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# taz.de -- Ausstellung des Künstlers Wols: Zerbrechliche Welt
> Ein großer Maler und Säufer: Zu seinem 100. Geburtstag erinnern Museen in
> Dresden, Bremen und Wiesbaden an den Künstler Wols.
Bild: "La ville abrupte" von Wols (1943).
„Diese Doppeldeutigkeit betrifft mich“, schreibt Jean-Paul Sartre über die
Bilder von Wols. „Sie hört nicht auf, mich zu beunruhigen.“ Der Philosoph
sah in ihnen eine „permanente Transsubstantiation“, ein Kollabieren von
Subjekt und Objekt, unfassbar, der Zuständigkeit der Sprache entzogen. Doch
als Wols 1951 stirbt, kennen ihn indes nur Eingeweihte der Pariser
Nachkriegs-Intelligentsia.
Die meisten aber hegen allenfalls Mitleid mit Wols. An seinem Tod mit 38
überrascht nur, dass er in Gestalt eines dummen Unglücks daherkommt –
Fleischvergiftung, schlecht behandelt. Schon als Wols 1939 als feindlicher
Ausländer auf eine perverse Tournee durch Frankreichs Internierungslager
geschickt wird, hatte er begonnen, sich beharrlich und unaufgeregt in
Richtung Tod zu saufen.
In den Lagern fängt er an, regelmäßig zu zeichnen. Beide Beschäftigungen
setzt er nach Kriegsende fort. Als ihn 1947 die Amerikanerin Ione Robinson
besucht und fragt, warum er den ganzen Tag Rum trinke, antwortet Wols, das
sei doch völlig egal: „Manche Menschen müssen jeden Tag baden, andere
Gymnastik treiben.“
Dank des Basler Piet-Meyer-Verlags liegen Robinsons berührende Reportage
„Stunden mit Wols“ nun erstmals auf Deutsch vor. Denn am 27. Mai 1913 ist
Alfred Otto Wolfgang Schulze, der Künstlername beruht auf einem
Telegrafisten-Fehler, in Berlin geboren. Drei Ausstellungen nehmen sich
seiner an – viel für einen, den wahrzunehmen dem Massenpublikum nur in
jener kurzen historischen Phase glückte, in der die Frage nach radikal
neuen Wegen noch nicht ganz durch die Doktrin des Wiederaufbaus
überschrieben war.
## „Das große Mysterium“
Die letzte Schau, „Das große Mysterium“, eröffnet Mitte Oktober in
Wiesbaden. In Dresden, wo Wols die Jugend verbracht hat, zeigen die
Staatlichen Kunstsammlungen ihn seit Pfingsten als Fotografen. Denn Anfang
der 1930er hatte Schulze bestechende Schwarzweißaufnahmen gemacht, mit
tollem Gespür fürs Spiel von Licht und Schatten und einem surrealistischen
Blick fürs Detail: eine zersplinterte Zelluloidpuppe auf regennassem
Kopfsteinpflaster oder eine ängstlich aneinandergedrängte Schar roher
Bratwürstchen.
Den Anfang gemacht hat hingegen Bremen. Die dortige Kunsthalle tritt mit
dem Titel „Wols – Die Retrospektive“ recht dickhosig auf: fantastische 38
der insgesamt 80 Ölgemälde, eine erschlagende Menge Zeichnungen plus
Extrafotos, phatt! Auch der Katalog setzt auf Masse.
Klar, um Unbekanntes bekannt zu machen, muss man’s zeigen. Aber:
Monumentalismus steht gerade den kleinformatigen Tuschbildern schlecht.
Denn es lässt sich ja nichts Zarteres, nichts Zerbrechlicheres und
Eigensinnigeres denken als so eine zerfasernde Wols’sche Linie, die
anarchisch, keck, ängstlich und beängstigend die Welt erkundet. In Bremen
nun treten diese Papierarbeiten in Kompaniestärke an, ordentlich in Reih
und Glied – präsentiert das Bild! Statt ihre radikale Individualität zu
offenbaren, werden die Blätter durch die Hängung fast in eine vermeintliche
Serialität gedrängt.
Deren Wechsel von Wiederholung und Variation gleicher Gestaltungsvokabeln
ist nützlich, um die Fiktion von guten und schlechten Werken zu generieren:
Hier geht’s um Wertermittlung. Und dazu passt, dass die Kunsthalle den
Frankfurter Kunsthändler Ewald Rathke damit beauftragt haben, die Bilder an
die Wand zu bringen. Als Galerist hat der sich spezialisiert auf den An-
und Verkauf von – Wols. Als Experte authentifiziert er dessen Werke für
Auktionshäuser. Dadurch, das ist ein ausstellungstaktischer Coup, ist er
bestens verdrahtet mit den Wols-SammlerInnen.
## Es wirkt wie Verrat
Museumspolitisch hingegen ist dieser Eingriff des Markts ins Museum
zweifelhaft. Und gemessen an Wols’ eigener Ästhetik wirkt Rathkes Tun wie
Verrat. Denn Wols hat das Prinzip der Autorschaft sehr bewusst überwunden:
Einen Riss im Straßenbelag ernennt er zu einer seiner Zeichnungen.
Mit Ehrfurcht, fast neidisch, blickt er auf eine durch Einschläge von
Pistolenkugeln gesprungene Glasscheibe: „Nie wird das meiner Malerei
gelingen“. Zum Anderen: Ein Bild zu verkaufen empfindet Wols als zutiefst
unmoralisch. Er lehnt es ab, und dass seine Frau es tut, um das Überleben
und den Rum zu sichern, empfindet er als Demütigung. Zum Jubeltag hätte man
sie ihm ersparen können.
Um Wols zu feiern, bleibt in Bremen nur, aus der irritierenden Fülle sich
auf ein einziges Werk zu konzentrieren, in Wols’ Praxis des Malens durch
die allmähliche Zerstörung des Bildes einzutauchen: die Aufschwemmung, das
Zerkratzen planvoll und mit spontaner Wucht gegen die Leinwand
geschleuderter Farben. Denn natürlich sind diese Werke Kunst und längst
eingemeindet ins Marktgeschehen. Aber sie können noch Welten sein. Und als
die hat Wols sie geschaffen.
28 May 2013
## AUTOREN
Benno Schirrmeister
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