# taz.de -- 12. Triennale Kleinplastik: Neues Sehen durch Gurkengläser | |
> Grandiosen Entwürfen wird misstraut: Die 12. Triennale Kleinplastik in | |
> Fellbach bei Stuttgart schneidet Utopien lieber auf ein menschliches Maß | |
> zu. | |
Bild: Kontemplative Weide: Luis Camnitzer, "Landscape as an Attitude" (1979). | |
Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen. Mit diesem Spruch pflegte Kanzler | |
Helmut Schmidt Ende der siebziger Jahre seine linken Kritiker abzukanzeln. | |
Die Utopieskepsis des pragmatischen Sozialdemokraten mag zu Zeiten | |
notorischer Zukunftshoffnung provoziert haben. Doch wer sich heute an einem | |
Plädoyer für die rar gewordene Substanz Utopie versucht, ist gut beraten, | |
das gut zu begründen. | |
Zwar will der Homo sapiens irgendwie immer über sein tägliches Klein-Klein | |
hinaus. Im historischen Rückblick ist das 20. Jahrhundert aber eines der | |
blutig gescheiterten Großentwürfe. Da liegt die Frage zwingend nahe, wie | |
neue Utopien ohne humanitäre Katastrophen zu realisieren wären. | |
Bei diesem Dilemma kam Angelika Nollert und Yilmaz Dziewior die | |
Kleinplastik zu Hilfe. Einerseits reizte es die beiden Ausstellungsmacher, | |
die Kunst, dieses grandiose Reservelager der Utopien, neu zu öffnen. | |
Andererseits liegt dem schnell als „niedlich“ unterschätzten Format die | |
historisch gebotene Vorsicht dem Grandiosen gegenüber sozusagen im Blut. | |
## Utopisches Kapital | |
Doch wie sich daraus utopisches Kapital schlagen lässt, zeigt die | |
Fellbacher Triennale für Kleinplastik besonders anschaulich. Die Direktorin | |
des Neuen Museums in Nürnberg und der Chef des Kunsthauses Bregenz haben | |
die 12. Ausgabe der 1980 gegründeten Schau in diesem Jahr gemeinsam | |
kuratiert. | |
Ganz verschwunden sind die großen Utopien nicht. So jedenfalls könnte man | |
Yutaka Sones Arbeit „Green Jungle“ von 1999 interpretieren. Der 1965 | |
geborene Künstler hat aus befeuchtetem Seegras und Rinde eine Installation | |
geformt, die die Ahnung einer Natur-Utopie in die Alte Kelter von Fellbach | |
bringt. | |
Die Arbeit des Japaners nimmt auch das charakteristische Motiv der Insel | |
auf, das Thomas Morus in seinem Roman „Utopia“ von 1516 vorgab. Der | |
Berliner Architekt Arno Brandlhuber hat die Stellwände der letzten | |
Ausstellung einfach um 90 Grad gedreht. Nun kann man die Werke der 55 | |
internationalen Künstler in Fellbachs Alter Kelter quasi auf einem 3.000 | |
Quadratmeter großen Parcours hölzerner Inseln umschiffen. | |
## In mehrere Teile zersägt | |
Heute käme gewiss niemand mehr auf die Idee, ein fünf Meter hohes Modell | |
zur Lobpreisung der kollektiven Produktivkraft zu errichten wie Wladimir | |
Tatlin 1918 in Petersburg sein „Monument der Dritten Internationale“. | |
Demonstrativ hat Danh Vo seine titellose Skulptur von 2008 in mehrere Teile | |
zersägt und diese in Reisetaschen und Rollkoffer verstaut: Der gebürtige | |
Vietnamese macht seine im Internet ersteigerte Skulptur des heiligen Josef | |
aus dem 16. Jahrhundert zum Symbol der Demontage des utopischen Fetischs. | |
Ganz ausgedient als zentraler Referenzpunkt für die Utopie hat die | |
Russische Revolution aber noch nicht, wie man an der Arbeit „Ciudad Roblada | |
(Red)“ des kubanischen Künstlers Carlos Garaicoa. Aus 96 revolutionsroten | |
Bristolkartons hat der 1967 geborene Künstler auf vier Tischen | |
architektonische Grundformen wie Brücken oder Türme ausgeschnitten und | |
aufgeklappt: Der Betrachter ist aufgefordert, sich die Stadt der Zukunft | |
aus diesem Arsenal selbst zusammenzusetzen. | |
Die Ausstellung besticht, weil sie sich auf keinen Utopiebegriff festlegt. | |
Die Spanne reicht von den poetischen Kosmen Günter Haeses aus den 60er | |
Jahren – filigranen Gebilde aus Drähten und Spiralen – bis zu den Trapezen, | |
Kegeln und Platten aus dem Jahr 2013, die Rita de León ausgebreitet hat. | |
Bei der Peruanerin wird die Utopie zur lebenslangen Gemeinschaftsarbeit. | |
## Zahllose Möglichkeiten | |
Wie sehr die Utopie aber zu einer Art allgemeinen Denkhaltung mutiert, | |
zeigen Michaela Melián und Hague Yang. Die Münchnerin hat transparente | |
Objekte wie Gläser oder CD-Hüllen auf einen Tisch gestellt. Der | |
Diaprojektor mit dem rotierenden Prisma, der sie durchleuchtet und ihre | |
Umrisse an die Wand wirft, erinnert an Lázló Moholy-Nagys Idee vom Neuen | |
Sehen, das neue Räume erschließt. Und die Gurkengläser und Fischdosen, die | |
die koreanische Künstlerin mit Selbstgestricktem ummäntelt hat, lassen die | |
Spannung aufscheinen zwischen dem, was diese „Can Cosies“ normalerweise | |
repräsentieren, und den zahllosen Möglichkeiten, die man in sie | |
hineinprojizieren kann. | |
Fellbach ist eine schläfrige Kleinstadt wohlhabender Bürger im Speckgürtel | |
von Stuttgart. Die Mischung aus provinziellem Standort und utopischem | |
Bewusstsein, das Nollert und Dziewior in der Alten Kelter der Winzerstadt | |
ausgebreitet haben, ergibt eine reizvolle Dialektik. Das Schönste an der | |
Ausstellung jedoch ist, dass sie zwar politisch ist, dass sich diese | |
Haltung aber immer über die Form ausdrückt. Wie beide eine unvergleichliche | |
Melange eingehen, kann man an dem thailändischen Künstler Pratacha Phintong | |
sehen. | |
Der Künstler hat aus den bei der verheerenden Flut von 2011 in seiner | |
Heimat zerstörten Computern das darin verarbeitete Gold recyclet. Und es zu | |
zwei Ringen verarbeitet, die die Aufseher in Fellbach tragen. In dem | |
ungewöhnlichen Kunstwerk vereint sich die Kritik am Ressourcenraubbau mit | |
der Utopie der Nachhaltigkeit zu einem Moment unkommentierter Schönheit. So | |
passgenau, wie die winzigen Objekte auf das menschliche Maß zugeschnitten | |
sind, würde diese Utopie vielleicht sogar Helmut Schmidt überzeugen. | |
21 Jul 2013 | |
## AUTOREN | |
Ingo Arend | |
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Skulptur | |
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