# taz.de -- Politische Kunst: Wo kein Flieger abhebt | |
> Der Konzeptkünslter Khalil Rabah will in Hamburg Vorschläge für eine neue | |
> palästinensische Identität jenseits des Nahostkonflikts machen. | |
Bild: Der Schwund ist Programm: Wer will darf sich welche von Rabahs Postkarten… | |
HAMBURG taz | Als erstes sieht man das Flugzeug: Klein und aus Plastik, auf | |
einem Dreibein balancierend, als sei es übrig von einer Tourismusmesse. | |
Dahinter hängt das Foto eines kleinen, düsteren Raums, wohl ein Reisebüro | |
mit den obligatorischen Weltzeit-Uhren an der Wand. Die zeigen allerdings | |
Zeiten wie 11.50 und 12.10 Uhr, und man ahnt: Das kann nicht sein. Dazu | |
diese merkwürdige Weltkarte mit Palästina in der Mitte, und darunter steht | |
in großen Lettern „United States of Palestine Airlines“. | |
Nun gibt es aber gar keine palästinensische Fluggesellschaft. Wegfliegen | |
kann man über Tel Aviv, Israel, oder Amman, Jordanien, aber nicht direkt | |
aus den Autonomiegebieten. Dort aber, genauer: in Ramallah, wohnt und | |
arbeitet der Konzeptkünstler Khalil Rabah, dessen Ausstellung „Scale | |
Models“ das Hamburger Kunsthaus derzeit präsentiert. | |
Rabah wagt zu träumen: von dem, was für andere Nationen selbstverständlich | |
ist, aber nicht für „Palästina“. Ob es eine Fluglinie mehr oder weniger | |
gibt, ist für die meisten Menschen egal, aber nicht für die im nahen Osten. | |
Jedenfalls nicht seit 1948, als der Staat Israel sich gründete, was die | |
arabische Bevölkerung in der Region bis heute als Katastrophe empfindet und | |
als kollektiven Verlust von Identität. | |
In einer besonderen Lage finden sich dabei die in Israel lebenden | |
Palästinenser wieder: Den Nachbarn gelten sie als Kollaborateure des | |
Zionismus, vielen jüdischen Israelis als bloße Araber. Das Attribut | |
„palästinensisch“ kommt in beiden Lesarten nicht vor, und bleibt | |
Leerstelle. Der eigene Staat namens „Palästina“, für den eine eigene | |
Fluglinie Insignium wäre, ist bislang Sehnsucht geblieben. Mit dieser | |
Sehnsucht spielt Rabah in seiner Hamburger Installation, einem Überbleibsel | |
von Rabahs so temporärem wie fiktiven Reisebüro in Beirut: Vor das hatte er | |
seinerzeit sogar einen Kleinbus gestellt, der suggerierte, man könne | |
tatsächlich wegfliegen. | |
Rabah selbst fliegt sehr wohl, hat in São Paulo, Sydney und Istanbul | |
ausgestellt. Auch auf der Biennale in Venedig, wo es keinen | |
palästinensischen Pavillon geben durfte, weil Palästina kein Staat ist. | |
Worüber aber definiert sich das palästinensische Volk? Der Künstler, | |
Jahrgang 1961, kann da nur im Selbstversuch agieren, die eigenen Wurzeln | |
suchen – und die dann anderen vorschlagen. | |
Dem Riwaq-Zentrum hat er sich zum Beispiel angeschlossen, einer | |
Organisation für Architektur und Denkmalschutz zur Revitalisierung | |
historischer Dörfer in palästinensischem Gebiet. Die Riwaq-Leute forschen | |
in Orten, die vielen Palästinensern selbst kein Begriff sind und in denen | |
sie schon gar keine großen Kulturschätze vermuten. | |
Allerdings belässt es Khalil Rabah nicht beim konkret-archäologischen | |
Engagement: Er mischt sich auch künstlerisch ein, hat 2005 die | |
Riwaq-Biennale gegründet und Kultur in die Dörfer gebracht. Für die | |
Hamburger Ausstellung nun hat er 7.000 Postkarten von 50 Riwaq-Orten | |
drucken lassen: Wie hübsche Touristen-Grußkarten sehen sie aus und liegen | |
als verschieden hohe Stalagmiten auf dem Boden; eine kleine Wüsten- oder | |
Hochhauslandschaft. Wer will, kann schöne Bildchen alter palästinensischer | |
Dörfer in die Welt tragen. | |
Womit er aber, andererseits, die Postkartenlandschaft zerstören würde. Eben | |
