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# taz.de -- Antikriegsklassiker von Dalton Trumbo: Bewusstseinsstrom eines Vers…
> Der Antikriegsklassiker „Johnny got his gun“ von Dalton Trumbo erschien
> bereits 1939. Jetzt hat ihn der Berliner Verlag Onkel & Onkel neu
> aufgelegt.
Bild: Felix Gephart hat die Neuauflage von Trumbos Roman feinsinnig illustriert.
Wenn Gespenster auftauchen, scheint die Wirklichkeit verrückt. Ein
Versehrter findet keinen Frieden. Die Literaturgeschichte kennt viele
dieser leidvollen Geschichten. Doch das Schicksal von Joe Bonham ist selbst
unter diesen nahezu beispiellos.
Der Kommunist und Drehbuchautor Dalton Trumbo (1905–1976) erzählt es in
seinem Roman „Johnny got his gun“, der erstmals 1939, kurz nach dem
Überfall der Nazis auf Polen, erschien. Als 20-Jähriger zieht der
Amerikaner Bonham in den Ersten Weltkrieg. Auf einem Schlachtfeld in
Frankreich schlägt eine deutsche Granate neben ihm ein.
Doch Bonham stirbt nicht, er überlebt verstümmelt: Er verliert sämtliche
Gliedmaßen. Sein Gesicht wird ihm fast vollständig weggerissen. An dessen
Stelle tritt ein „Loch“. Im Krankenhaus erwacht er taub, stumm und blind.
Als einziges Sinnesorgan verbleibt ihm die Haut, mit der er Berührungen
sowie die Temperaturwechsel der Tageszeiten wahrnimmt.
Aber Bonham kann denken. Er beginnt – nachdem er gelernt hat, seine
Albträume und die unfassbare Realität zumindest in Teilen
auseinanderzuhalten – ein Selbstgespräch. Der Berliner Verlag Onkel & Onkel
hat den zuletzt vergriffenen Antikriegsklassiker 2012 neu aufgelegt, in
einer Neuübersetzung von Tina Hohl, die Bonhams Bewusstseinsstrom sehr
gerecht wird.
## Radikale Lyrik
Bonhams Gedanken lassen keine Kommata zu. Der Krieg zerstört die ordnenden
Elemente der Sprache. Nur finale Satzzeichen gesteht ihm Dalton Trumbo zu.
Vereinzelt erinnert das an die radikale Lyrik des deutschen Expressionisten
August Stramm, der 1915 in der Ukraine fiel und seine Gedichte direkt von
der Front an den Verleger schickte. Wobei Stramm die Syntax gleich sämtlich
zertrümmerte.
So weit lässt es Trumbo nicht kommen. Bonhams Gedanken leben von
erschütternder Einfachheit. Es ist der Kampf eines Jungen um das
Rudimentärste – um einen Fetzen Menschsein:
„Auch er war schließlich ein Gefangener in der engsten Zelle von allen der
Zelle seines eigenen grässlichen Körpers und wartete nur auf die Erlösung
durch den Tod. Gott hilf uns dachte er Gott hilf all uns Sklaven.“
## Zwang zur Annäherung
Nur schwer kann man sich solch eine brutale Isolation überhaupt vorstellen.
Darin liegt aber die Stärke von Trumbos Roman, dessen vorliegende Ausgabe
Felix Gephart feinsinnig illustriert hat.
Man erliegt widerwillig dem Zwang, sich dem Leidenden zu nähern. Man folgt
den tröstlichen Erinnerungen eines äußerlich Zerstörten: einer Angeltour
mit dem Vater, Adoleszenz, ersten vorsichtigen Liebschaften, erstem Sex,
dem ersten Job.
Unterbrochen werden die Fragmente von wahnhaften Angstzuständen, etwa dass
sich eine Ratte an einer offenen Wunde zu schaffen machen könnte: „Ihre
kleinen Kiefer kauten kauten kauten.“
## Zynischer Existenzialismus
Mühsam versucht Bonham eine eigene innere Uhr zu entwickeln und liefert
sich einem zynischen Existenzialismus aus: „Das war genau wie in der
Gebärmutter nur dass ein Baby in der Gebärmutter sich auf die Zeit freuen
konnte in der es leben würde.“
Schließlich gelingt es ihm, sich mit rhythmischen Kopfbewegungen, die als
Morsezeichen dienen, einer Schwester mitzuteilen. Bonhams sehnlichster
Wunsch aber, noch einmal ins Freie, unter Menschen gebracht zu werden,
bleibt ihm der „Vorschriften“ wegen verwehrt.
Er wird zum Gespenst, zu einem „Toten, der lebt“. Man könnte ihm
wiederbegegnen auf jedem Schlachtfeld, in das die Medien hineinzoomen,
eingedenk einer Erkenntnis Platons: „Nur die Toten haben das Ende des
Krieges gesehen.“
6 Jun 2013
## AUTOREN
Jan Scheper
## TAGS
Krieg
Literatur
Kunst
Kunst
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