# taz.de -- Kunst im Grünen: Geheimnis der Wäschespinne | |
> Die Stadt Stade hat ihre Wallanlage zum Skulpturenpark erklärt. Nun kann | |
> man auf Wanderungen zwischen Wäschespinne und Zeitkapsel Grundfragen nach | |
> dem Wesen der Kunst stellen | |
Bild: Knud Plambecks Antwort auf das Stader Kriegerdenkmal: ein Ruderboot | |
Vorneweg: Stade ist gar nicht so schlecht. Es ist eine hutzelige | |
Kleinstadt, ja, das durchaus, aber es gibt einen ordentlichen Altstadtkern, | |
dicht besetzt mit soliden Backsteinbauten, die leuchten, wenn nachmittags | |
das Licht milde auf sie fällt. Es gibt das obligatorische Heimatmuseum, das | |
zeigt, wie Stade wuchs, einst sogar einer Stadt wie Hamburg die Stirn | |
bieten konnte, bis alles wieder niederging und Stade sich mit dem Status | |
einer Kreis- und damit lokalen Verwaltungsstadt arrangieren musste. Und es | |
gibt ein Kunsthaus, dessen Betreiber und Förderer emsig bestrebt sind, | |
neben der klassisch-modernen immer auch die aktuelle, also derzeit | |
existierende Kunst vorzuzeigen und für sie zu werben, was in einer Stadt | |
wie Stade nicht ganz einfach ist. | |
In diesem Sommer gibt es dazu Unterstützung durch einen Skulpturenpark, zu | |
dem man die Stader Wallanlagen erklärt hat. Und auch wer schon des öfteren | |
in Stade war, dem wird nun erst auffallen, dass Stades Innenstadt von einem | |
Ring aus recht soliden Grünanlagen umfasst ist, plus einem gut gefüllten | |
Burggraben. | |
## Ort der Verlorenen | |
Sinnigerweise beginnt der amtliche Skulpturenparkrundweg am Bahnhof; dem | |
Ort, an dem sich die Verlorenen und Erschöpften mal treffen, mal lang | |
anhaltend aufhalten, vielleicht weil sie die unbesiegbare Hoffnung haben, | |
sie könnten eines Tages ihrem Schicksal entfliehen und den Ort ihres | |
Unglücks dann vorsichtig erhobenen Hauptes verlassen – in diesem Fall | |
Stade. Hier am Bahnhof gibt es ein Informationshäuschen, dort erhält der | |
Interessierte eine Wanderkarte mit den eingezeichneten Skulpturenstandorten | |
sowie einen Prospekt zu dem von dem Hamburger Sammler Rik Reinking | |
kuratierten Projekt. | |
Vielleicht ist auch der freundliche, ältere Herr zugegen, der einen lobt, | |
wenn man eigens für den Skulpturenpark nach Stade gekommen ist und | |
vielleicht auch anschließend in der schon erwähnten Altstadt Kaffeetrinken | |
gehen wird, aber nicht umgekehrt: „So soll es ja auch sein!“, meint er | |
dann. | |
„Es gibt manches, dafür ist mein kleines Hirn zu klein“, sagt er vielleicht | |
anschließend lachend und klopft sich an den Kopf und meint damit, dass sich | |
ihm nicht jeder Sinn all der aufgestellten Skulpturen so ganz erschließen | |
würde. Aber von dieser, seiner ganz eigenen Meinung solle man sich nicht | |
schrecken lassen! | |
## Kunst oder etwas anderes | |
Und er weist vielleicht auf die erste weithin sichtbare Arbeit hin, ein | |
filigranes, mit blauen und orangen Fäden bespanntes Drehgestell von | |
Katharine Harvey, die er ganz für sich privat die „Wäschespinne“ nennt und | |
die sich mal langsam, mal schneller dreht, mal auch stehen bleibt: | |
„Vielleicht können Sie ja damit etwas anfangen.“ | |
Und das ist ja schließlich eine durchaus kluge Bemerkung, denn | |
Skulpturenparks spielen stets damit, dass man nach recht kurzer Zeit alles, | |
was da links und rechts des Weges herumsteht, mal misstrauisch, mal | |
neugierig danach befragt, ob es Kunst ist oder vielleicht etwas ganz | |
anderes. | |
Gut gefällt daher die Arbeit von Malte Urbschat, der als alter Skater nicht | |
an der nahe des Bahnhofs gelegenen Stader Skateranlage vorbeigekommen ist | |
