# taz.de -- Architekt über Flüchtlingswohnungen: „Integrieren, nicht abscho… | |
> Parkhäuser und Lastkähne: Architekturprofessor Jörg Friedrich plant | |
> Unterkünfte, in denen etwa Flüchtlinge und Studenten zusammen leben | |
> könnten. | |
Bild: Gemeinsam statt in Containern: ein Entwurf von Architekt Friedrich und se… | |
taz: Herr Friedrich, hat Architektur etwas mit Macht zu tun? | |
Jörg Friedrich: Klar. Architektur ist direkter Ausdruck politischer Macht | |
in der dritten Dimension. Am besten können Sie das in der Architektur des | |
Barocks sehen. Oder denken Sie an die Bauten von Albert Speer im Dritten | |
Reich: wie ein Führer Architektur benutzt, um seine Macht in Größe und in | |
Stein umzusetzen. Aber Architektur hat auch etwas mit Ohnmacht zu tun – | |
wenn die nötigen finanziellen oder politischen Umsetzungsmittel fehlen. | |
Hier wollen wir würdige Architekturen entwickeln. | |
Wenn Sie die derzeitigen Unterbringungsmöglichkeiten für Geflüchtete sehen, | |
Container, umfunktionierte Turnhallen oder Zelte. Ist das für Sie Ohnmacht? | |
Ja. Wir scheinen ohnmächtig zu sein, mit dem Flüchtlingsthema | |
architektonisch und städtebaulich würdig umzugehen. Es zeigt auch, dass es | |
in reichen europäischen Ländern sehr unterschiedliche Maßstäbe gibt: | |
Menschen, die kein Geld haben, werden in Zelten untergebracht, während | |
andere Menschen wie Sie und ich beispielsweise in schönen Häusern wohnen | |
können. | |
Gemeinsam mit Studierenden haben Sie Projekte für die Stadt Hannover | |
konzipiert, die auch auf andere Städte übertragbar sein sollen. Die | |
Ergebnisse wurden in dem Buch „Refugees Welcome – Konzepte für eine | |
menschenwürdige Architektur“ zusammengefasst. Was muss denn menschenwürdige | |
Architektur leisten? | |
Sie muss zunächst Schutz bieten. Zweitens muss sie die Individualität | |
gestatten, ohne den Nächsten zu belästigen. Sie soll integrieren und nicht | |
abschotten. Was ganz wichtig ist: Die Wohneinheiten dürfen architektonisch | |
nicht zu groß werden. Fünfzig bis sechzig Menschen sind deutlich | |
konfliktfreier gemeinsam in einem Gebäude unterzubringen als Hunderte | |
Traumatisierte in einer Turnhalle auf 2.000 Quadratmetern. | |
Sie kritisieren die Unterbringung in Containern als | |
„Blechkistenarchitektur“, aber es gäbe doch mehr Privatsphäre. | |
Waren Sie schon mal in so einem Container? Wir kennen das zumindest | |
tagsüber von der Baustelle. Wenn Sie darin ein Gewitter erleben, dann | |
prasselt alles auf dieses Blechdach und Sie bekommen das Gefühl, dass | |
Steine auf ihren Kopf krachen. Selbst einen Husten von außen hören Sie in | |
voller Lautstärke. Das sind keine stabilen Wohnsituationen. | |
Einem Asylbewerber stehen je nach Bundesland 4,5 bis 7 Quadratmeter zu – | |
ist menschenwürdiges Wohnen so überhaupt umsetzbar? | |
Schwer, aber wir haben konkrete Vorschläge gemacht, wie man die erwartete | |
Zahl von Flüchtlingen in Hannover innerstädtisch ohne Camps und Container | |
sehr leicht, schnell und kostengünstig dauerhaft unterbringen kann, auch in | |
Beachtung dieser zugegebenermaßen geringen Flächenwerte. | |
Eine Idee war zum Beispiel, kaum genutzte Parkhäuser in Lofts zu | |
verwandeln. | |
40 Prozent des Bauvolumens von Parkhäusern in Hannover sind, über das Jahr | |
gerechnet, nahezu ungenutzt. Sie sind meist in innerstädtischen Lagen, man | |
kann die Obergeschosse gut umfunktionieren und sie lassen sich gut mit | |
Leichtbauten aufstocken. Das ist eine Möglichkeit, schnell öffentlichen, | |
bestehenden, meist kommunalen Raum zu nutzen, ohne erst mit Investoren oder | |
schwierigen Eigentümern verhandeln zu müssen. | |
Was soll dort geschehen? | |
Weil Parkhäuser sehr tief sind, kann man neuartige | |
Gemeinschaftswohnungstypologien entwickeln, die stark an Loftwohnungen | |
erinnern und durchaus für andere Nutzergruppen interessant werden könnten: | |
zum Beispiel junge dynamische Großstadtnomaden oder Studenten, die in einer | |
WG leben wollen. So kann eine Durchmischung im Zentrum der Stadt entstehen, | |
die nicht nur Flüchtlingsunterkunft ist. | |
Wie praktikabel ist denn das Aufstocken von Flachdächern? | |
Hannover wurde im Zweiten Weltkrieg fast komplett zerstört. Dadurch gibt es | |
viel Bausubstanz aus den sechziger Jahren mit Flachdächern. Sie sind meist | |
hervorragend erschlossen und haben oft Lifte bis aufs Dach, sind also oft | |
behindertengerecht. Diese Häuser kann man mit Montagebauweisen aus Holz | |
aufstocken und so neue Arbeits- und Wohnflächen schaffen. Das wollen wir | |
