# taz.de -- Kapoor-Austellung in Berlin: Von Darmzotten fasziniert | |
> Im Martin Gropius Bau in Berlin eröffnete am Samstag die große | |
> Einzelausstellung von Anish Kapoor, dem Superstar der New British | |
> Sculpture Bewegung. | |
Bild: „Shooting into the corner“ – eine Installation Kapoors, die auch im… | |
Hier hätte man gerne hinter die Kulissen und beim Aufbau zu geschaut. Wie | |
wurden wohl nur die teils riesigen Arbeiten und Apparaturen in den Martin | |
Gropius Bau gebracht? Die gigantischen, altertümlichen Förderbänder etwa, | |
die nun im Innenhof große Blöcke von weinrotem Wachs langsam in die Höhe | |
hieven, bis sie, am Ende des Bands angelangt, in Tiefe, auf den Boden | |
plumpsen? | |
Mindestens vier Förderbänder sind am Laufen und über allem thront eine | |
riesige rote Sonne. Anish Kapoor hat sie sich aus El Lissitzkys 1923 | |
entstandenen lithografischen Mappenwerk entliehen, in dem sich der große | |
sowjetische Konstruktivist noch einmal mit der 1913 uraufgeführten | |
futuristischen Oper „Sieg über die Sonne“ auseinandersetzte. Anish Kapoor | |
nennt seine Installation nun „Symphony for a Beloved Sun“. | |
Der indisch stämmige Superstar der New British Sculpture Bewegung, zu der | |
etwa Richard Deacon, Tony Cragg und Richard Wentworth zählen, hat das | |
Erdgeschoss des Berliner Ausstellungshauses wahrlich in Beschlag genommen. | |
Er hat es umgebaut, so scheint es und klammheimlich mit dem Mittelpunkt der | |
Erde verbunden: „Descent into Limbo“ ist ein schwarzes Loch, das unendlich | |
in die Tiefe zu ragen scheint. Tatsächlich endet es aber nach einem Meter | |
fünfzig. Das war auch schon 1992 so, als es erstmals auf der Documenta IX | |
Furore machte. | |
Ganz unübersehbar lässt er dann wieder einer weißen Wand einen kugelrunden | |
weißen Bauch wachsen. Das ist bezaubernd, auch ein bisschen verrückt. Und | |
vor allem minimalistisch klug. Sechs Bäuche zum Beispiel wären schon | |
Design. „When I am Pregnant“ aus dem Jahr 1992 aber ist ganz eindeutig | |
Skulptur. Das Kind das hier ausgetragen wird, würde man gerne kennenlernen. | |
Vielleicht ist es ein Spiegelobjekt, ein „Non-Object“, von dem er die drei | |
komplex verdrehten Varianten „Square Twist“ (2013), „Oval Twist“ (2013)… | |
„Door“ (2008) im Raum elf versammelt hat. Anish Kapoor ist für seine | |
raffiniert gefertigten Spiegel aus hochpoliertem Edelstahl berühmt. Im | |
Martin Gropius Bau stellen sie wie etwa „Vertigo“ (2006) oder „Untitled“ | |
(2013) die Räume vollends auf den Kopf. Sie geben ihnen sehr viel mehr als | |
die üblichen vier Ecken und machen sie zugleich kreisrund. | |
## Melancholisches Sinnbild | |
Wie Kapoor mit den Räumen arbeitet und spielt und seine Arbeiten dabei doch | |
immer eigenständige plastische Werke bleiben, das ist das kleine Wunder, | |
dessen Zeuge man im Martin Gropius Bau wird. Und dazu: über welchen | |
Reichtum nicht nur an Formen, sondern an Materialien und Farben die | |
Bildhauerei, aber auch wir in unserem Alltagsleben, heute verfügen. Denn es | |
sind ja einfache Materialien mit denen Kapoor arbeitet, Alltagszeug, PVC, | |
Kunstharz, Stahl, Zement, und etwas klassischer, traditioneller, Wachs und | |
Stein. | |
Dem begehbaren, weil aufblasbaren, dunkelgrauem PVC-Schlauch, der unter dem | |
Titel „The Death of Leviathan“ 2011 wie ein riesiger Kunstwurm durch das | |
Pariser Grand Palais kroch, ist in Berlin die Luft ausgegangen. Der müde | |
Sack erstreckt sich aber immer noch über drei Räume − ein melancholisches | |
Sinnbild vielleicht, für das Ende all der großartigen, spekulativen Blasen, | |
das zu überstehen inzwischen unsere wesentliche Lebensaufgabe zu sein | |
scheint? | |
Vom Tod des Leviathan, also des Staates, nähren sich nicht nur diese Gold-, | |
Aktien-, Rohstoff- oder Immobilienblasen, sondern es nährt sich davon auch | |
die kriegerische Gewalt, die unsere Welt überflutet. „Shooting into the | |
Corner“ könnte ein Mahnmal dieser Gewalt sein. Alle zwanzig Minuten schießt | |
eine spezielle Kanone schwere tiefrote Wachsgeschosse in eine Ecke des | |
Raums vier, die zu einem blutigen Schlachtfeld wird und zugleich zu einer | |
Fortführung des Action Paintings und des Abstrakten Expressionismus in | |
einer dreidimensionalen, mechanisierten Form. | |
## Zwischen Exkrement und Blumenrabatte | |
Manche Maschinenkunst bleibt gleichwohl ein Geheimnis. Was spuckt das | |
kleine schwarze Loch in der weißen Wand eigentlich aus, sofern die | |
kolossale Apparatur hinter der Wand einmal in Bewegung kommt? Ja, man würde | |
zu gern einmal hinter die Kulissen schauen, das ist ein wiederkehrender | |
Gedanke dieser Ausstellung. Um beispielsweise zu sehen, wie die riesigen | |
Zementhaufen entstehen, deren Form merkwürdig zwischen Exkrement und | |
Blumenrabatte oszilliert. Anish Kapoor, das entdeckt man nun in seiner | |
Berliner Schau, ist ein großartiger Erfinder tendenziell ekliger und | |
unangenehmer Formen. Darmzotten scheinen sein neuestes Faszinosum zu sein. | |
Das legen jedenfalls die mehrfach hinter einander geschobenen, durch- und | |
aufgebrochenen Kunstharzquader von „1st Body“ (2013) nahe, deren Oberfläche | |
an eben diesen Körperteil erinnern. | |
Der 1954 in Mumbai geborene Künstler, der Anfang der 70er Jahre am Hornsey | |
College of Art in London studierte, 1990 Großbritannien auf der Biennale | |
von Venedig vertrat und 1991 den Turner Preis erhielt, ist zuletzt mehr an | |
der Form als an der Farbe interessiert, hat es den Eindruck. Anders in | |
seinem Frühwerk, in dem er mit Hilfe der Farbe gerne den Übergang vom | |
Dreidimensionalen ins Zweidimensionale untersuchte und vermeintlich plane | |
Farbflächen schuf, die sich beim Nähertreten als schwindelerregend | |
bodenlose Hohlräume erwiesen. Das umgekehrt Spiel treibt eine der schönsten | |
Arbeiten in Berlin, die „Dirty Corner“ (2010), die ausschaut, als sei ein | |
Rußkegel in der Ecke platziert. Tatsächlich wurde die Ecke aber nur so | |
ausgemalt, dass das Schwarz dreidimensional und körperlich erscheint. | |
Bis 24. November, Martin Gropius Bau, Berlin, Katalog (Verlag Buchhandlung | |
Walther König) 34,- EUR | |
18 May 2013 | |
## AUTOREN | |
Brigitte Werneburg | |
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