und unter die Decke der Anlage zwei in Alufolie gewickelte Körper gehängt | |
hat. Der Skater als Mumie? Oder verschwunden im Kokon, aus dem er sich | |
eines Tages entpuppen wird? | |
Im sich anschließenden Park, der auch hier Bürgerpark heißt, folgen dann | |
eher klassische Skulpturen, wie die halbrunde Eisenplatte von Wulf | |
Kirschner oder das Tor, das Madeleine Dietz in die Erde eingegraben hat. | |
Richtig prima sind drei Arbeiten, für die man etwas Einsatz zeigen muss: | |
nämlich einen kleinen Hügel empor kraxeln, bis man auf der | |
Güldenstern-Bastion steht. Hier steht eines der Kriegerdenkmäler Stades, | |
ein trotzig-mächtiger Klotz in deprimierendem Betongrau, verziert mit | |
Sternschnuppe, Herz, Eichenblatt und Stahlhelm. Knud Plambeck antwortet | |
darauf mit einem in der Mitte auseinandergesägtem Ruderboot, das er falsch | |
wieder zusammengesetzt hat, so dass ein Entkommen nicht mehr möglich ist. | |
Streetartist Boxi dagegen greift mit einer verschlossenen Stahlkiste namens | |
„TC15082K10 Time Capsule“ die Frage auf, ob und was sich eigentlich im | |
Inneren solcher Kriegerdenkmale befindet. Ganz anders stark ist die Arbeit | |
der Japanerin Nobuko Watabiki, die sechs kaum mehr als faustgroße Steine | |
eng mit weißem Faden umwickelt und also eingesponnen hat, die nun nebenan | |
im Gras liegen. | |
Und tatsächlich, es funktioniert: Man steht vor diesen Steinen, man hockt | |
sich hin und schaut sie an und ihnen entströmt eine ganz eigene Anmutung | |
von Trauer und Empfindung. Und dass sie überhaupt noch da sind! Dass sie | |
nicht einfach jemand ins nächste Gebüsch gepfeffert hat. Dass sie nicht | |
jemand mitgenommen hat, als Mitbringsel, als Briefbeschwerer. | |
## Nur ein kurzer Scherz | |
Andere skulpturale Arbeiten fallen dagegen deutlich ab: Matthias Bertholds | |
verstreute Blechschilder etwa, bieten sie mit Anweisungen wie „Verhalten | |
Sie sich natürlich“ doch nicht mehr als einen kurzen Scherz. Schon weit | |
mehr zum Nachdenken verführt Baldur Burwitz lustige Arbeit „Je ne suis pas | |
une pipe/Ich bin keine Pfeife!“ in Form eines aus Bronze gegossenen, | |
kleinen Elefanten. Denn dieser stellt sich einer Skulptur gegenüber, die in | |
Stade vermutlich seit Langem zum allgemeinen Kulturgut gehört: ein riesiger | |
Elch. | |
Hier das niedliche, fremde und afrikanische Tier, das vielleicht bei uns | |
heimisch werden möchte und dort das Wappentier der Ostpreußen, der damals | |
Heimatvertriebenen, die in der trägen Nachkriegsgeschichte Stades und | |
seines Kreises keine geringe Rolle spielten. Okay, das kann jetzt heftig | |
überinterpretiert sein, aber wer Skulpturen in die Stadtlandschaft stellt, | |
muss damit leben, wenn sich die Interpretationsgelüste mal nicht bremsen | |
lassen. | |
Neben dem Elch übrigens, weiter zur Stadtseite hin, liegt noch ein kleiner | |
Kopf im Gras, ein Werk von Volker Hueller, Schüler des unlängst | |
verstorbenen, großartigen Bremer Malers Norbert Schwontkowski. Liegt da, | |
kann schnell übersehen werden und schaut geradeaus in den Himmel. Und lädt | |
endlich ein, das Spazierengehen mal sein zu lassen und sich neben ihn ins | |
Gras zu legen und gleichfalls in den Himmel zu schauen. Wer weiß, was man | |
nun sieht. | |
## Weitere Infos gibt es unter | |
## Der Skulpturenpark schließt am 29. September | |
17 Jul 2013 | |
## AUTOREN | |
Frank Keil | |
## TAGS | |
Skulptur | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
12. Triennale Kleinplastik: Neues Sehen durch Gurkengläser | |
Grandiosen Entwürfen wird misstraut: Die 12. Triennale Kleinplastik in | |
Fellbach bei Stuttgart schneidet Utopien lieber auf ein menschliches Maß | |
zu. |