# taz.de -- Ausstellung in Berlin: Versteckte Gewalt | |
> Als die Moderne Afrika entdeckte: Kader Attia, Geheimtipp der letzten | |
> Documenta, befragt diesen Augenblick kritisch in den Kunst-Werken Berlin. | |
Bild: Eine Ansicht aus der Installation "Mimesis as resistance" von Kader Attia… | |
Reparaturen sind praktisch. Manchmal sogar unumgänglich. Trotzdem haftet | |
ihnen ein Makel an. Ob es sich nun um einen gestopften Strumpf, ein | |
ausgebessertes Automobil oder einen notdürftig zusammengeflickten Menschen | |
handelt – Repariertes wirkt unschön, final lädiert. Spätestens mit Kader | |
Attia gilt nun auch das Gegenteil. Denn bei dem französisch-algerischen | |
Künstler wird diese Notoperation gleichsam zur Basis der Schönheit. | |
Das Werk des 1970 in Frankreich Geborenen war einer der Geheimtipps auf | |
Carolyn Christov-Bakargievs Documenta 13 im Sommer letzten Jahres. Die | |
versteckte Gewalt in seiner Installation „The Repair“ im ersten Stock des | |
Fridericianums saß den Besuchern im Nacken. In einem Stahlregal standen | |
große Holzbüsten mit verdrehten Nasen, eingedrückten Augen und | |
zerschnittenen Lippen. | |
Dass Attia mit ihnen aber nicht nur vor den Gräueln des Krieges warnen | |
wollte, konnten sie auf einer Videoleinwand verfolgen. Denn neben den | |
Bildern schwer verwundeter Soldaten im Ersten Weltkrieg, von denen diese | |
Büsten inspiriert waren, tauchten dort auch solche afrikanischer Masken | |
auf. Auf denen ganz ähnliche Wunden plötzlich vollkommen normal wirkten. | |
## Komplexer Metaphernmix | |
Attias vielgelobte Arbeit war ein komplexer Metaphernmix mit einer | |
dialektischen Ästhetik. Er holte einen Fetisch aus dem Fundus, ohne den die | |
klassische Moderne nicht zu dem Kapitel der Kunstgeschichte geworden wäre: | |
die afrikanische Maske. Mit ihr verarbeitet er eine kulturenübergreifende | |
Gewalterfahrung. Daraus entsteht ein Kunstwerk. Das aber wieder das | |
klassische Schönheitsideal in Frage stellt. | |
Natürlich ging es Attia auch um die Struktur der (post-)kolonialistischen | |
Wahrnehmung. Denn die Holzskulpturen hatte er von Holzschnitzern aus dem | |
Senegal herstellen lassen. Die Blöcke aus Carrara-Marmor mit den | |
afrikanischen Gesichtern direkt daneben hatten italienische Steinmetze | |
gemeißelt. Die einen bilden die Physiognomie der anderen nach – bei Attia | |
wurde die Kunst zum Medium der kulturellen Empathie. | |
Reparatur nicht als Unfall, sondern als ästhetisches Prinzip, gar als Code | |
der Evolution – in den Berliner Kunst-Werken hat Attia den Kasseler | |
Paukenschlag nun zur großen Oper ausgebaut. Denn in der Ausstellung | |
„Repair“ verfolgt er sein Leitmotiv in fünf Kapiteln durch Kultur, Natur | |
und Wissenschaft bis hin zur Politik. Deswegen sieht man hier noch einmal | |
Skulpturen wie die in Kassel. Aber auch ausgestopfte Geparde, | |
wissenschaftliche Instrumente und jede Menge Fundstücke aus der kolonialen | |
Mottenkiste: zum Beispiel Blechdosen des in Frankreich populären | |
Schokoladengetränks „Banania“ mit dem Signet des „freundlichen Mohren“. | |
## Ein ungutes Gefühl | |
Trotzdem beschleicht einen in dieser Schau ein ungutes Gefühl. Das mit | |
Attias Hang zu aufgesetzten Metaphern zu tun hat: Den vernähten Spiegeln | |
etwa, mit denen er auf die Operationstechniken der plastischen Chirurgie | |
verweist, die der französische Anatom Jean Marc Bourgery schon 1830 | |
