| # taz.de -- Ausstellung: Künstlerische Feldforschung | |
| > Ursula Biemann will in ihrer Schau im Neuen Berliner Kunstverein | |
| > bekanntem Wissen eine neue Bedeutung geben. | |
| Bild: Audiovisuelle Essays zu allerlei Fragen der Globalisierung | |
| „Vor der italienischen Insel Lampedusa ist ein Flüchtlingsboot gekentert.“ | |
| Die Nachrichten über das Schicksal von Afrika-Flüchtlingen fangen meist | |
| beiläufig an. Bis die ersten Bilder kommen: Rettungsboote auf hoher See, | |
| Taucher mit toten Kindern in den Armen, geborstene Planken eines | |
| Holzkutters. Natürlich ist das tödliche Ende dieser Irrfahrten von Süd nach | |
| Nord nur die Spitze des Eisbergs namens Armutsmigration. Doch was bei dem | |
| europäischen Betrachter im Gedächtnis zurückbleibt, sind genau diese Bilder | |
| des Schreckens. | |
| Was dann bei der aktuellen Ausstellung des Neuen Berliner Kunstvereins | |
| (NBK) auffällt: dass nämlich bei den Videoarbeiten hier die | |
| Sensationsbilder von Menschen, die wie auf einem Floß der Medusa | |
| dahintreiben, fehlen. Stattdessen sind so etwas wie Bilder einer Expedition | |
| zu sehen: Menschen, die auf klapprigen Lastern durch staubige Landschaften | |
| Nordafrikas fahren, verschwommene Luftbilder der größten Wüste der Erde, | |
| ein endloses Interview mit einem blau verschleierten Tuareg. | |
| Ursula Biemann, Jahrgang 1955, die Künstlerin, von der diese Arbeiten | |
| stammen, ist ein Phänomen. So konsequent wie kaum eine andere beschäftigt | |
| sich die Schweizerin mit den Knackpunkten der Globalisierung: Migration, | |
| Mobilität, Geschlechterbeziehungen. Ihre Videoarbeiten über die Grenze | |
| zwischen den USA und Mexiko, „Performing the border“ (1999) oder über die | |
| „Black Sea Files“ (2005), die Ölpipeline durch den südlichen Kaukasus und | |
| die Türkei, fehlen auf keiner der Biennalen der Welt. Schon seltsam, dass | |
| die Frau, die an der Züricher Hochschule für Künste unterrichtet, im | |
| deutschen Sprachraum nahezu unbekannt ist. | |
| ## Schattenreich so sichtbar | |
| In „Sahara Chronicle“ nun macht die Feldforscherin Biemann dieses | |
| unsichtbare Schattenreich sichtbar, das bis in die Tiefen des | |
| subsaharischen Afrika reicht. Und das die Europäische Gemeinschaft mit dem | |
| Kontrollregime an ihren Außengrenzen letztlich erst herausbilden half. Sie | |
| zeigt Videobilder der Menschen, die sich von Agadez, der Hauptstadt des | |
| Nomadenvolks der Tuareg in Niger, auf Lastwagen in Richtung Marokko und | |
| Europa aufmachen. | |
| Im Interview erklärt ein Tuareg-Rebellenführer, wie die sonst geächteten | |
| Nomaden diese Flucht halblegal organisieren dürfen. Und Biemann zeigt | |
| Drohnenbilder des libyschen Militärs, das die Flüchtlingsströme mit | |
| Aufklärungsflügen überwacht. Schließlich folgt sie einer Grenzbrigade, die | |
| das algerisch-marokkanische Grenzgebiet nach illegalen Flüchtlingen | |
| durchsucht. | |
| Mit diesen Videoessays gelingt es Biemann, das „kompakte Symbol“, auf das | |
| die hiesigen Medien das Problem Migration verkürzten, wie sie in dem | |
| Katalogbuch „Mission Reports“ selbst kritisiert, in seine sozialen, | |
| politischen, ökonomischen und kulturellen Bestandteile zu zerlegen. Der | |
| Betrachter fühlt sich in diesen unbekannten Kosmos hineingezogen. Fragt | |
| sich aber zugleich: Wo bleibt das Poetische? Mehr als Kunst scheinen | |
| Biemanns Arbeiten wie Prototypen der künstlerischen Feldforschung, die die | |
| Weltkunst der letzten 15 Jahre dominiert. | |
| Natürlich sind ihre Arbeiten keine drögen Dokumentationen, sondern | |
| entstehen durch Schnitt und Verdichtung. Das „transdisziplinäre Genre“ aus | |
| Dokument und Fiktion, das Kuratorin Kathrin Becker lobt, lässt sich in der | |
| Arbeit „Deep Weather“ (2013) erahnen. Die Erklärung zu dem Raubbau an den | |
| Wäldern in Nordkanada hat sie dem Video als Flüsterton unterlegt. In | |
| „Egyptian Chemistry“ (2012) hat sie die Messinstrumente, mit denen Forscher | |
| die Wasserqualität des Nils untersuchen, zu einer Labor-Installation vor | |
| nachtblaue bemalte Wände gestellt, auf denen sich Ägyptens Lebensader als | |
| golden schimmerndes Band schlängelt. | |
| Und wer die Videoessays studiert, die über im Raum gezielt verteilte | |
| Monitore flimmern, wird Biemann folgen, die behauptet, die „Fülle bereits | |
| existierenden Wissens“ neu zu einem „komplexen ästhetischen Produkt“ zu | |
| organisieren, das „neue Bedeutungen“ evoziert: Migration wird in ihnen zu | |
| einem komplexen sozialen Vorgang statt zum Standbild, die staatenlosen | |
| Tuareg avancieren plötzlich zum Vorschein eines transnationalen Subjekts. | |
| Dass der Kunstkritiker T. J. Demos die Biemann’schen Videoessays im Katalog | |
| aber als „Filmfabeln“ im Sinne des französischen Philosophen Jacques | |
| Rancière wertet, erscheint einigermaßen übertrieben. Denn nirgends verlässt | |
| die spannende Grenzgängerin zwischen den Genres, zwischen Kunst, Forschung | |
| und Journalismus, die Pfade der Wahrheit. Weder erfindet sie Fakten noch | |
| Personen. Doch erst da begänne die Poesie. | |
| Ursula Biemann: „[1][Egyptian Chemistry – Deep Weather – Sahara | |
| Chronicle]“. NBK, Chausseestr. 128/129, Bezirk Mitte, bis 28. April, | |
| Di.–So. 12–18 Uhr, Do. 12–20 Uhr. Zur Ausstellung ist im Verlag für mode… | |
| Kunst der Katalog „Mission Reports – Künstlerische Praxis im Feld“ | |
| erschienen. | |
| 25 Mar 2013 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.nbk.org/ausstellungen/aktuell.html | |
| ## AUTOREN | |
| Ingo Arend | |
| ## TAGS | |
| Theorie | |
| Skulptur | |
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