| # taz.de -- Künstler im Wahlkampf: Sie opfern ihre Freiheit der Macht | |
| > Leichtfertig werben Schriftsteller für Parteien. Die Schriftstellerin | |
| > Tanja Dückers meint, Intellektuelle sollten eine andere Rolle spielen. | |
| Bild: SPD-Freund Günter Grass zeigt wo es lang geht. | |
| Es gibt Grund genug, sich in den Wahlkampf einzumischen: Wir werden mit | |
| Billigung der Bundesregierung in einer Weise überwacht, gegen die Georg | |
| Orwells Visionen harmlos erscheinen, wir erleben angesichts von | |
| bedrückenden Klimaprognosen hilflose Politiker, wir nehmen staunend zur | |
| Kenntnis, dass die von der Regierung geretteten Banken die gleichen | |
| unseriösen Geldprodukte verkaufen wie ehedem. | |
| Wenn man sich unsere Gesundheits- und Sozialpolitik vor Augen führt, | |
| erleben wir eine Renaissance der Klassengesellschaft, gar nicht zu reden | |
| vom versuchten Ausverkauf von Allgemeingut (Stichwort: Wasser). Wir blicken | |
| auf eine zerrüttete EU-Politik mit unklaren Folgen für die Zukunft, wir | |
| werden Zeugen einer katastrophalen Flüchtlingspolitik an den Küsten | |
| Europas. | |
| Die Frage ist nur: Wie reagieren Intellektuelle auf all diese Missstände? | |
| Wie mischen sie sich ein? In den vergangenen Jahren haben sich die Parteien | |
| darauf kapriziert, Schriftsteller und Kulturschaffende für sich zu | |
| gewinnen. Ihr Vorteil aus solch einer Anwerbung ist evident. Einige | |
| Parteien haben ihre klassischen Stammwähler verloren, sie müssen sich, wie | |
| die SPD, neue Milieus erschließen. Die FDP wiederum möchte schicker, jünger | |
| aussehen, vom Image der Zahnarzt- und Anwaltspartei wegkommen. | |
| Aber warum sollten Künstler – abgesehen vom gelegentlichen kritischen | |
| Austausch mit Politikern – parteipolitische Werbung machen? Nicht nur | |
| Günter Grass, den mit der SPD eine lange persönliche Geschichte verbindet, | |
| auch jüngere Kollegen finden sich auf Podien ein und geben ihre politische | |
| Farbwahl bekannt. Warum sollten sie sich freiwillig, ohne Not, an die Seite | |
| der Macht oder der Macht von Morgen stellen? | |
| ## Denkfaulheit und Bequemlichkeit | |
| Sie, die wie nur wenige auf der Welt keine Firma, keine Institution oder | |
| gar den Staat als Arbeitgeber im Rücken haben oder vertreten müssen, die | |
| nur für sich stehen und dennoch öffentlich viel Gehör finden, sollten die | |
| Freiheit ihrer fabelhaften unabhängigen Position niemals aufgeben! | |
| Wenn man bedenkt, dass die versuchte Verpflichtung der Literatur auf | |
| Propagandazwecke in diesem Land erst vor verhältnismäßig kurzer Zeit – 1945 | |
| bzw. 1989 – überwunden wurde, kann es einen wundern, wie leichtfertig | |
| Künstler, insbesondere Schriftsteller, heute bereit sind, sich einer Partei | |
| zur Verfügung zu stellen. Sie geben den Posten des neutralen Beobachters | |
| auf, obwohl sie auf ihrem ureigenen Feld, der Literatur, sehr gut | |
| politische Fragen verhandeln können – kaum ein Werk von Weltrang, das nicht | |
| von innen heraus ein gesellschaftspolitisches Porträt liefert. | |
| Sich unisono einer Partei zur Verfügung zu stellen bedeutet Ja sagen zu zig | |
| Positionen, denen man für sich betrachtet oft nicht zustimmen würde; das | |
| hat mit einem unabhängigen Urteil nichts zu tun. Von den Medien wird der | |
| Schriftsteller dann für die nächsten Jahrzehnte als Teil dieser Machtsphäre | |
| wahrgenommen. Das haftet ihm an, ob die Partei, die er beworben hat, | |
| vielleicht in einen Krieg zieht oder uns ausspähen lässt oder nicht. | |
| Warum also das grassierende parteipolitische Engagement? Ich fürchte, da | |
| sind Denkfaulheit und Bequemlichkeit im Spiel: Man will ein bisschen | |
| politisch sein, das ist wieder hip, aber zu viel Arbeit möchte man sich | |
| nicht machen. | |
| ## Positionen ja, Parteien nein | |
| Also: einfach mitmachen, im Blitzlichtgewitter stehen, unterschreiben, Ja | |
| Sagen, anstatt für sich selbst zu erörtern und zu formulieren, was genau | |
| einem änderungsbedürftig erscheint, wogegen man protestieren oder wofür man | |
| mit Verve eintreten möchte. Natürlich kann und sollte man als | |
| Intellektueller für bestimmte Inhalte und Positionen eintreten, aber nicht | |
| mit Haut und Haaren für eine ganze Partei. | |
| Ich weiß, wovon ich spreche. Ich bin gebeten worden, Wahlkampf zu betreiben | |
| – von einer Partei, der ich vermutlich meine Stimme geben werde. Ich habe | |
| abgelehnt. Nicht weil ich unpolitisch bin, sondern gerade weil ich | |
| politisch bin. Unter politisch sein verstehe ich bei Intellektuellen: | |
| unabhängig im Urteil zu sein und Distanz zur Macht zu wahren. | |
| 30 Aug 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Tanja Dückers | |
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