bei meiner Fakultät für Architektur im Prototyp selbst testen und bewohnen. | |
Eine andere Idee ist, Flüchtlinge in ungenutzten Binnenschiffen | |
unterzubringen. Das klingt etwas verrückt. | |
(lacht) Ja, vielleicht. Wir haben herausgefunden, dass in Deutschland etwa | |
3.000 nicht genutzte, aber schwimmfähige Lastkähne herumstehen. Diese | |
könnte man aushöhlen, mit Modulen bebauen und dann in bestehenden Kanälen | |
an die Stadtzentren andocken. Das wäre mobiler, schwimmender Wohnraum. Im | |
privaten Bereich, in Hamburg etwa, ist diese Wohnform bereits sehr begehrt. | |
In Großstädten sind Wohnungen im Innenstadtbereich schon für viele hier | |
lebende Menschen kaum bezahlbar. Der soziale Wohnungsbau wurde konsequent | |
eingedampft. Befürchten Sie keine Konkurrenzsituation? | |
Es gibt keine „Flüchtlingsarchitektur“, sondern nur eine Architektur, die | |
bestimmte ökonomische Forderungen architektonisch würdevoll umsetzt: Es | |
gibt keinen Unterschied zwischen Geringverdienern und Flüchtlingen. | |
Insofern gibt es keine Konkurrenz, es werden lediglich mehr von denen, die | |
nichts oder wenig haben. In Deutschland täte uns so oder so eine Mischung | |
gut. Dafür könnten wir variierte Formen des sozialen Wohnungsbaus | |
entwickeln. Nur: Der Markt reguliert sich nicht von allein. Eine Chance | |
besteht in neuen Vergabeverfahren: Nur wer 20 Prozent | |
„Flüchtlingswohnungen“ mit baut, bekommt überhaupt ein städtisches | |
Baugrundstück übereignet. | |
Vor dem Landesgesundheitsamt in Berlin waren zeitweise etwa 200 Geflüchtete | |
obdachlos. Ist ein Zelt in solchen Situationen nicht besser als nichts? | |
Ich bin kein politischer Problemlöser. Wir verstehen uns als kreative | |
Architekten, die Unterbringungstypologien entwickeln, die eine gewisse | |
Würde haben. Wir wollen eine Architektur, die schnell und kostengünstig | |
umsetzbar ist und die eine Verstetigung des Wohnens erzeugt; nichts | |
Temporäres. | |
Dass diese Bauweise mit Holz kostengünstiger sein soll als Wohncontainer, | |
kann man sich kaum vorstellen. | |
Die Container sind größtenteils ausverkauft – oder sie sind völlig | |
überteuert. Man spürt, wie mit Verknappung von Containern richtige | |
Geschäfte gemacht werden. Insofern wäre eine neue Konkurrenz mit | |
Holzhäusern gar nicht so schlecht. Zudem ist dies eine uralte | |
Konstruktionstechnik, also eine sehr erprobte, risikofreie Bauweise. Nur | |
war das Material Holz lange Zeit verpönt, weil es immer etwas „Bäuerliches�… | |
hatte, erst im letzten Jahrzehnt wird Holz wieder zum Material in der | |
Architektur, auch aufgrund seiner umweltfreundlichen Eigenschaften. | |
Und der Brandschutz? | |
Der ist kein Problem, die spezielle Holzfertigungstechnik von Decken und | |
Wänden entspricht der Brandschutzwiderstandsklasse von ganz normalen, bis | |
zu dreigeschossigen konventionellen Wohnhäusern. | |
Bundesinnenminister Thomas De Maizière rechnet im Jahr 2015 mit bis zu | |
800.000 Schutzsuchenden. Ist das eine neue Herausforderung für eine | |
deutsche Stadt? | |
Nein. Der Gendarmenmarkt in Berlin ist zum Beispiel Teil einer | |
Flüchtlingsarchitektur aus dem 17. Jahrhundert. Er wurde in kürzester Zeit | |
für etwa 20.000 Hugenotten aus Frankreich gebaut, die als religiöse | |
Flüchtlinge nach Berlin kamen, mit eigenen Schulen, Kirchen und Wohnungen. | |
Heute gehört das Areal zum Weltkulturerbe. So kann „Flüchtlingswohnen“ im | |
positiven Sinne aussehen. Diese alte Tradition der Willkommensarchitektur | |
sollten wir in die Gegenwart transferieren. Die Menschenmassen sind eine | |
Herausforderung für einen guten neuen Städtebau. | |
Wie wird diese Einwanderung unsere Städte verändern? | |
Sie wird deutsche Städte lebendiger machen, dichter und größer. Deutschland | |
ist ein sterbendes Land. Insofern ist das Thema Flüchtlinge keine | |
Belastung. Wir sollten froh sein, dass die Bevölkerung wieder wächst. Die | |
Städte werden bunter, weltläufiger, und es werden unterschiedliche | |
Architekturen die Städte prägen: neue Wohnungen, Moscheen mit Minaretten | |
neben Kirchtürmen und Synagogen. Das wäre vergleichbar mit den sechziger | |
Jahren, als die sogenannten Gastarbeiter kamen, bestehende | |
heruntergekommene Stadtteile besiedelten und – allmählich aufwerteten. | |
Heute sind ihre Siedlungen nicht mehr wegzudenken; sie sind | |
selbstverständlicher Teil unserer Stadtkultur geworden. So wird es in | |
zwanzig Jahren mit den jetzigen Flüchtlingswohnungen auch sein. | |
16 Sep 2015 | |
## AUTOREN | |
Jasmin Kalarickal | |
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