiß-Bilder im Stil Gerhard Richters, die er damals in drei Monaten | |
| malte. Aufeinandergestapelt sollten sie seine Körpergröße von 1,89 Metern | |
| ergeben: Der Kippenberger ist das Maß aller Dinge. | |
| Auch in der WG in der Zossener Straße, in die er zunächst gezogen war, | |
| machte er noch „Bilder“: eine Collage aus 1.300 Fotos, die die Kreuzberger | |
| Szene um Claudia Skoda oder Bruno Brunnet zeigte, vergleichbar mit der | |
| Kunst Nan Goldins. Kurze Zeit später bezog er eine Fabriketage am | |
| Segitzdamm, die er sich mit der späteren Galeristin Gisela Capitain teilte: | |
| eine Mischung aus Künstleratelier und öffentlichem Ort nach dem Vorbild von | |
| Andy Warhols Factory. | |
| „Kippenbergers Büro“ nannte er die Räume, in denen er den Künstlern aus … | |
| Kreuzberger Szenelokal „Exil“ eine Bühne bot. Wo er mit der Zeitung „sehr | |
| gut/very good“ eine Kreuzung aus Warhols „Interview“ und der englischen | |
| Yellow Press aus der Taufe hob. Wo er sich als Dienstleister für | |
| „Vermittlung, Beratung, Bilder“ versuchte. Oder mit den „Neuen Wilden“ | |
| Rainer Fetting und Helmut Middendorf Filme und Diashows zeigte. | |
| Bei aller selbstzerstörerischen Exaltiertheit: Umstandslos unter die | |
| Neoexpressionisten subsumieren lässt sich Kippenberger nicht. Als er zu | |
| seinem Abschied aus Berlin 1981 in der NGBK die Ausstellung „Lieber Maler, | |
| male mir …“ eröffnete, hatte er die riesigen, fotorealistischen Werke von | |
| Plakatmalern anfertigen lassen und sich selbst „Malverbot“ erteilt. | |
| Deutlicher konnte die Absage an seine neuwilden Freunde nicht ausfallen, | |
| die das expressive Künstlersubjekt vergötzten. | |
| Ins Zentrum des Kippenberger’schen Mythos stößt man aber über das | |
| legendenumwobene SO 36. In den Kreuzberger Punkladen hatte sich | |
| Kippenberger 1978 eingekauft. Zum Einstand feierte er dort seinen 25. | |
| Geburtstag unter dem Motto: „1/4 Jahrhundert Kippenberger, als einer von | |
| Euch, mit Euch, unter Euch“. Bands aus aller Welt traten auf, Kippenberger | |
| spielte mit seiner Gruppe „Luxus“. In dem abgerockten Schuppen kam es auch | |
| zu dem legendären Angriff auf den Möchtegernpunk Kippenberger. Echte | |
| Kreuzberger Punks schlugen ihm den Kopf blutig. Was der Künstler später in | |
| seiner Werkserie „Dialog mit der Jugend“ verarbeitete. | |
| ## Performance pur | |
| Kippenberger und Berlin, das waren im Grunde nur drei rauschhafte Jahre. | |
| Und Performance pur: Als Kippenberger nach Paris umzog, hatte der | |
| heißgelaufene Impresario noch kein zusammenhängendes, vermarktbares Werk | |
| vorzuweisen. Das, was in den Folgejahren entstand, zeigt jedoch bis heute | |
| Wirkung. Noch 2008 ereiferte sich Papst Benedikt XVI. gegen Kippenbergers | |
| Werk „Zuerst die Füße“ aus dem Jahr 1990, ein ironisches Selbstporträt in | |
| Form eines gekreuzigten Froschs. | |
| Und Kippenbergers zum geflügelten Wort geronnener Bildtitel „Ich kann beim | |
| besten Willen kein Hakenkreuz entdecken“ aus dem Jahr 1984 wirkte plötzlich | |
| wie ein ironischer Kommentar zum Einzug der umstrittenen Kunstsammlung | |
| Friedrich Christian Flick in den Hamburger Bahnhof. In ihr hängt das Bild | |
| bis heute. | |
| Ob es nun der exzessive Alkoholkonsum war, die rauschhafte Überproduktion | |
| oder die flamboyante Selbstdarstellung – dass er sich nach den Jahren des | |
| „jugendlichen Übermuts“ (Kippenberger) mit seiner neuen Frau Elfie Semotan | |
| 1996 auf einem Bauernhof in Österreich niederließ, hat ihm nichts genutzt. | |
| Am 7. März 1997 starb er in Wien an den Folgen einer Leberkrebserkrankung, | |
| 44 Jahre alt. | |
| 22 Feb 2013 | |
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| ## AUTOREN | |
| Ingo Arend | |
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