# taz.de -- Regisseur Karmakar: "Der islamistische Terror war längst da" | |
> Wie hört sich eine Hasspredigt an? Rationaler, als viele denken. In | |
> seinem Film "Hamburger Lektionen" zeigt Romuald Karmakar, mit welchen | |
> Utopien ein islamistischer Extremist Terror rechtfertigt | |
Bild: Manfred Zapatka trägt die Predigt Mohammed Fazazis vor. | |
taz: Herr Karmakar, wie haben Sie "Hamburger Lektionen" finanziert? | |
Romuald Karmakar: Den Film habe ich beziehungsweise meine Firma Pantera | |
Film finanziert. | |
Warum haben Sie nicht den üblichen Weg mit Filmförderungs- oder | |
Fernsehgeldern beschritten? | |
Das dauert zu lange. Ich habe im Juli 2005 einen Artikel über die Lektionen | |
des Imam Fazazi in Hamburg gelesen und wollte schnell arbeiten. Ein Vorteil | |
ist auch die Freiheit, nicht vor dem Dreh zwanzigmal erklären zu müssen, | |
was man will. Ich mag es nicht, wenn ich meine Projekte erklären muss. Ich | |
mache sie lieber. | |
Wie beim "Himmler Projekt", Ihrem Film aus dem Jahr 2000, in dem es um die | |
Posener Rede des SS-Führers Heinrich Himmler ging, trägt Manfred Zapatka | |
den Text vor. Ein Unterschied ist, dass die Predigten des Imam aus dem | |
marokkanischen Arabisch ins Deutsche übersetzt werden mussten. War das | |
kompliziert? | |
Ja, wir haben das anfangs unterschätzt. Beim Arabischen sagen viele, es ist | |
schwer übersetzbar, weil es so blumig und vieldeutig ist. Andererseits | |
mussten bestimmte Passagen, zum Beispiel Aufrufe zur Gewalt, die als | |
Volksverhetzung justiziabel sind, genau übersetzt werden. Aus diesem Grund | |
haben wir manche Stellen mehrfach übersetzen lassen, um so präzise wie | |
möglich zu sein. | |
Fazazi ist ein islamistischer Extremist. Wie sieht die Utopie aus, die er | |
seinem Publikum anbietet? | |
Die Errichtung eines globalen Kalifats, also die Weltherrschaft des Islam | |
in der rigiden, salafistischen Deutung, die er vertritt. Damit | |
transformiert er das Gefühl, vom Westen dominiert und unterdrückt zu | |
werden, in eine künftige Machtperspektive. Er sagt, dass die Errichtung des | |
Kalifats hunderte von Jahren dauern kann - aber das ist eine sinnstiftende | |
Idee. Es ist ein Projekt, das größer ist als das Leben der Individuen. Es | |
ist ein wasserdichtes Utopie-Projekt, in dem außerdem definiert wird, wie | |
man alltäglich zu leben hat. Ein All-inclusive-Angebot. | |
Die salafistische Idee, dass das Heil darin besteht, so zu leben wie im 7. | |
Jahrhundert, erscheint uns als obskur. Vertraut ist aber die Struktur der | |
Rede. Es gibt einen Text, der die Offenbarung enthält - so wie die Bibel. | |
Und es gibt den Interpreten, dessen Autorität auf der Textexegese beruht. | |
Manche Zuschauer haben gesagt: Ich war Ministrant, mir kommen manche | |
Argumente ziemlich bekannt vor. | |
Ein weiterer roter Faden des Textes ist die Definition des Feindes. Er geht | |
so weit zu sagen, dass Muslime auch Frauen und Kinder töten dürfen, wenn | |
diese dem Islam schaden. Das ist totalitär, aber auch ein vertrauter Text: | |
Die Freund-Feind-Bestimmung gehört zum Kernbestand modernen politischen | |
Denkens. | |
Fazazi beschwört ein binäres System: Es gibt die Wir-Gruppe und die | |
Sie-Gruppe. Fazazi definiert, was man tun muss, um zur Wir-Gruppe zu | |
gehören - nämlich seiner höchst strikten, wortwörtlichen, salafistischen | |
Form des Islam zu folgen. Solche Tugendkataloge, die Wir und Sie | |
unterscheiden, sind typisch für extremistische Gruppen. Die gibt es auch | |
bei der SS. Fazazi vermittelt dem Publikum die Idee, Träger der Offenbarung | |
zu sein. Die Einzelnen handeln nicht als Individuen, sondern als Agenten | |
einer Vision. Auch das erinnert an Himmlers Rhetorik, der die Zukunft des | |
Tausendjährigen Reiches beschwor. Und dass die SS die Elite ist, die sich | |
für diesen Auftrag über alle Regeln hinwegsetzen darf. | |
Manfred Zapatka liest, in ähnlicher Diktion und Inszenierung, die Texte von | |
Himmler und Fazazi. Liegt darin nicht die Gefahr, ein Gleichheitszeichen | |
zwischen Himmler und Fazazi zu setzen - und damit zwischen | |
Nationalsozialismus und radikalem Islamismus? | |
