# taz.de -- Kunsthallen-Chef Grunenberg über Museumsarbeit: „Mir geht’s um… | |
> Dem viel verachteten Friedensreich Hundertwasser hatte Christoph | |
> Grunenberg seine erste große Ausstellung als Chef der Bremer Kunsthalle | |
> gewidmet – die nächste zeigt Wols, den großen Verkannten. | |
Bild: Allmählich kann das Aufarbeiten der verdrängten Aufbrüche der Nachkrie… | |
taz: Herr Grunenberg, sind Sie gerne in Bremen? | |
Christoph Grunenberg: Aber ja. Ich glaube, es wäre auch nicht gut, ein | |
Museum in einer Stadt zu leiten, in der man sich nicht wohlfühlt. Man muss | |
vernetzt sein, die Leute kennen lernen, die Stadt, wie sie sich anfühlt… | |
Wie fühlt sich Bremen an? | |
Schon ganz eigen. Also: Ich komme ursprünglich aus Frankfurt am Main, und | |
dass der Unterschied so frappant ist, hätte ich nicht erwartet. Als Stadt | |
ist Bremen jedenfalls erstaunlich angenehm, so kompakt und trotzdem eine | |
vollständige Großstadt. | |
Und was bedeutet das für die Museumsarbeit? | |
Das ist natürlich eine interessante Herausforderung – weil man sich fragen | |
muss, wie sich das Museum in einer Stadt nach einem gerade vollendeten | |
Anbau weiterentwickeln lässt. Welche Rolle spielt das Museum in Bremen und | |
für das Image der Stadt? Wie kann man die Institution Museum neu erfinden | |
und relevant bleiben? Das Schwierigste ist dabei natürlich, die Sammlung | |
auszubauen, insbesondere durch die Preisexplosion am Kunstmarkt. | |
Sie müssen die guten Sachen vor dem Hype entdecken… | |
Aber das kann nur gelingen, wenn man entsprechend breit einkauft: Auf diese | |
eine Künstlerin oder diesen einen Künstler zu setzen – das wäre zu | |
gefährlich. | |
Dabei sind Museen auch Teil dieses Hypes, weil sie kaufen, bevor die | |
KünstlerInnen durchgesetzt sind – und setzen durch den Erwerb ein Signal | |
der Wertbeständigkeit… | |
Die Macht der Museen darf man an dieser Stelle nicht überschätzen. Wenn wir | |
etwas ankaufen, hat das weniger Bedeutung als noch vor etwa 30 Jahren: Die | |
Privatsammler und die kommerziellen Galerien sind mittlerweile oft | |
einflussreicher. | |
Die verkaufen allerdings auch immer wieder Werke. Für Museen ist das | |
bislang ein Tabu: Bleibt’s dabei? | |
Ich denke doch. Natürlich könnte man sagen: Wir haben die Keller voller | |
Sachen, die wir ohnehin nie zeigen werden, die sollten wir vielleicht | |
verkaufen. | |
Aber? | |
Einerseits wären das wohl ohnehin nicht besonders wertvolle Arbeiten – und | |
die zu verkaufen, würde sich finanziell nicht lohnen. Andererseits: Was im | |
Museum gelandet ist, sollte dort bleiben. Wir haben eine Verantwortung, | |
Kunst zu bewahren und zu pflegen, unabhängig von ihrem Geldwert – teilweise | |
sogar von ihrem kunsthistorischen Wert. Geschmacksveränderungen lassen sich | |
nicht voraussagen. | |
Welcher Wert ist denn in der Kunst der faszinierendere? | |
Das kann man sich schon fragen: Bei den Millionensummen, die auf dem | |
Kunstmarkt bewegt werden, geht es um die Selbstdarstellung von Reichtum, um | |
Glamour – das hat eine eigene Faszination. Aber die sinnliche Präsenz des | |
Originals hat für mich eine davon unabhängige, eigene Attraktivität. | |
Wichtig für ein Museum. | |
Ja. Menschen kommen ins Museum, um Originalen zu begegnen. Wobei das genau | |
die andere große Herausforderung ist: Sich der Frage zu stellen, wie junge | |
Leute Kunst wahrnehmen. Das verändert sich gerade, und zwar rapide. Dem | |
dürfen sich Museen nicht verschließen. | |
Es sei denn, man gibt das Museum als Prinzip auf? | |
Ein paar radikale Denker sagen: Museen sind schon obsolet. Das findet | |
künftig alles nur noch im digitalen Universum statt. Aber das halte ich für | |
falsch. Auch neuesten Kunstentwicklungen haben noch eine physische, | |
visuelle Manifestation. | |
Wo liegen dabei Ihre persönlichen Leidenschaften? | |
Mir geht es schon um das Erlebnis. | |
Also wie schon mit der Hundertwasser-Schau: Kunst mit sehr viel Farbe? | |
Nicht unbedingt. Das Erlebnis kann spektakulär sein oder auch sehr spröde. | |
Ich glaube, man muss immer versuchen, mit dem Publikum zu sprechen. | |
Wie jetzt – sprechen? | |
Das heißt zum Beispiel, durch eine besondere Installation von Werken zu | |
kommunizieren. Bekanntes neu zu inszenieren. Oder auch ein Publikum mit | |
banaler Schönheit anzusprechen. | |
Banale Schönheit? | |
Das heißt nicht, dass die Sachen oberflächlich wären. Man könnte auch | |
Warhol für banal halten, oder sagen: Matisse ist banale Schönheit, | |
schließlich fordert der ja Einfalt des Geistes vom Maler… | |
… oder Hundertwasser. Waren Sie denn zufrieden mit der Resonanz? | |
Aber ja! Wobei: Ich wusste zwar, dass Hundertwasser ein belasteter Name | |
ist. Aber wie weit das geht, wie tief da die Vorurteile sitzen, das hat | |
