| # taz.de -- Ortstermin mit Ai Weiwei und Liao Yiwu: Chinesische Kommunikation | |
| > Ai Weiwei spricht in der Berliner Philharmonie mit dem Dichter Liao Yiwu. | |
| > ZDF-Journalist Wolfgang Herles soll moderieren. Doch es kommt anders. | |
| Bild: Irgendwo in China? Nein, das ist die Berliner Philharmonie, 1960-1963 erb… | |
| Wie lautet die Nummer eines Parkplatzes, der von einem darauf abgestellten | |
| Auto verdeckt ist, [1][wenn die Nachbarparkplätze die Nummern 16, 06, 68, | |
| 88 und 98 haben?] Popeleinfach. Eins fix drei hauen Grundschulkinder die | |
| Lösung raus. Grundschulkinder in China wohlgemerkt. Viele Erwachsene | |
| hierzulande zerbrechen sich vergeblich den Kopf darüber. Rätselhaft, | |
| wirklich rätselhaft. | |
| Ai Weiwei ist Chinese, Künstler und seit vier Wochen in Deutschland. Liao | |
| Yiwu ist ebenfalls Chinese, Dichter und seit fünf Jahren hier. Beide sind | |
| berühmt, am Mittwochabend sprachen sie miteinander. Öffentlich, in der | |
| Berliner Philharmonie, im Vorfeld des Internationalen Literaturfestivals. | |
| Das Gespräch wurde simultan übersetzt, zwei Gebärdendolmetscherinnen sitzen | |
| mit auf der Bühne, der ZDF-Journalist Wolfgang Herles sollte moderieren. | |
| Großer Bahnhof. | |
| Und dann tritt Festivalchef Ulrich Schreiber ans Mikro und sagt, Herles | |
| werde das Gespräch nicht führen, das machten Ai und Yiwu jetzt allein. Nach | |
| all den Differenzen mit deutschen Medien und den Angriffen, denen Ai Weiwei | |
| ausgesetzt ist, seit er hier ist, wollen sie das so. „Die Künstler wollen | |
| ein Gespräch unter Chinesen führen“, sagt Schreiber. Rätselhaft, wirklich | |
| rätselhaft. | |
| ## Generation ohne Geschichte | |
| Auf dem Weg in die Philhamonie, erzählt dann wenig später Ai Weiwei, habe | |
| er einen Baum mit kleinen Früchten gesehen. Dieser Baum erinnere ihn an den | |
| Ort, an dem er groß geworden sei. Er sagt: „Ich bin 58 Jahre lang | |
| aufgewachsen, mein Leben wird immer kleiner.“ „Sind wir eine Generation | |
| ohne Geschichte“, will Yiwu wissen. Ai: „Ich habe nicht genug Wissen über | |
| Geschichte.“ | |
| „Aber Ai, du hast selbst gesagt, dass wir ein Volk ohne Geschichte sind. | |
| Hast du das vergessen?“ Ai tippt in sein Handy, macht ein paar Fotos und | |
| antwortet: „Es ist wohl so, dass chinesische Sicherheitsbehörden einen Teil | |
| meines Gedächtnisses zensiert haben.“ | |
| Ai sei sein berühmtester Interviewpartner, sagt Yiwu: „Ich musste mir | |
| vorher Mut antrinken.“ Die beiden Künstler lassen nichts aus: Freiheit, | |
| Diktatur, Demokratie, Zensur, Angst. Chinesische Männer im Publikum filmen. | |
| Ai sagt Sätze wie: „Ich will nicht so verstanden werden, dass ich für das | |
| chinesische Regime spreche.“ | |
| Seine viel kritisierte Aussage, dass ein, zwei Verhaftungen heute keine | |
| große Sache seien, sei im historischen Kontext zu verstehen. In der Zeit | |
| der Kulturrevolution zwischen 1966 und 1976 sind Millionen Menschen | |
| verschwunden und ermordet worden. Das sind Sätze, die das deutsche Publikum | |
| hören will, für die es Applaus spendet. Sätze, die es versteht. | |
| ## Rätselhafte Dialoge | |
| Aber dann gibt es da noch blumige asiatische Sprachbilder, rätselhafte | |
| Dialoge mit rätselhaftem Subtext. Ai sei ein Held, sagt Yiwu. Einer, von | |
| dem es jede Menge Bilder ohne Hosen gebe. „Es gibt keinen Helden, der mit | |
| angezogener Hose geboren wurde“, weiß Ai. Einmal sagt Yiwu: „Ich habe dich | |
| nicht verstanden.“ Ai: „Ich glaube, du hast zu viel Alkohol getrunken.“ | |
| China-Kenner werden später sagen, das sei chinesische Kommunikation, normal | |
| in dem fernen Land. Und rätselhaft für deutsche Ohren. | |
| Und die Lösung des Rätsels? Lautet 87. Dreht man das Papier auf den Kopf, | |
| erkennt man die tatsächlichen Zahlen: 86, 88, 89, 90, 91. Das Auto parkt | |
| dazwischen, auf Nummer 87. | |
| 3 Sep 2015 | |
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| ## AUTOREN | |
| Simone Schmollack | |
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