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# taz.de -- Wohnungen für Flüchtlinge: WG verzweifelt gesucht
> Die Hilfsbereitschaft der Deutschen ist groß. Doch der syrische
> Flüchtling Bani Almhamid sucht keine Hilfe, sondern nur ein Zimmer.
Bild: 45 Absagen in drei Monaten: Bani Almhamid sucht etwas Langfristiges zum W…
Dortmund taz | | Bani Almhamids Mund lacht noch, als er fragt „Bin ich ein
Problem?“ Seine Augen tun es nicht mehr – wie noch vor drei Monaten, als er
voller Energie das Protestcamp syrischer Flüchtlinge am Dortmunder
Hauptbahnhof mitorganisierte. Frustriert zieht er den Kragen seiner
Daunenjacke bis zur Nasenspitze hoch. Schon wieder hat er eine Absage für
ein WG-Zimmer bekommen, es ist – Bani scrollt auf seinem Smartphone die
E-Mails herunter – die 45. in drei Monaten. Er muss ja glauben, dass er ein
Problem ist.
Wieder steht er jetzt vor einer Haustür, so grau, dass sie im Grau der
Fassade beinahe verschwindet. Schnell hat er die Umgebung gecheckt, weil
die Blicke bei der 46. Besichtigung mehr Routine sind als echtes Interesse.
Der Innenhof als möglicher Stellplatz für sein Fahrrad und Schutz vor
Straßenlärm. „Am wichtigsten ist Ruhe“, sagt Bani Almhamid. „In einem
Zuhause muss es ruhig sein, man muss gut schlafen können.“ Und sein Mund
lächelt. An einem seiner Vorderzähne fehlt ein Stück.
Längst weiß er, dass er als Erstes nach der Höhe der Miete fragen muss,
weil ihm das Jobcenter maximal 400 Euro zahlt. Ob eine Bürgschaft notwendig
ist, weil er diese natürlich nicht vorlegen kann. Und ob der Vermieter
eventuell Probleme mit Flüchtlingen hat und sich querstellen könnte. Weil
ihm auch das schon passiert ist, gerade als er glaubte, endlich eine neue
Bleibe gefunden zu haben.
Die beiden Mädchen, die öffnen, haben diese glänzenden, mit pflegender
Essenz besprühten Haare von 16-jährigen Privatschülerinnen in US-Serien und
sehen auch aus, als würden sie gerne vieles richtig machen. Niemals zu
lange feiern oder fernsehen, immer genau wissen, in welchem Raum das
nächste Seminar stattfindet, Avocados essen. Keine Pippis, sondern Annikas.
Welche, die der Sprechende Hut nach Hufflepuff schicken würde.
## Ein Verschlag im Wohnheim
„Ich bin Bani“, sagt Bani Almhamid, der eher nach Gryffindor gehören würd…
dann betritt er mit ausholenden forschen Schritten die Wohnung, und
irgendwie ahnt man schon in diesem Moment, dass es nicht passt. Dass da
Menschen mit dieser vagen Art der stets Umsorgten und Behüteten auf
jemanden treffen, der Eltern und elf Geschwister seit vier Jahren nicht
gesehen hat und jeden Tag mit ihrem Tod durch Assads Bomben rechnen muss.
Bani Almhamid ist 26 Jahre alt, syrischer Flüchtling, angehender
Medizintechniker. Er kocht gerne, mag Fußball, Tischtennis und Fitness, und
hält Nationalismus für schlecht und gefährlich. Er spricht Deutsch auf C2-,
also Muttersprachenniveau, besitzt Aufenthaltstitel, Pass und sagt über
Helene Fischer: „Sie sieht aus wie Gelatine.“
Bani Almhamid ist charmant, benutzt gerne das Wort „instrumentalisieren“
und geht manchmal ins Theater. Seit drei Monaten sucht er in Dortmund, das
keinen besonders umkämpften Wohnungsmarkt hat, nach einem WG-Zimmer.
Anderthalb Jahre hat er in einem Verschlag in einer Art Wohnheim gelebt,
zurzeit schläft er bei einem Freund auf der Couch. Dass er das Studium
vermutlich wiederholen muss, weil sein Bildungsabschluss hier nicht
anerkannt wird, frustriert ihn schon. Doch er ist überzeugt, dass alles
besser wird, wenn er erst einmal „ein schönes Dach hat“. Er will jetzt
etwas Langfristiges, zusammen mit Deutschen.
## Zum Glück mag er Bier
Noch ist Bani Almhamid eher ein Exot. In ein paar Jahren könnten viele der
Flüchtlinge, die derzeit nach Deutschland kommen, auf WG- oder
Wohnungssuche sein. Bei den Besichtigungen hat sich Bani Almhamid viele
Fragen gefallen lassen müssen. Wie oft am Tag er bete. Ob er ein Problem
mit Christen habe. Wie viel Alkohol er vertrage. Ob er eine Freundin habe
und – Bani erinnert sich nur zu gut – ob es ein Problem wäre, wenn andere
eine Freundin hätten. „Warum möchten die Leute so etwas wissen?“, fragt e…
„Verrückt“ und „übertrieben“ sind die deutschen Worte, die ihm dazu
einfallen.
Mittlerweile weiß Bani Almhamid, dass er dazu am besten sagt, dass er Fan
von Borussia Dortmund ist und gerne Bier trinkt. „Die Deutschen finden es
komisch, wenn man keinen Alkohol trinkt.“ Zum Glück mag er Bier und den
BVB, insbesondere Marco Reus.
