| # taz.de -- Kunstgeschichte aufgemischt: Ins Barock geschmuggelt | |
| > Mitten in die überschwängliche Ausstattungskunst des Schlosses Caputh bei | |
| > Potsdam haben vier Künstlerinnen aktuelle Arbeiten platziert. | |
| Bild: Sie zielen auf den Betrachter: Galerie der Starken Frauen von Myriam Thye… | |
| Die ersten Putten, zwischen Wolken schwebend und eine Krone schleppend, | |
| begegnen einem schon im knarzenden Treppenhaus von [1][Schloss Caputh]. Das | |
| kleine Schloss unweit von Potsdam kann mit einer barocken Ausstattung | |
| prunken, die auf das späte 17. Jahrhundert zurückgeht, als die Kurfürstin | |
| Dorothea von Holstein-Glücksburg, verheiratet mit dem Großen Kurfürsten | |
| Friedrich Wilhelm den Bau erweitern und luxuriös ausstatten ließ. | |
| In dieses Ensemble aus niederländischer Malerei, Porzellanen aus Japan und | |
| China, von Stuckdecken und Kachelöfen haben sich für einen Sommer vier | |
| zeitgenössische Künstlerinnen eingeschmuggelt. | |
| Barock ist die Kunst des Überschwangs, der reichen Goldrahmen, der | |
| machtvollen Repräsentation, der Reiterstandbilder und der Blumenstillleben. | |
| Die kolonialen Reiche, die viel zum Reichtum Europas beitrugen, finden sich | |
| in allegorischen Darstellungen und der Liebe zu importiertem Kunsthandwerk. | |
| ## Der Vergangenheit antworten | |
| All das findet man auf Schloss Caputh, und auf all das gehen die Werke von | |
| Margret Eicher, Luzia Simons, Rebecca Stevenson und Myriam Thyes ein. Drei | |
| Jahre lang beschäftigten sie sich mit dem Schloss und seiner Geschichte. | |
| Wie sie mit der Ästhetik korrespondieren und die Inhalte kontern, ist ein | |
| Vergnügen. Dass zeitgenössische Kunst so ideenreich auf die Vergangenheit | |
| antwortet, ist selten zu erleben. | |
| Heute, nach vielen finanzkapitalistischen Blasen der jüngsten | |
| Vergangenheit, ist die Tulpenmanie des frühen 17. Jahrhunderts berüchtigt | |
| und bekannt. Sie gilt als die erste gut dokumentierte Spekulationsblase: | |
| Für Tulpenzwiebeln waren in den 1630er Jahren die Preise so in die Höhe | |
| geschossen, dass der Markt zusammenbrach. Nun war die Tulpe nicht nur | |
| gehandelt, sondern auch viel gemalt worden, oft schon in Stadien des | |
| Welkens, und dieses Vanitas-Motiv, diese Warnung vor der Endlichkeit alles | |
| irdischen Glücks, passt natürlich hervorragend zur Geschichte vom Crash des | |
| Marktes. | |
| Sie wird in den Tulpenbildern der aus Brasilien stammenden Künstlerin Luzia | |
| Simons immer wieder aufgerufen, die mit ihren monumentalen Blüten und den | |
| Hell-Dunkel-Effekten sehr an die Dramatik barocker Gemälde erinnern. | |
| Tatsächlich entstehen die Bilder am Scanner, die Blumen werden auf eine | |
| Glasplatte gelegt und abgetastet. Nun hängen sie zwischen Landschaften, | |
| Schiffen, Interieurs und Porträts auf übervollen Wänden im Kabinett der | |
| Kurfürstin. | |
| Im Vorgemach des Kurfürsten zeugt eine Serie von Porträts antiker römischer | |
| Kaiser, darunter Caesar, Augustus, Caligula, vom ungestörten Bild | |
| männlicher Macht. Sie repräsentierten in den von Rubens und anderen | |
| gemalten Bildern nicht nur sich selbst, sondern jeweils auch eine Tugend. | |
| Über sie hängt Myriam Thyes Medaillons von Heldinnen, die freilich den | |
| Schönheitsfehler haben, fiktional zu sein, und so ein starker Ausdruck des | |
| Wunsches sind, diese Fehlstelle zu besetzen. Das Kino bringt sie ins | |
| Rennen, Ellen Ripley aus „Alien“, Arya Stark aus „Games of Thrones“, Lo… | |
| aus „Lola rennt“. Sie alle zielen auf den Betrachter, mit Pistolen oder | |
| Pfeil und Bogen. | |
| ## Blasen im barocken Stuck | |
| Hier vergnügt sich jeder Besucher damit, Namen zu raten. Die Filmheldinnen | |
