| # taz.de -- Soziale Architektur: Urbane Akupunktur | |
| > Die Ausstellung „Think global, build social!“ im Deutschen Architektur | |
| > Museum in Frankfurt zeigt Ethik und Ästhetik im baulichen Einklang | |
| Bild: Weiterführende Schule in Gando/Burkina Faso, erbaut Diébédo Francis K�… | |
| Vor einigen Jahren lautete das Motto der Architekturbiennale Venedig „Less | |
| aesthetics, more ethics“. Der vom Biennale-Leiter Massimiliano Fuksas | |
| gewählte Titel war gemünzt auf die Stars der internationalen | |
| Architektenszene, die mit perfekten black sabbathRenderings den Investoren | |
| und Politikern die schöne, bunte Welt der Architektur vorgaukeln und mit | |
| dem Taschenspielertrick, vorbei an öffentlichen Wettbewerben, fast jedes | |
| lukrative Projekt ergattern. | |
| So weit das gockelhafte Gespreize unserer Großarchitekten. Nun haben sich | |
| aber seit einiger Zeit namhafte und weniger namhafte Architekten Gehör | |
| verschafft, für die das Biennale-Motto keineswegs einen Widerspruch | |
| darstellt. Warum sollte ethisch verantwortliche Architektur weniger schön | |
| sein? | |
| Man könnte dabei an den Japaner Shigeru Ban denken, der durch seinen | |
| Hannoveraner Expo-Pavillon und durch den Centre-Pompidou-Neubau in Metz | |
| berühmt wurde und sich dennoch nicht zu schade ist, den Katastrophenopfern | |
| auf Haiti, in Indonesien und in Japan Hilfe zu leisten. | |
| Dabei reichen seine Projekte von schnell montierbaren Unterkünften bis zur | |
| Papierröhren-Kathedrale fürs erdbebengeschädigte neuseeländische | |
| Christchurch. Die neue Kirche, die Shigeru Ban im japanischen Krisengebiet | |
| Kobe errichtete, ist, mit ihren 58 Papierröhren auf elliptischem Grundriss, | |
| bezwingend einfach und schön. | |
| ## Hilfe zur Selbsthilfe | |
| Es ist nicht unmittelbar einleuchtend, warum Andres Lepik die | |
| Shigeru-Ban-Projekte für seine Ausstellung „Think global, build social. | |
| Bauen für eine bessere Welt“ im Deutschen Architektur Museum Frankfurt | |
| nicht berücksichtigte. Denn Ban arbeitet mit seinem Team keineswegs im | |
| Auftrag mächtiger Developer. | |
| Aber vielleicht war es einfach der bekannte Name des Japaners, der ihn | |
| davon abhielt, seine Projekte in der Ausstellung zu berücksichtigen. Dafür | |
| setzte Andres Lepik, seit kurzem Leiter des Münchner Architekturmuseums, | |
| auf Selbsthilfeprojekte, die von Architekten vornehmlich in den | |
| Armenvierteln Lateinamerikas, Afrikas und Südostasiens organisiert worden | |
| sind. | |
| Den Grundstein für die Frankfurter Ausstellung legte er mit „Small Scale – | |
| Big Chance. New Architecture for Social Engagement“, der vor drei Jahren | |
| gezeigten New Yorker MoMA-Schau, die den Amerikanern zeigte, dass „sozial“ | |
| nicht unbedingt mit „sozialistisch“ gleichzusetzen ist. | |
| ## Architektur von unten | |
| Damals wurden in der Finanzmetropole, wo über größere Neubauten | |
| ausschließlich mächtige Investoren entscheiden, insgesamt elf Projekte | |
| vorgestellt. In der Zwischenzeit ist Lepik wieder auf die Suche gegangen | |
| und konnte weitere „Architekturprojekte von unten“ dokumentieren – Klinik… | |
| in Ruanda, Frauenzentren in Senegal, Schulen in Indonesien, | |
| Siedlungsprojekte in Chile, Kulturzentren in Brasilien. | |
| Offenbar hat es Kurator Andres Lepik gestört, in einer Ausstellung, die | |
| sich fast ausschließlich mit sozialen Projekten aus den Favelas | |
| Lateinamerikas sowie den Slums Afrikas und Südostasiens befasst, Videos, | |
| Touchscreens und sonstigen digitalen Schnickschnack einzusetzen. | |
| Und so ist eine Schau herausgekommen, die ganz auf schnörkellose, direkte | |
| Präsentation setzt. Eine Schau, die unfertig wirkt, als ob sich die | |
| Arbeiter gerade eine Pause gegönnt hätten. Diese Methode ist dem Sujet | |
| angemessen, denn sie erinnert an die „über Nacht“ errichteten Hütten der | |
| informellen Gecekondu-Siedlungen, in denen bis zu 70 Prozent der Bewohner | |
| Istanbuls leben. | |
| ## Simple Industriepalette | |
| Ausstellungs-Designerin Sanaz Hazegh-Nejad griff zu simplen | |
| Industriepaletten, stellte sie hochkant und hatte plötzlich eine geeignete | |
| Schauwand für großformatige Fotos und Infomaterial. Da die Ausstellung | |
| bereits einen reisefertigen Eindruck vermittelt, können die Paletten im | |
| Handumdrehen zur nächsten Station ins Architekturzentrum Wien befördert | |
| werden. | |
| Als vor 50 Jahren die Architektenstars in Manhattan ihre waghalsigen | |