Leider trinken die beiden Annikas vor allem Wein. Und BVB-Fans sind sie
auch nicht. Aber sie werfen stolz ein, dass sie noch „gar keinen Deutschen“
zur Besichtigung dahatten, dafür einen Türken und einen Spanier. Und einen
Flüchtling? Nein, noch nicht. Bani Almhamid versucht es noch mit ein paar
Anekdoten, während er sich nervös an seine Tasse Earl Grey klammert und auf
YouTube ein Video mit der Zubereitung von Kusa Mahshi zeigt, seinem
Lieblingsessen aus Syrien. Zwischen ihm und den Annikas funkt es nicht.
Bei den meisten Besichtigungen war das anders. Was ist schiefgegangen? Auf
Nachfrage antworten die Beteiligten, wenn überhaupt, nur zögerlich und via
Facebook, alle wollen anonym bleiben. „Bani hat unsere Erwartungen
übertroffen“, schreibt zum Beispiel Alina. Er sei sympathisch gewesen, habe
gut Deutsch gesprochen und „scheinbar kein Problem damit gehabt, dass hier
offen miteinander umgegangen wird“. Dann habe es aber doch Bedenken gegeben
in der WG wegen der Miete.
Dabei wird das Geld vom Jobcenter verlässlich überwiesen, sagt Antonia
Kreul vom Flüchtlingsrat NRW. „Viele scheinen nicht zu wissen, wie die
Sozialversorgung abläuft. Sie haben Angst, dass das Geld nicht kommt, wobei
das bei jedem gewöhnlichen Job eher passieren kann.“ Doch es steckt noch
mehr dahinter, vermutet sie. Der rechtsextrem motivierte Anschlag auf Kölns
Oberbürgermeisterin Henriette Reker ist noch nicht lange her, Kreul sagt:
„Wer Flüchtlingen hilft, muss heutzutage ja mit allem rechnen.“ In Dortmund
und Nordrhein-Westfalen seien die Menschen zudem noch nicht so weit. „Bani
Almhamid ist eine Ausnahme, wenn er nach einem WG-Zimmer sucht. Das ist
längst noch kein Alltag.“
## Viele machen Rückzieher
Mit anderen Worten: Das Modell Flüchtling, der gar nicht so viel Hilfe,
sondern eher gesellschaftliche Zuwendung braucht, ist noch nicht alt. Auch
die Initiatoren des Berliner Projekts „Flüchtlinge Willkommen“, das
Asylsuchende gezielt an Wohngemeinschaften vermittelt, haben die Erfahrung
gemacht, dass sich viele unüberlegt auf ihrer Plattform anmelden und sich
dann doch wieder zurückziehen.
In der Vierer-WG von Ben hat Bani Almhamid mehr als zwei Stunden verbracht,
Bier getrunken und mit ihnen Fifa gespielte. „Bani gehörte zu unseren
Favoriten“, räumt Ben auf Nachfrage ein. „Aber dann äußerte ein Mitbewoh…
Zweifel, ob das mit der fremden Kultur und seinen bisherigen niedrigeren
Lebensstandards passen könne. Wir wollen einen selbständigen Mitbewohner
und nicht Eltern spielen.“ So ist Bani Almhamid nun Mitglied in ihrer
WhatsApp-Gruppe „Soccerhalle“, in der sie sich zum wöchentlichen
Fußballspielen verabreden.
Eine WG-Anbieterin berichtet, Bani habe nicht den Eindruck gemacht, das
Zimmer „um jeden Preis“ haben zu wollen. Sie lässt das über eine Freundin
ausrichten. Eine andere WG findet, Bani habe zu hohe Ansprüche, weil er
nicht in die Antifa-Wohnung mit Hitler-Konterfei im Klo ziehen wollte. „Ist
es zu viel verlangt, dass ich mich in meiner Wohnung wohlfühlen möchte?“
fragt er mit diesem „o“ im „wohl“, das immer ein bisschen nach „u“ …
Bani Almhamid möchte keine Extreme mehr in seinem Leben, was er braucht,
ist Neutralität, Ruhe, vielleicht sogar Langeweile.
## Ist es „Heuchelei“?
Bani Almhamid lebt seit neun Jahren in Wohngemeinschaften. Den Deutschkurs,
das Praktikum in einem Krankenhaus, Behördengänge – all das hat er selbst
organisiert. Er sucht eigenständig über Onlineportale nach Wohnungen und
nicht über Zuteilungssysteme oder Hilfsprogramme. Er will ein Mitbewohner
sein, kein Flüchtling, der aufgenommen wird.
Stattdessen bekommt er Angebote, ihm „bei seinen Problemen“ zu helfen, wo
er doch als größtes Problem seine Wohnungslosigkeit erachtet. Draußen, auf
der Straße vor der grauen Tür, die sich chamäleonartig in die Hausfassade
einfügt, fällt ihm noch ein Wort zu alldem ein. Er tippt etwas auf Arabisch
in seine Übersetzungs-App. Die App lädt kurz, zeigt den Begriff
„Heuchelei“, Bani Almhamid nickt grimmig.
Dann sieht er, dass Markus ihm geantwortet hat. Eine Woche später als
versprochen. Ursprünglich hieß es, Bani könne die Wohnung „ziemlich sicher…
haben. Markus schreibt, er habe sich für einen anderen Bewerber
entschieden. Bani Almhamid saugt die Buchstaben geradezu auf, die er da
sieht. Es ist das erste Mal, dass er eine böse Antwort verfasst. Weil all
seine Mühe umsonst zu sein scheint. Weil er das Gefühl nicht mehr loswird,
dass ihn hier in Deutschland niemand wirklich will. „Die von Pegida geben
das wenigstens zu“, sagt er dann noch. Und jetzt lacht nicht mal mehr sein
Mund. Er zieht jetzt auch eine Wohnung für sich allein in Betracht.
11 Nov 2015
## AUTOREN
Hanna Voß
## TAGS
Integration
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