mich überrascht. | |
Die Ausstellung fand ich überzeugend – hatte aber erst fast Angst davor, | |
weil mir das Oeuvre teilweise zu aufdringlich scheint… | |
Das ist es ja auch! Da gibt es ein Problem in seinem Werk, das lässt sich | |
nicht verneinen. Und das hätten wir auch gar nicht gewollt. Aber es besteht | |
nicht nur daraus. Und diese unbekannte, verdeckte Seite zu zeigen, das ist | |
letztlich doch sehr gut angekommen. Und ich denke, da haben wir auch einen | |
Bewusstseinswandel angestoßen. Viel mehr kann eine Ausstellung ja nicht | |
leisten. Und trotz kurzer Vorbereitungszeit und knappem Marketingbudget | |
sind 140.000 BesucherInnen gekommen. | |
Das klingt aber wenig, verglichen mit den früheren Bremer | |
Großausstellungen. | |
Ist es aber nicht. Wir hatten sogar mit geringerem Zuspruch gerechnet. Die | |
großen Ausstellungen hier, Monet, Munch, van Gogh – das waren alles | |
Klassiker der Moderne. Und Hundertwasser ist ein Künstler der | |
Nachkriegszeit, der vor etwas mehr als zehn Jahren gestorben ist. Das ist | |
eine andere Kategorie. | |
Genau wie Wols, den Sie als nächstes zeigen – und den wirklich nur ein paar | |
Eingeweihte kennen. Ist das programmatisch, dass Sie auf Kunst seit dem | |
Zweiten Weltkrieg setzen? | |
Ja und nein: Ich finde die Abfolge jetzt auch interessant. Was wir ja | |
gerade demonstriert haben war, dass für Hundertwasser die Zeit in Paris, | |
die Begegnung mit dem Informel absolut prägend war… | |
… also der aus der Geste entwickelten Malweise, zu deren Hauptvertretern | |
Wols zählt. | |
Im Grunde reizt mich, herauszufinden, ob sich die beiden dort nicht | |
getroffen haben. Wo Sie Recht haben: Beim Ausstellungsmachen geht es auch | |
um die Frage: Wo kann man heute noch Entdeckungen machen, wo findet man die | |
großen Unbekannten? | |
Klar – nach 1945… | |
Wobei Hundertwasser natürlich eher zu bekannt ist – aber eben auch nur ein | |
Teil des Werks, der alles andere überlagert: Insofern ließ sich bei ihm | |
etwas entdecken. Und Wols ist ein echter Unbekannter. Das ist erstaunlich: | |
Er spielt ja ohne Frage eine wichtige Rolle in der Kunstgeschichte, seine | |
Werke sind intensiv, brutal… | |
… und selbstzerstörerisch? | |
Auf jeden Fall. Wobei wir versuchen, vom biografischen Zugang dort ein | |
wenig wegzukommen. Aber – er ist ja nicht mal 40 Jahre alt geworden – man | |
kann dieses Kriegserlebnis, die Internierung, die materielle Not, die | |
Alkoholsucht, all das auch nicht vollkommen ignorieren. Da ist etwas | |
Existentialistisches drin. | |
Sie meinen impulsiv? | |
Die Werke sind nicht in irgendeiner Rage geschaffen, das nicht. Sie sind | |
total bewusst gestaltet. Man sollte ihn deshalb aber nicht auf einen | |
Verzweiflungskünstler reduzieren. Dazu war er viel zu intelligent. Die | |
Arbeiten haben aber etwas sehr Direktes, sehr Physisches. Ich glaube, das | |
wird schon eine große Überraschung, diesen Künstler mal wieder nach 25 | |
Jahren so konzentriert mit so vielen Arbeiten zu sehen. | |
Dass Wols in Vergessenheit geraten konnte, versteht ja keiner, der ihn | |
kennt; gleichzeitig ist das so etwas wie ein Kollektivschicksal der | |
Informel-Künstler. Spielt da auch Verdrängung eine Rolle? | |
Da ist sicher was dran. Allerdings hat das Informel bei einigen schnell | |
etwas sehr Gefälliges, Theatralisches bekommen: Da scheint oft der | |
Zeitgeist durch, das schreit 50er-Jahre – und damit hängt dieses gewisse | |
Vergessen der gesamten Generation zusammen. | |
Aber Kleinmeister gibt’s in jeder Stilrichtung. Und Wols war ja | |
ausdrücklich keiner… | |
Das stimmt: Es ist schon erstaunlich, zu sehen, nicht nur wie viele völlig | |
unbekannte Namen es dabei gibt, sondern auch, wie viele der Werke man jetzt | |
allmählich wieder anschauen kann: Die Aufarbeitung findet langsam wirklich | |
statt. Es war teilweise zu unbequem, teilweise zu dekorativ – und wenn man | |
die Formate und die Intensität der amerikanischen Maler dagegen betrachtet, | |
die damals aufkamen, dann verliert das Informel meist. | |
Ihr Vorgänger hatte für seine großen Ausstellungen immer ein Werk der | |
Sammlung als Ausgangspunkt gewählt. Das fassen Sie anders. | |
Nach der Methode wären uns über kurz oder lang auch die Meisterwerke | |
ausgegangen. Aber es stimmt: Hundertwasser war sicher ein bewusster | |
Versuch, etwas zu nehmen, was in der Sammlung keine Rolle spielt. | |
Und Wols hat gar keinen Bezug zur Bremer Kunsthalle… | |
Der fehlt in der Sammlung. Aber immerhin gibt es einen Bezug zu Bremen, zur | |
Hollweg-Stiftung, die eine der besten Wols-Sammlungen der Welt beherbergt. | |
2 Apr 2013 | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
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