| # taz.de -- Biennale in Venedig: Projektionen aus Deutschland | |
| > Am 1. Juni eröffnet die Kunstbiennale in Venedig. Ein Besuch im Deutschen | |
| > Pavillon – nach dem Tausch mit den französischen Nachbarn. | |
| Bild: Aus dem deutschen Pavillon: Santu Mofokeng „Buddhist Retreat near Piete… | |
| VENEDIG taz | Der deutsch-französische Pavillontausch ist ein Gewinn. Für | |
| beide Seiten. Im französischen Haus konnte die Kommissarin Susanne | |
| Gaensheimer für vier ganz unterschiedlich positionierte Künstler einen | |
| eleganten Rundgang einrichten, wie er in der deutschen Architektur | |
| undenkbar erscheint. Anri Sala wiederum, der französische Repräsentant, | |
| fand für seine überaus pathosgeladene Videoinstallation der Dekonstruktion | |
| eines Musikstücks von Ravel in der nicht minder pathetischen Architektur | |
| des deutschen Pavillons den entsprechenden Rahmen. | |
| Die völkerverständigende Begründung des Tauschs mit Bezug auf 50 Jahre | |
| Élysée-Vertrag, die jedes kunstimmanente Argument vermissen ließ, war als | |
| wohlfeile Symbolpolitik viel kritisiert worden. Die Ideengeber können von | |
| Glück reden, dass dieser Aspekt nun angesichts des ausstellungstechnischen | |
| Gewinns verblasst. Fürs Publikum öffnet die 55. Kunst-Biennale in Venedig | |
| am 1. Juni. | |
| Auch Gaensheimers transnationale Auswahl stieß auf wenig Verständnis. Dass | |
| Ai Weiwei, China, Dayanita Singh, Indien, Santu Mofokeng, Südafrika, und | |
| Romuald Karmakar, Deutschland, allerdings mit französischem Pass, das | |
| deutsche Kunstgeschehen repräsentieren, begründete die Kommissarin mit | |
| deren intensiven Arbeitsbeziehungen mit dem deutschen Kunstbetrieb, was die | |
| Internationalität der Kulturproduktion in Deutschland widerspiegele. | |
| ## 886 Holzhocker | |
| Doch was ist damit schon gesagt? Ai Weiweis wie Dayanita Singhs oder Santu | |
| Mofukengs künstlerische Arbeiten beziehen sich auf ihr Herkunftsland. Dass | |
| sie alle ausgereifte, anspruchsvolle und komplexe Arbeiten zeigen, | |
| resultiert in einer noblen, sehenswerten Schau. | |
| Dayanita Singh und Santu Mofukeng flankieren nun in der geometrischen | |
| Kreuzform des französischen Pavillonbaus rechts und links die zentrale | |
| Installation „Bang“ aus 886 dreibeinigen Holzhockern, die Ai Weiwei in | |
| langwieriger Suche aus ganz China zusammengetragen hat. Im Ausland sind sie | |
| als Antiquitäten begehrt, im Inland durch Surrogate aus Metall und Plastik | |
| ersetzt. In Venedig fügen sie sich zu einer raumfüllenden, aber luftigen | |
| Barrikade, einem skulpturalen Verteidigungswall gegen den Ausverkauf des | |
| individuellen Familienerbes wie der kollektiv geteilten Tradition. | |
| An „Bang“ sind Dayanita Singhs Fotografien vom bestürzenden Durcheinander | |
| vermeintlich wohl geordneter Aktenablagen in den Behördenarchiven von | |
| Neu-Delhi ebenso anschlussfähig wie Santu Mofukengs vieldeutig mit Licht | |
| und Schatten argumentierende Schwarz-Weiß-Aufnahmen von den Geheimtreffen | |
| schwarzer religiöser Gemeinschaften in freier Natur. | |
| ## Traumatisierte, spirituelle Landschaft | |
| Sprechen die ästhetisch wundersamen plastischen Aktenberge vom | |
| katastrophalen Alltag der indischen Bürokratie, erinnern Mofukengs | |
| Aufnahmen eine durch Apartheidpolitik und Geschäftemacherei traumatisierte, | |
| spirituelle Landschaft. Das Apartheidregime ging unter, doch die | |
| Geschäftemacherei bleibt. Jetzt wird das Land durch die Ausbeutung von | |
| Rohstoffen entweiht, wie Mofukengs neue Bilder zeigen. | |
| Den Joker im Räumlein-wechsle-dich-Spiel hat Romuald Karmakar gezogen. Im | |
| Rücken von Ai Weiweis „Bang“ situiert, hat er den deutschen Pavillon fest | |
| im Blick. Die Projektion des „8. Mai“, der Dokumentation einer NPD-Demo auf | |
| dem Berliner Alexanderplatz zum 60. Jahrestag des Kriegsendes, und der | |
| „Hamburger Lektionen“, Manfred Zapatkas Lesung zweier Predigten aus der | |
| Al-Quds-Moschee in Hamburg, die die Attentäter des 11. September besuchten, | |
| trennt die Leerstelle des Raumeingangs, in der das gegenüberliegende | |
| Germania Portal sichtbar wird. | |
| Perfekt präsentiert, im vollen Tageslicht der Kunst, mit Lautsprechern | |
| bestückt, durch die der Ton nur vor der Projektion hörbar wird, sprechen | |
| diese beiden Filme endlich von der Internationalität der Kulturproduktion | |
| made in Germany. | |
| Der Aufmarsch der Neonazis, so zeigt es Karmakar, mobilisierte ein | |
| internationales Netzwerk, so wie in den Ausführungen des mordlüsternen | |
| Imams Deutschland integraler Teil der weltweiten kulturellen | |
| Herausforderung des Westens an seine Glaubensbrüder ist. Hier, im | |
| unerbittlich genauen Blick Karmakars auf Deutschland, findet sich die von | |
| Gaensheimer beschworene globale Horizonterweiterung deutscher | |
| Befindlichkeit. Ohne die anderen Positionen zu verwerfen: Gaensheimer hätte | |
| ihm den Pavillon ganz geben müssen.. | |
| 31 May 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Brigitte Werneburg | |
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