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# taz.de -- Symposion zu Architektur und Gestaltung: Konspiration mit Stift und…
> Können Architektur und Gestaltung emanzipieren? Darum ging es im Berliner
> Haus der Kulturen der Welt, angeregt durch die Bauhaus-Avantgarden.
Bild: Architekturschule Nantes von Lacaton Vassal, 2009.
Eine zweitägige Tagung auf durchgesessenen, 50 Jahre alten Theatersitzen,
das ist ganz einfach schlechtes Design. Doch um solche praktischen
Formfragen ging es dem Symposium „Kann Gestaltung Gesellschaft verändern?“
nicht. Die Theoretiker der Gestaltung im Haus der Kulturen der Welt am
letzten Wochenende suchten nach Methoden, die Gesellschaft zu verändern. Es
zählte der Kopf, nicht der Hintern.
Veranstaltet hatte die Tagung die im Januar gegründete Initiative
„[1][projekt bauhaus]“, die Gestalter, Kuratoren und Forscher aus aller
Welt im Umfeld der Zeitschrift Arch+ versammelt. Im Hinblick auf das
100-jährige Bauhausjubiläum 2019 will die Initiative mit der Frage nach der
gesellschaftsverändernden Kraft von Gestaltung zugleich ein Resümee der
alten Avantgarde-Ideen aus den 1920ern ziehen. Wobei man sagen muss, dass
das Thema Bauhaus im Verlauf der Tagung kaum noch eine Rolle spielte.
## Sackgasse Achitekturzoo
Philipp Oswalt, von 2009 bis 2014 Direktor der Stiftung Bauhaus Dessau und
selbst Architekt, begrüßte die reichlich erschienenen „Kreativen“ mit der
Bemerkung, die Frage „Kann Gestaltung Gesellschaft verändern?“ sei durchaus
nicht rhetorisch gemeint. Oswalt unterstellte nämlich, die meisten würden
die Frage ohnehin mit einem Ja beantworten. Das offenbarte eine
Selbstüberschätzung der Gestalter, der im Laufe der Tagung noch des Öfteren
widersprochen werden sollte.
Boris Groys, Kunsttheoretiker mit russischem Hintergrund, drehte schon zu
Beginn der Veranstaltung die titelgebende Frage sogleich auf den Kopf. Der
gesellschaftliche Wandel sei ohnehin eine permanente Tatsache. Für den
Designer (wer immer damit gemeint war) könne es also nur um eine
Veränderung des Wandels gehen – oder um den totalen Bruch. Das Paradigma
dafür sieht Groys natürlich in der Oktoberrevolution. Radikaler Wandel sei
immer nur von außerhalb der Gesellschaft möglich. Opposition zum
Bestehenden (ob Christentum oder Bolschewismus) habe sich immer zuerst
konspirativ formiert. Die Frage sei allerdings, ob es dieses Außen heute
überhaupt noch gebe. Außerdem, so merkte die niederländische
Architektur-Professorin Lara Schrijver an, hätten Revolutionen
unvorhersehbare Konsequenzen.
Schrijvers Vortrag plädierte deshalb für kleine Lösungen. Zuerst müsse es
den Designern darum gehen, Werte zu formulieren. Schrijvers Frage: Sollen
die Architekten wirklich Bedürfnisse kreieren, die sonst gar nicht
vorhanden wären, damit sie Jobs und Aufträge erhielten? Seit den ersten
massentauglichen Berichten von einer fundamentalen und globalen Krise in
den siebziger Jahren (Stichwort Bericht des Club of Rome) und dem
gleichzeitigen Ende der modernistischen Zukunftseuphorie sowie dem Beginn
des neoliberalen Rollbacks könnte man es glauben: dass Architektur ganze
Städte verändert hätte (Stichwort Bilbao-Effekt). Doch was habe es wirklich
gebracht? Einen Architekturzoo, dessen Zukunft inzwischen wegen
schwindender Geldmittel in eine Sackgasse geraten sei. Schrijver
reformulierte deshalb die Tagungsfrage noch einmal um: „Wie soll die
Gesellschaft Gestaltung ändern?“ Das Leben ein kleines bisschen zu
„versüßen“ wäre derzeit schon viel.
## Netzwerk-Interviduen
Konkrete Beispiele dafür kamen dann eher von anderen wie der Hamburger
„PlanBude“. Das achtköpfiges Team von Planern und Kreativen ist ein
Erfolgsmodell. Als urwüchsige, selbstermächtigte Institution haben die
Aktivisten es geschafft, in St. Pauli nicht nur einen Park zu installieren,
sondern auch Methoden zu entwickeln, die zur Bürgerbeteiligung führen bei
der Neubebauung am Ort der abgerissenen ESSO-Häuser. Zuerst ging es der
PlanBude darum, die Wunschproduktion der Leute anzuregen. Ob mit dem Stift,
mit Lego oder Knete – die so entstandenen Modelle der Exbewohner und
Anlieger sind jetzt Grundlage für eine bedürfnisnahe Neuplanung sowohl mit
öffentlichen Anteilen als auch mit Wohnformen.
Doch sind solche Projekte immer noch Ausnahmen. Vielleicht liegt es auch an
der Disposition der kleinsten Einheit der Gesellschaft: dem Individuum. Der
niederländische Philosophie-Professor Henk Oosterling kreierte deshalb
gleich einen neuen Begriff. „Interviduum“ müsse es heute heißen, weil der
Mensch lernen müsse, in Netzwerken zu leben und vernetzt zu denken.
Kreativität, die große Ressource der Gestalter, sei nicht etwas
Subjektives, sondern liege zwischen den Menschen. Trainingsfeld sind
natürlich die neuen Medien, die es nötig machten, eine digitale Literarität
zu entwickeln.
Gleichwohl gab es auch Bedenken – zum Beispiel, dass die Selbstoptimierung
im Zeichen der Karriere heute genau das realisiere, was im
postrevolutionären Russland von oben oktroyiert wurde. Pränatale Diagnostik
heute und Eugenik damals liefen auf das Gleiche heraus, meinte der
Kulturwissenschaftler Andreas Bernhard. Und das heute auf Facebook
jedermann offenbarte „Profil“ wäre noch bis vor Kurzem nur kriminell oder
psychiatrisch Auffälligen vorbehalten gewesen.
Die Abschlussdiskussion fragte dann doch noch einmal nach dem Utopischen,
zu dem die Kritik die Voraussetzung darstelle, wie
Architektur-Theoretikerin Karin Wilhelm in gut altlinker Manier sagte.
Wiederholt wurden dazu im Laufe der Tagung auch die üblichen Theorie-Größen
von Foucault bis Adorno bemüht oder über Gestaltungsmacht von Konzernen
oder dem Staat geklagt. Das Nächstliegende, die Gestaltungsformen der
eigenen Existenz, der individuellen oder interviduellen „ways of life“,
blieb der blinde Fleck im Auge der Gestalter.
21 Sep 2015
## LINKS
[1] http://www.projekt-bauhaus.de/
## AUTOREN
Ronald Berg
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