Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Besuch bei Ai Weiwei in China: Jemand, der stark sein will
> Auf einer Reise trifft unsere Autorin fast zufällig den Künstler Ai
> Weiwei. Er plant seine erste Einzelausstellung in China seit 22 Jahren.
Bild: Al Weiwei in seinem Atelier in Peking.
Peking taz | „Können wir nicht Ai Weiwei treffen?“ Ich sage es so dahin,
mehr als Spaß. Ich glaube nicht ernsthaft, dass wir dem bekanntesten
Künstler Chinas begegnen könnten. Einem Mann, der weltberühmt ist wegen
seiner Kritik an der Diktatur seines Landes und mittlerweile ein Politikum.
Der im Gefängnis saß und gefoltert wurde. Jemand, den die chinesischen
Behörden genau beobachten und abschotten. Und der jetzt den
Menschenrechtspreis von Amnesty International bekommen hat.
Eine taz-Reise führt eine kleine Gruppe deutscher Kunstinteressierter durch
China. Peking, Schanghai, Yangzhou, Huangshan. Jeden Tag treffen wir
Künstlerinnen und Künstler, Maler, Kalligrafen, Poeten. YoYo, eine
chinesische Künstlerin, und Yang Lian, ein chinesischer Dichter, führen die
Gruppe an. Wir lernen Menschen kennen, von denen wir noch nie etwas gehört
haben: Xu Longsen, Ze Laide, Yang Ermin, Yuan Wu.
Ai Weiwei gehört zum Freundeskreis des Künstlerpaares. YoYo und Yang Lian
leben seit Jahren im Ausland, erst London, jetzt Berlin. Ai Weiwei kommt
aus China nicht raus, dafür sorgen die chinesischen Behörden. Yang Lian hat
in China gerade einen neuen Gedichtband veröffentlicht, Ai Weiwei hat dafür
das Cover gestaltet: Sonnenblumenkerne, gezeichnet in Schwarz-Weiß. Für die
Produktion eines Buches muss man nicht nebeneinander sitzen, man schickt
sich Texte und Bilder per Mail hin und her. So haben es auch Ai Weiwei und
Yang Lian gemacht.
Yang Lian hält sein Buch hoch und erzählt, dass Ai Weiwei derzeit eine
Ausstellung vorbereitet, in Peking, wo wir gerade sind. Er erzählt es ganz
nebenbei. Aber: „Wenn Ai Weiwei dein Freund ist, Yang Lian, dann müssen wir
ihn doch treffen“, sage ich. „Ganz unmöglich ist das nicht“, sagt Yang
Lian.
## Im Atelier des Künstlers
Niemand von uns glaubt, dass es klappt. Doch zwei Tage später stehen wir
tatsächlich in Ai Weiweis Atelier. Ob er selbst da ist, ist unklar. Die
Gruppe ist aufgeregt. Ai Weiwei zu treffen, das ist hochpolitisch. Das ist
der Höhepunkt unserer China-Kunstreise. Einmal in den Arbeitsräumen dieses
Mannes stehen und eine Ahnung davon bekommen, wie es sein muss, Kunst zu
produzieren und nicht zu wissen, ob sie überhaupt jemand zu Gesicht
bekommt. 2008 ließ die Stadtverwaltung von Schanghai eine Arbeit von Ai
Weiwei kurzerhand vernichten, weil er es gewagt hatte, die chinesische
Regierung öffentlich zu kritisieren.
Aber er macht immer weiter – üblicherweise monumental. Für eine Ausstellung
im vergangenen Jahr im Berliner Gropius-Bau hat der Mann 6.000 Hocker zu
einer Holzfläche aneinandergereiht.
Ai Weiweis Kunsthalle liegt in dem Künstlerviertel „Area 798“, einer
ehemaligen Industriebrache so groß wie ein bayerisches Dorf. Maler,
Bildhauer, Kunstgewerbler haben hier ihre Ateliers, Galerien, Läden. Die
Halle ist so hoch wie ein Bahnhof und hat die Dimension eines Discounters.
Am Eingang ein kleines Papierschild: Temporarily closed for Exhibition
Installation. Geschlossen für Ausstellungseinrichtung. Drinnen: Dröhnen und
Staub.
Chinesische und italienische Arbeiter – Ai Weiweis Assistenten – stehen auf
Baugerüsten und fräsen Löcher in Betonwände. Auf dem Boden liegen
meterlange dicke, alte Holzpfähle.
## Das Alte bewahren
Ai Weiwei hat ein ganzes Haus in einem Dorf in der Nähe von Huangshan,
einer Stadt in den Yellow Mountains, abbauen lassen, erzählt Yang Lian.