| werden viel schneller erkannt als die langweiligen Kaiser. Das ist ja schon | |
| mal was. Auch wenn es eine banale Replik auf barocke Repräsentationssucht | |
| scheint, eine einfache Verschwisterung von Kommerz und Feminismus. Allein | |
| jeder, der schon einmal beim Rundgang durch ein Schloss gemerkt hat, wie | |
| herzlich egal einem spätestens ab dem dritten Saal die zahlreich | |
| Porträtierten sind, ist für den spannungsreichen Kontrast dankbar. Man hat | |
| wieder Lust, zu gucken. | |
| Blasen blubbern, nicht nur in der Tulpenspekulation, auch an der Decke im | |
| Schlafgemach der Kurfürstin, wo Myriam Thyes in einen Stuckrahmen passgenau | |
| eine Videoprojektion einfügt. Treibende Luftblasen und Planeten erinnern an | |
| alte Modelle des Kosmos. Doch das Leichte und Luftige bleibt nicht, sondern | |
| wird zugestellt mit Modellen berühmter Architekturen. | |
| An die Decke der Porzellankammer sind Europa und Afrika als Frauen | |
| personifiziert gemalt. Hier stehen die Vasen aus China und Japan und vier | |
| „Mohrenskulpturen“ aus schwarzem und weißem Marmor, individuelle Porträts | |
| von … – das eben weiß man nicht. Die britische Künstlerin Rebecca Stevens… | |
| nennt ihre Porträtbüsten aus Wachs „Dreamer“. Bei ihr ist Europa schwarz | |
| und Afrika weiß. | |
| ## Neue Seeschlacht | |
| Besonders verblüffend sind die Tapisserien von [2][Margret Eicher], | |
| tatsächlich in Belgien, dem Land der alten Teppichkunst, nach ihren | |
| digitalen Vorlagen hergestellt. Durch ihre Materialität, die blassen Farben | |
| und Bildordnungen, die reichen Ornamente der Rahmen und auch durch die Orte | |
| ihrer Hängung kann man sie einen kurzen Moment für alt halten. Das Staunen | |
| und Bewundernwollen ist als Impuls schon da, bevor man zu stutzen beginnt | |
| über die zusammengefügten Bildelemente, Zitate aus Popkultur und Trash, | |
| News und Renaissance. | |
| Zwischen alten Seeschlachtbildern, die auch territorialen Ansprüchen | |
| galten, hängt ihre „Große Seeschlacht“. Urzeitliche Vögel fliegen durch … | |
| Luft neben historischen Kriegsflugzeugen. Die kenternden Boote im Wasser | |
| lassen sofort an die Flüchtlinge in Seenot denken. Man schluckt, die große | |
| Emotion, von der man sich in den historischen Gemälden so schön ergreifen | |
| und wegtragen lassen kann, gerät ins Stocken. | |
| Es ist die Konfrontation von Barock und Gegenwart, die nicht nur diese | |
| Tapisserie, sondern die ganze Ausstellung, die der Kurator Mark Gisbourne | |
| initiiert hat, so anregend macht. Das passiert nicht oft, schon gar nicht | |
| in alten Schlössern. Schloss Caputh kam 1995 in die Obhut der Stiftung | |
| Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg, die über 30 Schlösser, | |
| 100.000 Kunstwerke und 800 Hektar Gärten verwaltet. Schloss Caputh wurde | |
| restauriert und wieder eingerichtet mit barocken Werken. Es wäre schön, | |
| wenn das jetzt gelungene Experiment der Einladung zeitgenössischer Künstler | |
| zu Wiederholungstaten anregen würde. | |
| In der Zeit der DDR wurde das Schloss als Berufsschule und Internat | |
| genutzt. Eine Besonderheit ist der mit niederländischen Fliesen gekachelte | |
| Speisesaal im Untergeschoss. Hier war die Kantine der Berufsschüler, eine | |
| Freundin hat mir das erzählt, die eine Fotografenlehre machte. Damals, | |
| erzählt sie heute, fanden sie es schon toll und irgendwie gerecht, als | |
| Kinder der Arbeiterklasse im Schloss zu speisen. Aber jetzt ist sie froh, | |
| dass die Schäden beseitigt und das Schloss als Museum eingerichtet ist. | |
| 21 Aug 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Katrin Bettina Müller | |
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