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# taz.de -- Kunst auf dem platten Land: Stimmige Ortswahl
> Endlich wieder der ursprüngliche Charme des Provisorischen und
> Beiläufigem: die 19. Rohkunstbau Ausstellung in Roskow.
Bild: Margret Eichers Teppichkunst als Bodenkissen.
Dass moralisches Verhalten zwangsläufig zum Besseren führt, bezweifelt
Zlatko Kopljar. Darf man annehmen, als kroatischer Künstler habe er
besonderen Anlass, skeptisch zu sein? Ob nicht der, der seine Hände in
Unschuld wäscht, am Ende seinen Kopf in Blut taucht? So wie er es in einer
siebenteiligen Fotoserie zeigt.
Kopljars düstere Arbeit macht den Auftakt zur 19. Rohkunstbau-Schau im
havelländischen Roskow. Und wohin man auch schaut in dem zehnteiligen
Kunstparcours, es wimmelt nur so von moralischen Dilemmata und
Moralskepsis. Auch Valérie Favre arbeitet mit dem Bild der Hände, die man
in Unschuld waschen möchte, wenn sie vor ihr Diptychon „Moral“ ein Stück
Seife hängt.
„Die Sonne um Mitternacht schauen (blue)“ nennt Katharina Sieverding ihre
Arbeit aus dem Jahr 2013, in der sie den glühenden Feuerball mit blauer
Folie überzogen hat. Aus über 100.000 frei zugänglichen Bildern der Nasa
zusammengestellt, demonstriert ihre serielle Reihung: Überall droht die
moralische Sonnenfinsternis.
Rohkunstbau, der Name, den der Stahnsdorfer Augenarzt Arvid Boellert, der
Gründer der Schau, seiner Ausstellung für Gegenwartskunst 1994 gab, wirkt
in diesem Jahr besonders sinnfällig. Denn im Innern von Schloss Roskow, das
diesmal den Schauplatz der privaten Initiative hergibt, knarren die Dielen
und außen bröckelt der Putz.
## Zehn viel versprechende Künstler und Künstlerinnen
So bildet der dreiflügelige Barockbau, der Anfang des 18. Jahrhunderts als
Landsitz des altmärkischen Adelsgeschlechtes von Katte errichtet und nach
dem Krieg erst als Flüchtlingslager und dann als Schulgebäude genutzt
wurde, eine gleichermaßen rohe wie romantische Kulisse für die zehn
vielversprechenden Künstler aus aller Welt, die jedes Mal dabei sind.
Das Aus der Schau schien ja schon besiegelt. Im letzten Jahr hatte das Land
Brandenburg dem Unternehmen die Fördergelder gestrichen. In den kleinen,
beziehungsreich inszenierten Ausstellungen wurden große Themen freilich oft
besser abgehandelt als auf vielen Biennalen – selbst dort, wo Mark
Gisbourne, der britische Kurator, sie mit einem etwas überambitionierten
Überbau versah. Seit 2011 gibt etwa Wagners „Ring“ die Hintergrundmusik ab,
vor der Themen wie Macht und Moral behandelt werden. Wobei: Wirklich
stringent verfolgt Gisbourne seine These dann doch nicht.
Philip Fürhöfers beleuchtete Skulpturen aus gebogenem Plexiglas haben damit
nicht viel mehr zu tun, als dass sie das dramatische Prinzip der Oper
aufrufen, mit den Titeln „Freischütz“ und „Wolfsschlucht“ allerdings a…
Weber verweisen. Ming Wongs Videoarbeit „Making Chinatown“ kennt Wagner
noch weniger. In ihr unterläuft der Künstler aus Singapur die
Geschlechterrollen in Roman Polanskis Klassiker dadurch, dass er alle
Rollen selbst spielt.
Wer den Überbau des Unternehmens vergisst, kann die Schau am besten
genießen, die wieder den Charme des Provisorischen und Beiläufigen
verströmt, der am Beginn des Ausstellungsprojekts stand und später schwerer
Bedeutungshuberei wich.
## Das Jahr Pause hat dem "Rohkunstbau" gut getan
Musste bei der letzten Ausgabe unbedingt noch EU-Kommissionspräsident
Barroso den Schirmherrn machen, kommt sie diesmal ohne politische Überväter
aus. Und statt der aufwändigen Farbkataloge funktioniert das fotokopierte
Begleitheft in Schwarz-Weiß auch ganz gut. Der abgespeckte Etat und das
Jahr Kunstpause haben „Rohkunstbau“ sichtlich gut getan.
Auch die Ortswahl ist in diesem Jahr besonders stimmig. Schloss Roskow ruft
noch einmal den paradigmatischen Konflikt zwischen öffentlicher Moral und
privatem Begehren auf, den Mark Gisbourne zum Leitthema bestimmt hat.
Bekanntlich musste Friedrich von Preußen 1730 vom Fenster seiner Küstriner
Gefängniszelle zusehen, wie sein Offizierskollege und mutmaßlicher
Intimfreund Hans Hermann von Katte enthauptet wurde, weil er dem damaligen
preußischen Kronprinzen angeblich zur Flucht vor seinem Vater nach
Frankreich hatte verhelfen wollen.
Nur wenige Arbeiten nehmen den Kontext des Ortes auf. Margret Eichers
Wandteppiche thematisieren den Wechsel von der Aristokratie zur Prominenz.
Auf ihnen tummeln sich statt Adelsensembles Ikonen der postmodernen
Alltagskultur: Lara Croft, der russische Putin-Kritiker Michail
Chodorkowski oder der Gangster-Rapper Nelly. Am deutlichsten schlägt noch
der Berliner Künstler Michael Wutz den Bogen zum Schloss und dem Fall
Katte.
Wutz spielt auf das Wagner-Motiv Inzest an, wenn er mit bunter Kreide den
fiktiven Stammbaum des Adelsgeschlechts auf eine Schultafel malt. Das sieht
aus wie eine Mischung aus Joseph Beuys und Rudolf Steiner. Auf den
Radierungen und Collagen seiner raumfüllenden Installation finden sich
Totenköpfe, die in Vogelnestern liegen. Wieder so eine düstere Botschaft
eines Kurators, der Moral am liebsten als tragische Kategorie aufruft. Wer
sie beschwört, endet in ihren Schädelstätten.
29 Aug 2013
## AUTOREN
Ingo Arend
## TAGS
Barock
zeitgenössische Kunst
Parteien
Skulptur
Kunst
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