Hier baut er es wieder auf. Ein historisches Haus, wie es kaum mehr welche
gibt. Überall fällt die Tradition der Moderne zum Opfer. Peking ist
mittlerweile eine Betonwüste, grau, gesichtslos, uniform. Ai Weiwei will
das Alte, das Historische bewahren, deshalb das Haus hier, in der
Kunsthalle mitten in Peking. Insgesamt 500 Holzteile, 11 davon liegen vor
uns. Wenn alles gut geht, wird die Ausstellung am kommenden Sonnabend
eröffnet.
Es wäre Ai Weiweis erste Einzelausstellung in China seit 22 Jahren.
Kunsthäuser in London, New York, München und San Francisco präsentieren
seine Werke, im eigenen Land wird er reglementiert. Es kann durchaus sein,
dass die Vernissage am Sonnabend ausfällt. Denn Ai Weiwei hat keine
Erlaubnis eingeholt, dass er ausstellen darf. Die Regierung kann also
kurzerhand alles zerstören.
Wir stehen in der Halle, ehrfürchtig und ergriffen, wir lassen uns
einstauben, wir ertragen den Krach. Da schlendert er plötzlich um die Ecke,
ein kleiner Mann mit dunklem Haar und fussligem Bart. Ai Weiwei kommt auf
uns zu und sagt: „Nihao.“ Er trägt ein blaues T-Shirt und eine graue Hose,
in der Hand hält er sein iPhone. Bevor er noch etwas anderes sagen kann als
„Hallo“, zücken wir unsere Kameras und knipsen. Er ist irritiert. Was
wollen die bloß? Wir sind irritiert. Er ist es wirklich.
## Fragen über Fragen
Damit hatten wir nicht gerechnet. Ai Weiwei gibt sich die Ehre. Wir gehen
raus, Ai Weiwei setzt sich unter den Sonnenschirm eines Cafés, wir umringen
ihn. Jeder will etwas von ihm erhaschen, eine Frage loswerden. Wie geht es
ihm? Wie alt genau ist das Haus, das er wieder aufbaut? Wie lange soll die
Ausstellung dauern? Ist er sicher, dass die Behörden mitspielen? Hat er
unterdessen seinen Pass wieder? Was ist mit seinem Sohn, der mit seiner
Mutter in Berlin lebt?
Ai Weiwei antwortet, leise, aber bestimmt. Sein Englisch ist perfekt, seine
Stimme fest. Er sagt Sätze wie: „Das ist ein soziales Projekt.“ „Holz ist
Leben.“ Er spricht langsam, sein Oberkörper ist leicht nach vorn gebeugt,
seine Augen wandern hin und her. Er wirkt wie jemand, der stark sein will,
aber dem das Leben abhandengekommen ist. Der resigniert, weil er weiß, dass
menschliche Kräfte irgendwann erschöpft sind, egal wie groß der
Widerstandswille ist.
Wir sehen das – und fragen trotzem weiter. Nach einer halben Stunde steht
er auf und sagt, er müsse jetzt gehen. Er lässt sich noch einmal
fotografieren, mehr aus Pflichtgefühl als aus Interesse. Dann ist er so
plötzlich verschwunden, wie er aufgetaucht war.
30 May 2015
## AUTOREN
Simone Schmollack
## TAGS
Reiseland China
Kunst
Peking
Ai Weiwei
Ai Weiwei
Ai Weiwei
Ai Weiwei
Kunst
## ARTIKEL ZUM THEMA
Ortstermin mit Ai Weiwei und Liao Yiwu: Chinesische Kommunikation
Ai Weiwei spricht in der Berliner Philharmonie mit dem Dichter Liao Yiwu.
ZDF-Journalist Wolfgang Herles soll moderieren. Doch es kommt anders.
Ai Weiwei bekommt Pass zurück: Auf nach Deutschland
Der chinesische Künstler Ai Weiwei hat seinen Pass zurückerhalten und kann
nun das Land verlassen. Er will unter anderem seinen Sohn wiedersehen.
Drei Ai-Weiwei-Ausstellungen in Peking: Holz aus der Südostprovinz
Die chinesischen Behörden dulden gleich drei Einzelschauen des
regimekritischen Künstlers. Dabei ist der subversiv wie eh und je.
Rangliste der Kunstbranche: Der Held der Tate
Wer ist der einflussreichste Mensch im Kunstbetrieb? So albern die Frage,
so spannend ist die Antwort. Ganz vorn im „ArtReview“-Ranking ist ein
Museum.
Biennale in Venedig: Projektionen aus Deutschland
Am 1. Juni eröffnet die Kunstbiennale in Venedig. Ein Besuch im Deutschen
Pavillon – nach dem Tausch mit den französischen Nachbarn.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.