# taz.de -- Burroughs-Schau in Hamburg: Hommage an einen Unfassbaren | |
> Der Autor und Künstler William S. Burroughs ist eine Kultfigur. Eine | |
> Ausstellung in den Hamburger Deichtorhallen versucht, ihm auf die Spur zu | |
> kommen. | |
Bild: Auf einer Leinwand läuft „A Thanksgiving Prayer“, ein von Gus Van Sa… | |
Er war der intellektuelle Kopf der Beatgeneration. Und zugleich deren Ikone | |
– neben Allen Ginsberg und Jack Kerouac. So jedenfalls haben ihn etliche | |
Musiker, Schreiber, Filmemacher – David Cronenberg, Patti Smith, John Cage, | |
Lou Reed, Kurt Cobain – genannt, auch wenn er selbst Zuschreibungen | |
ablehnte: Der US-amerikanische Autor und Künstler William S. Burroughs | |
(1914–1997), dem derzeit eine Ausstellung in den Hamburger Deichtorhallen | |
gilt, wetterte gegen jede Vereinnahmung und Kontrolle. | |
Burroughs war Einzelgänger – und voller Widersprüche. Er wirkte | |
gesellschaftspolitisch, ohne explizit politisch zu sein, er lebte eine | |
intensive Verschmelzung von Leben und Kunst und sagte dann, seine Biografie | |
sei Fiktion. | |
Und er schuf 1957 einen Roman, der auch mutigen Verlagen ihre Grenzen | |
aufwies: „Naked Lunch“ hieß er und war voll der Brutalitäten und | |
Obszönitäten der New Yorker Schwulen- und Drogenszene, die er aus eigener | |
Erfahrung kannte. Zusammengesetzt war das Werk aus „Routines“: auf | |
unsortierten Blättern notierten Beobachtungen, Epigramme, Notizen, die er | |
zufällig zusammen- und neuen Kontexten aussetzte, den „Cut-ups“, die er | |
gemeinsam mit dem Autor Brion Gysin erfunden hatte. | |
„Naked Lunch“ war mit seiner den Surrealismus fortführenden | |
Strukturlosigkeit ein wichtiger Antiroman. Und ein Skandal. Aufgrund des | |
Themas wollte ihn niemand publizieren. Also wurden die radikal | |
antibürgerlichen Texte in Heftchen fast samisdatartig verteilt und in der | |
Counterculture-Szene schnell Kult. | |
## Cut-up-Methode | |
Später dehnte Burroughs die Cut-up-Methode auf die bildende Kunst aus: | |
Texte, Fotos, und Zeichnungen brachte er zusammen, schließlich auch | |
Tonbandaufnahmen, Filme und computergesteuerte Transmutationen. Die | |
„Expanded Media“-Methode war geboren und Burroughs zum Vorreiter der | |
modernen Multimediakunst geworden. | |
Er war süchtig nach seinen Cut-ups. Sie waren sein Spiel, seine Sinnsuche, | |
die natürlich mit der Dekonstruktion von Text, Sinn und Weltwahrnehmung | |
begann. Er wollte an den Ort, an dem ein Wort noch undefiniert und intuitiv | |
aufgenommenes Zeichen ist. Er wollte zerschneiden, auch Identität, und | |
damit an die tibetische Chöd-Tradition und deren halb spirituelle, halb | |
psychedelische Praktiken anknüpfen. Dazu passte sein Drogenkonsum und sein | |
Experimentieren auch mit Scientology-Methoden des Brainwashing. | |
All das ergründete er zwischen Reisen und Katastrophen: Immer wieder floh | |
er, der mit Drogen handelte, vor der Polizei, wechselte von Kansas über | |
nach Paris und London, dann nach Tanger, Mexiko und wieder in die USA. 1951 | |
erschoss er im Alkoholrausch seine Frau Joan. Ein Trauma, von dem er sich | |
nie erholte, das aber seinen Schreibdruck enorm erhöhte. | |
Wie soll man so einen in einer Ausstellung fassen? Der Hamburger | |
Kunstsammler Harald Falckenberg, der die Schau zusammen mit dem Karlsruher | |
ZKM erstellte, wollte, wie er sagt, „das Phänomen Burroughs sichtbar | |
machen“. „Alle reden von Burroughs’ Wirkung, aber keiner weiß, wer er wa… | |
Das ist nur konsequent, denn Burroughs wollte ja das Ego zerstören – warum | |
ist es dann ausgerechnet kuratorisches Programm der Ausstellung, es wieder | |
zusammenzuflicken? Muss nicht der Versuch, den Blick auf ein unscharfes | |
Phänomen zu schärfen, wieder beim Kult oder bestenfalls in einem sehr | |
subjektiven Burroughs-Bild zu enden? | |
## Zerschnittene Schreibmaschinenseiten | |
Die Hamburger Ausstellung bestätigt all diese Bedenken: Sie zeigt Harold | |
Chapmans Fotos des Hotels, in dem die „Beats“ Burroughs, Ginsberg und | |
Kerouac lange residierten. Sie zeigt das Viertel in London, wo er wohnte – | |
und immer wieder Fotos und Riesenvideos mit Burroughs’ Konterfei. Dazu gibt | |
es Requisiten: zerschnittene Schreibmaschinenseiten samt Messer, die | |
„Dreamachine“ – eine bunt flirrende Drehlampe, in deren Lichtspiele er si… | |
versenkte, – sowie Wände mit Buchausgaben. | |
Darunter auch der gemeinsam mit Brion Gysin edierte Band „The Third Mind“. | |
Später dann: Burroughs’ intuitiv-kalligrafische Ölbilder, umzingelt von den | |
„Collaborations“ – mit Robert Rauschenberg, Keith Haring, Robert Wilson, | |
Anthony Balch und anderen gemeinsam geschaffene Werke. Bis heute zitieren | |
Künstler seine Themen, Titel, Sentenzen, Techniken – Mike Kelly etwa, der | |
auf einem stilisierten Verkehrswarnschild die Kopfschüsse auf Joan | |
verewigte. Oder Lorena Herrera Rashid, deren angebrannter Teppich „Star | |
Bang“ heißt. | |
Es gibt vieler solcher Erben, und die Schau ist gut geeignet, zur | |
Pilgerstätte zu werden. Aber die Leerstelle Burroughs zu füllen, das | |
schaffen all diese Evokationen nicht. Das tun, ganz ohne Zutun der | |
Kuratoren, glücklicherweise Burroughs’ Werke selbst: die Shotgun Paintings, | |
Farbexplosionen, die entstanden, nachdem der Pazifist und Waffenfetischist | |
Burroughs auf Spraydosen geschossen hatte. Später schoss er auch auf | |
Leinwände und Rahmen. Scharf gesplitterte Löcher blieben zurück. | |
Diese rohe Energie, mit der der Urgrund von Bild und Weltwahrnehmung | |
durchstochen wird: Sie ist tatsächlich eine authentische Spur, die die | |
Verfasstheit und die Rastlosigkeit jenes Mannes ahnen lässt, der seine | |
stärkste Kette übrigens zeitlebens nicht sprengen konnte: seine | |
Drogensucht. Ihr ist er trotz zweier Entzugsversuche zeitlebens nicht | |
entkommen. | |
## Bis 18. 8. 2013, Deichtorhallen, Hamburg | |
Bis zum 18. August 2013, [1][Deichtorhallen Hamburg] | |
18 Mar 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://www.deichtorhallen.de | |
## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
Petra Schellen | |
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