benutzte. Oder den mit Spiegelsplittern besetzten Holzmasken, vor denen man | |
„das Eigene“ im „Fremden“ erblickt. | |
Am meisten aber stört, dass Attia seinen skulpturalen Kunstgriff zur | |
kulturanthropologischen Großtheorie aufblasen will. In der die Artefakte | |
als Beweisstücke einer „Weltentstehungslehre der Reparatur“ dienen. Mal | |
kommt die als Kulturtheorie daher, in der die Grenzen zwischen Reparatur | |
und „Wiederaneignung“ fließend werden. | |
Die dem Befreiungstheoretiker Frantz Fanon entlehnte Frage aber, ob sie als | |
antikolonialistische Strategie taugt, bleibt im Dunkeln. Wie genau Blues, | |
Salsa oder Merengue, die die Nachfahren der Sklaven in Nord- und Südamerika | |
entwickelten, in Afrika wieder eine neue Bild- und Musikkultur ausbildeten, | |
kann der Besucher Attias Videoshow am Beginn der Schau nicht ansehen. Ohne | |
jede Dramaturgie folgen da Bilder von Plattencovern mit nigerianischem | |
Boogie auf solche des Afro-Funk der 70er Jahre aus Lagos oder von Jazz aus | |
Timbuktu. | |
## Der australische Prachtleierschwanz | |
Ins Biologistische changiert Attias Entstehungslehre dann in dem Video | |
„Mimesis as Resistance“. Die Arbeit zeigt einen australischen | |
Prachtleierschwanz bei seinen Gesängen während der Balzzeit. Der | |
fasanähnliche Singvogel bietet dabei ein erstaunliches Repertoire virtuos | |
appropriierter Klänge auf. Dazu gehören die anderer Vögel, aber auch | |
technische Klänge: von der Kettensäge über das Klicken einer Kamera bis zum | |
Heulen einer Alarmanlage. | |
Die Mimikry an eine Zivilisation, die diesem Kleinod der Natur den Garaus | |
zu machen beginnt, gebiert hier eine bizarre Schönheit, die allerdings nur | |
dem kulturbegabten Menschen auffällt. Das aufschlussreiche Video selbst ist | |
leider keine Kunst. | |
## ■ Kader Attia: „Reparatur. 5 Akte“. Kunst-Werke, bis 25. 8. 2013. Zur | |
Ausstellung wird eine Publikation im diaphanes-Verlag erscheinen. | |
6 Jun 2013 | |
## AUTOREN | |
Ingo Arend | |
## TAGS | |
Kunst | |
Kunstausstellung | |
Afrika | |
Architektur | |
Design | |
Skulptur | |
Architektur | |
Krieg | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Symposion zu Architektur und Gestaltung: Konspiration mit Stift und Knete | |
Können Architektur und Gestaltung emanzipieren? Darum ging es im Berliner | |
Haus der Kulturen der Welt, angeregt durch die Bauhaus-Avantgarden. | |
Afrikanische Moderne in Weil am Rhein: Mach es zusammen mit anderen | |
Zwei Ausstellungen im Vitra Design Museum zeigen aktuelles Design aus | |
sieben afrikanischen Ländern und die Architektur der Dekolonisierung. | |
Kunst auf dem platten Land: Stimmige Ortswahl | |
Endlich wieder der ursprüngliche Charme des Provisorischen und Beiläufigem: | |
die 19. Rohkunstbau Ausstellung in Roskow. | |
12. Triennale Kleinplastik: Neues Sehen durch Gurkengläser | |
Grandiosen Entwürfen wird misstraut: Die 12. Triennale Kleinplastik in | |
Fellbach bei Stuttgart schneidet Utopien lieber auf ein menschliches Maß | |
zu. | |
Soziale Architektur: Urbane Akupunktur | |
Die Ausstellung „Think global, build social!“ im Deutschen Architektur | |
Museum in Frankfurt zeigt Ethik und Ästhetik im baulichen Einklang | |
Antikriegsklassiker von Dalton Trumbo: Bewusstseinsstrom eines Versehrten | |
Der Antikriegsklassiker „Johnny got his gun“ von Dalton Trumbo erschien | |
bereits 1939. Jetzt hat ihn der Berliner Verlag Onkel & Onkel neu | |
aufgelegt. |