| Wolkenkratzer in die Höhe bauten, zeigte Bernard Rudofsky im MoMA | |
| „Architecture Without Architects“. Die legendäre Schau handelte von | |
| namenlosen Baumeistern, die ihre Behausungen im Einklang mit dem | |
| natürlichen Umfeld errichteten. „Think global, build social“ am Frankfurter | |
| Mainufer folgt dieser Linie. | |
| Das bekannteste Beispiel ist Diébédo Francis Kéré, der aus dem bitterarmen | |
| Gando in Burkina Faso stammt. Kéré ließ sich an der TU Berlin zum | |
| Architekten ausbilden und begann vor zwölf Jahren, als seine Kollegen von | |
| iconic architecture schwärmten, die soziale Rolle des Architekten mit Leben | |
| zu füllen. | |
| Es war ihm klar, dass die Bewohner seines Heimatdorfes zu den 6,75 | |
| Milliarden Armen gehören, die weniger als 150 US-Dollar jährlich verdienen | |
| und kaum Zugang zu Trinkwasser, Bildung und medizinischer Versorgung haben. | |
| ## Mustergültig nachhaltig | |
| Diesen Zustand wollte Kéré mit seinen bescheidenen Mitteln als junger | |
| Architekt, aber auch mit den in Deutschland erworbenen Fähigkeiten ändern. | |
| Und so begab er sich zurück ins abgelegene Gando und baute eine | |
| Grundschule, mit den gleichen sonnengebrannten Lehmziegeln, die seit | |
| Generationen zur Dorftradition gehören. | |
| Kéré konnte seinen Landsleuten vermitteln, wie Ziegel widerstandsfähiger | |
| werden. Die renommierte Aga-Khan-Stiftung prämierte vor zehn Jahren die | |
| Grundschule, die Kéré zusammen mit einheimischen Handwerkern errichtete, | |
| als mustergültiges Beispiel für baukünstlerische, öffentliche und | |
| nachhaltige Architektur in Afrika. | |
| In den folgenden Jahren arbeitete Diébédo Francis Kéré, der in seinem Eifer | |
| nicht nachließ, weiter an seinem Gando-Projekt: Er baute Lehrerwohnhäuser, | |
| erweiterte das Schulgebäude. Derzeit errichtet er eine weiterführende | |
| Schule und eine öffentliche Bibliothek. | |
| ## In den Favelas von Caracas | |
| Viele der von Andres Lepik ausgestellten Projekte folgen der Strategie | |
| urbaner Akupunktur. Sie geht zurück auf Jaime Lerner, der als Bürgermeister | |
| der brasilianischen Millionenstadt Curitiba in den verarmten Außenbezirken | |
| „Leuchttürme des Wissens“ errichten ließ, um sie besser mit der städtisc… | |
| Infrastruktur zu vernetzen. | |
| Urban Think Tank, ein Team aus österreichischen und amerikanischen | |
| Architekten, schloss sich dieser Methode an und baute in den Favelas von | |
| Caracas das mehrgeschossige „Gimnasio vertical“, ein Sport- und | |
| Kulturzentrum, das erfolgreich dazu beiträgt, die extreme Kriminalität in | |
| den Favelas zu mindern und eine keimende Zivilgesellschaft zu befördern. | |
| Ein ähnliches Modell, „Fábrica de Música“, wurde vom sozialen | |
| Wohnungsdezernat Sehab in São Paulo gefördert. Mit Blick auf die kommenden | |
| sportlichen Großveranstaltungen werden die Favelas besser an das städtische | |
| Arbeits- und Verkehrsnetz angeschlossen. | |
| ## Urban Think-Tanks | |
| Francis Kéré gehört neben den Urban-Think-Tank-Gründern Alberto | |
| Brillembourg und Hubert Klumpner zu den arrivierten Architekten, die die | |
| sozialen Ungleichheiten und den Mangel an öffentlichen Einrichtungen nicht | |
| einfach hinnehmen. | |
| Doch anders als Kéré, der seine sozialen Aktivitäten auf Gando beschränkt, | |
| entwickelten Brillembourg und Klempner das „Gimnasio Vertical“ und die | |
| „Fábrica de Música“ zu Erfolgsmodellen, die mittlerweile auch nach Amman | |
| und New York exportiert wurden. Ähnliches gilt für den Chilenen Alejandro | |
| Aravena, der mit seinem Team „Elemental“, neben seiner Tätigkeit im | |
| Architekturbüro und als Universitätslehrer, betörende, ausbaufähige | |
| Wohnmodule für die Armenviertel entwickelte. | |
| Auch seine stabilen Hütten für die chilenischen Erdbebenopfer von 2010 | |
| gingen mittlerweile in Serie. Derartige Strategien gehen weit über | |
| vereinzelte Verbesserungen im Meer sozialer Disparitäten hinaus. Sie | |
| schaffen eine industrielle Basis, die die Chancen einer wirksamen | |
| „architecture engagée“ erhöht. „Less aesthetics, more ethics“ braucht | |
| tatsächlich, selbst in den Entwicklungsländern, kein Widerspruch zu sein. | |
| ## ■ „Think global, build social! Bauen für eine bessere Welt“. Bis 1. | |
| September im Deutschen Architekturmuseum Frankfurt (Katalog 18 Euro) | |
| 10 Jun 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Klaus Englert | |
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