Ach nein, der Unterschied ist doch deutlich. Der Nationalsozialismus 1943 | |
war staatlich legitimierter Terror von völlig anderer Größenordnung. | |
Insofern kann man, was die Ausmaße des Terrors angeht, nichts gleichsetzen. | |
Doch Himmler und Fazazi haben ein ähnliches Thema. Sie versuchen etwas zu | |
legitimieren, was allgemein als Verbrechen gilt, etwa den Massenmord. Und | |
sie wollen ihrem Publikum die Angst nehmen, dies zu tun. Ähnlich sind auch | |
der Absolutheitsanspruch, vollständig im Recht zu sein, und die | |
Selbstermächtigung. Da gibt es auch Parallelen zu Gruppen wie der RAF. | |
Welche Rolle spielt "Hamburger Lektionen" in Bezug auf den Diskurs über | |
Islamismus in Deutschland? | |
Der Film ist klassische Aufklärung. Er vermittelt Wissen über etwas, von | |
dem oft geredet wird, von dem aber die Wenigsten wissen, woraus es sich | |
zusammensetzt - zum Beispiel die Hasspredigt. Das Wort wird oft verwendet. | |
Alle tun so, als wüssten sie, was eine Hasspredigt ist - aber konkret | |
wissen es eben die wenigsten. Es gibt das Klischeebild des Nazis, der | |
schreit. Ein Nazi muss schreien. Wenn er nicht schreit, ist er kein | |
richtiger Nazi. Es hat gedauert, ehe man begriffen hat, dass es auch | |
freundliche, ruhige Nazis gab, die keineswegs weniger extremistisch waren. | |
Ich will zeigen, dass sogenannte Hassprediger auch rational argumentieren. | |
Müssen wir Angst vor dem gewalttätigen Islamismus schüren? | |
Wir müssen uns damit beschäftigen, bevor wir Angst haben. Der radikale, | |
gewaltbereite Islamismus steht nicht außerhalb unseres Lebens, er ist Teil | |
unseres Lebens. | |
Meinen Sie, dass dies in Deutschland verdrängt wird? | |
Ja, nicht von der Politik, aber von der Gesellschaft. Wir haben das Thema | |
an die Politik delegiert. Auch der Kulturbetrieb hat das Thema komplett | |
ausgeblendet. Das ist gefährlich. Es gab lange die Ansicht, dass ein | |
Anschlag wie in London bei uns nicht passieren kann. Das ist eine blinde | |
Hoffnung. Als die Kofferbomber entdeckt wurden, schrieben manche Zeitungen: | |
Nun ist der islamistische Terror bei uns angekommen. Falsch. Er war schon | |
vorher hier. Wer hingucken wollte, wusste das. Diese Lektion ist im Januar | |
2000 in Hamburg gehalten worden, vor 9/11. Sie ist eine globale Kampfansage | |
an alle, von Brasilien über die USA bis nach Deutschland, unabhängig vom | |
Irakkrieg. | |
Gelassenheit ist aber die klügste Reaktion einer offenen Gesellschaft auf | |
Terrorismus, gegen den es absoluten Schutz nie geben kann. | |
Das stimmt. Aber Gelassenheit heißt nicht, dass wir nichts tun. So zu tun, | |
als wäre der gewalttätige Islamismus nicht da, ist einfach, aber falsch. | |
Im ersten Bild sieht man die Fassade eines Hamburger Hauses, in dessen | |
Hinterhof die Moschee war, in der Fazazi predigte. Ein Alltagsbild, | |
unscheinbar, es könnte überall sein. Liegt darin nicht die Suggestion: Sie | |
sind schon hier, mitten unter uns? | |
Nein, das ist ein offenes Bild. Der Text beschreibt ja den konkreten Ort, | |
die Al-Quds-Moschee, und den konkreten Zeitpunkt, den Januar 2000. Das Bild | |
suggeriert nicht, dass so auch in anderen Moscheen geredet wird. Ich wollte | |
mit dem Bild aber zeigen, dass diese Predigt hier gehalten wurde, an einem | |
Ort, an dem deutsche Autos vorbeifahren. Denn es gibt in Deutschland eine | |
Exterritorialisierung des radikalen Islamismus, der überall ist, in London | |
oder Madrid, aber nicht bei uns. | |
Fazazi ist kein Deutscher. Er ist nicht Teil eines Migrantenkollektivs, wie | |
jene Pakistani der dritten Generation, die britische Staatsbürger sind und | |
Terroristen wurden. Fazazi hingegen ist eine Art Handlungsreisender in | |
Sachen islamistischer Terror, der eine Zeit lang in Hamburg war | |
Ja, aber er spricht zu Migranten, die sich in Deutschland radikalisiert | |
haben. Insofern gehört dies zu unserer Realität. Das kann man nicht | |
leugnen. | |
INTERVIEW: STEFAN REINECKE | |
19 Sep 2007 | |
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Kunst | |
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