# taz.de -- Ai Weiwei in Deutschland: Kein harter Knochen | |
> Deutsche Medien sind enttäuscht von Ai Weiwei und werfen ihm vor, er sei | |
> weich geworden. Da hat der Westen wohl etwas nicht kapiert. | |
Bild: Ai Weiwei in seinem Atelier im Prenzlauer Berg in Berlin. | |
Das sei doch nicht mehr der alte Ai Weiwei: Nicht mehr der beinharte | |
politische Knochen, als den man ihn kannte. | |
Der neue Ai Weiwei, das ist jemand, der Wohlfühlfotos vom Ufer der Isar und | |
Selfies mit lachenden Polizisten und irgendwelchen Menschen auf | |
Deutschlands Straßen twittert. | |
Der neue Ai Weiwei, das ist einer, der Interviews abbricht und zwei | |
Journalistinnen beschuldigt, ein Interview mit ihm nicht so aufgeschrieben | |
und veröffentlicht zu haben, wie es verlaufen sei. | |
Kurz: Der Künstler, der nach Haft und Folter in seinem Heimatland China vor | |
Kurzem seinen Pass zurückbekommen hat und jetzt in Berlin bei seiner | |
Lebensgefährtin und seinem Sohn lebt, ist eine große Enttäuschung. In | |
diesem Urteil scheint sich eine Mehrheit hiesiger Medien einig zu sein. | |
## Der Feind abhanden gekommen | |
Aber ist das gerechtfertigt? Ist Ai Weiwei nicht mehr als eine große | |
Mogelpackung? Eine, die jetzt mit Karacho auffliegt, da dem Mann der Feind | |
abhanden gekommen ist – nämlich das eigene Land? | |
Man kann das genau so sehen. Man könnte dafür sogar den Galeristen | |
Alexander Ochs als Beleg anführen. Der Experte für chinesische Kunst hatte | |
bald nach Ais Ankunft in Deutschland verlangt, den Mann jetzt mal mehr als | |
Künstler und weniger als politischen Aktivisten zu sehen. Wenn schon der | |
Galerist öffentlich dafür werben muss, dass Ai Weiwei ein Künstler ist, | |
dann kann es mit dessen Werken ja nicht weit her sein. | |
Das ist Wasser auf die Mühlen derjenigen, die in dem Konzeptkünstler noch | |
nie den großen Meister gesehen haben. Für die seine Holzschemel, | |
Holzhäuser, Filme und Skulpturen eher Folklore sind als vibrierende Kunst. | |
Ai hat dem Galeristen aber rasch widersprochen: Natürlich sei er politisch. | |
Aber die jetzt angeblich fehlenden politischen Forderungen fliegen ihm | |
jetzt um die Ohren. Weil er nun in den Interviews mit dem chinesischen | |
Unrechtsstaat milder umgeht, als man das hierzulande erwartet hatte. Weil | |
er Sätze sagt wie: „Ein paar Leute festzunehmen, ist doch keine große | |
Sache.“ | |
## Ein gebrochener Mensch | |
Aber ist er tatsächlich versöhnlicher mit den chinesischen Behörden? | |
Schwächt er die chinesische Diktatur ab? Hat er nur noch wenig Empathie mit | |
denen, die in seiner Heimat heimlich festgenommen und verschleppt werden, | |
so wie früher er selbst? | |
Wer Ai Weiwei trifft, ob in China oder anderswo, erlebt einen gebrochenen | |
Menschen. Jemanden, der weit davon entfernt ist, unberechtigte Haftstrafen, | |
Folter, das Einfrieren der Meinungs- und Reisefreiheit zu verharmlosen. | |
Stattdessen versucht er den Menschen im Westen, die ausschließlich ein | |
Leben in Freiheit kennen, ein Leben in der Diktatur zu erklären. | |
In der Diktatur läuft sehr vieles anders als in der Demokratie. Der Alltag | |
wird bestimmt von zum Teil unverständlichen, repressiven Regeln. Aber die | |
Menschen müssen sich darin irgendwie einrichten, sich arrangieren, wenn sie | |
nicht ihren Verstand verlieren oder getötet werden wollen. So ist das in | |
China, und so ist das in anderen Ländern dieser Welt. Das weiß man im | |
Westen auch. Aber zwischen Wissen und Verstehen klafft mitunter eine Lücke. | |
Diese Lücke offenbart sich gerade in der Kritik an Ai Weiweis Verhalten. | |
Aus der Ferne lässt sich leicht urteilen. Das Problem an der Debatte um Ai | |
Weiwei ist nicht Ai Weiwei, sondern die Erwartungshaltung an ihn. | |
Deutschland wollte einen Helden. Und hat einen Menschen bekommen. | |
21 Aug 2015 | |
## AUTOREN | |
Simone Schmollack | |
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