diese Erosion ist aber die Voraussetzung für eine Werbeaktion nach | |
westlichem Muster, angewendet auf eine Kultur, die lange vor 1948 entstand: | |
Jedes, oder zumindest beinahe jedes kleine Dorf besitzt Stätten, auf die | |
Palästinenser stolz sein können. | |
Rabah müht sich sehr um diese Spuren und geht mit seinem 2003 gegründeten | |
„Palestinian Museum of Natural History and Humankind“ sogar in die | |
Prähistorie zurück. Seine Vitrinen hat er schon an verschiedenen Orten | |
gezeigt, darin Knochen, Faustkeile und Ähnliches. Einen Standort hat das | |
fiktive Museum nicht, ebenso wenig wie irgendeins der Exponate echt wäre: | |
Rabah hat sie alle selbst geschaffen. Palästinensisch sind sie also nur | |
insofern, als ein Palästinenser sie gemacht hat. | |
Kunst ist so authentisch wie Wissenschaft, mag Rabah damit sagen wollen, | |
und Identität – individuelle wie nationale – immer ein Konstrukt: Wäre man | |
sich dessen bewusst, wäre man frei, eine andere zu wählen und sich jenseits | |
von Politik zu definieren: nicht als gebeuteltes Opfervolk, sondern als | |
selbstbewusst und kreativ. Wie man das schafft, auch wenn es trotz mehrerer | |
Anläufe der Unesco immer noch kein nationales archäologisches Museum gibt, | |
sagen wir: in Gaza-Stadt? | |
Vielleicht indem man ein fiktives Museum so professionell kommuniziert, | |
dass es wirkt wie echt: Rabah hat einen Newsletter erstellt, der die | |
Entwicklung des „Museums“ so minutiös wie beschwörend beschreibt, als wol… | |
er die Fiktion zwingen, Realität zu werden. Als Sponsor wird darin sogar | |
die fiktive „United States of Palestine Airlines“ gerühmt. | |
Man spürt: Rabah, der sein Kunststudium in den USA absolvierte, liebt es, | |
zwischen Fiktion und Realität zu balancieren, und vielleicht findet er | |
eines Tages wirklich einen Sponsor, der das erste palästinensische | |
Nationalmuseum baut. Der Schriftzug für eine Eingangstür ist schon in | |
Arbeit: Riesige Schablonen liegen im Hamburger Kunsthaus bereit; man | |
braucht die Buchstaben nur noch schwarz auszumalen. Oder, philosophisch | |
betrachtet: die Idee, den Weißraum füllen. | |
Trotzdem bleibt das alles genauso Modell wie das kleine Diorama mit Gras, | |
Erde und Olivenzweigen, das Rabah auch zeigt: Es spielt auf eine Aktion in | |
Genf im Jahr 1993 an, zwei Jahre vor dem Oslo-I-Friedensabkommen, an das | |
mancher so viel Hoffnung für den Nahen Osten knüpfte: Fünf Oliven aus den | |
besetzten Gebieten hatte Rabah damals in der Nähe des UNO-Büros | |
eingepflanzt, gedacht als Friedensbotschafter. | |
Als er nach zwölf Jahren wiederkam, waren vier davon auf israelischen | |
Wunsch entfernt worden. Haben nicht auch Bäume nach zwölf Jahren ein | |
Anrecht auf Schweizer Staatsbürgerschaft, fragt Rabahs Newsletter? Und wie | |
steht es mit dem Rückkehrrecht? | |
Man liest sowas, und je absurder die Argumentation wird, desto klarer ist: | |
Es geht nicht um Bäume, sondern um Menschen. Um jene 1948 Geflohenen oder, | |
je nach Sichtweise, Vertriebenen, deren Nachfahren Israel nicht wieder | |
herein lassen will, auch, weil das den Anteil der nichtjüdischen | |
Bevölkerung steigern würde. | |
Diese Erkenntnis überrascht dann doch: Da ist seine Ausstellung plötzlich | |
an einem so konkret politischen Punkt angekommen, dass man Rabah nicht so | |
recht glaubt, dass es ihm um eine Identität jenseits des Nahostkonflikts | |
geht. Sicher, sie heißt „Scale Models“, maßstabgetreue Modelle, und ein | |
Modell ist immer Abbild und Metapher zugleich. Wird es aber allzu | |
detailliert, ist es allzu sehr der Aktualität verhaftet, droht ihm die | |
allgemeine Dimension verloren zu gehen. Davor ist auch die Kunst Khalil | |
Rabahs nicht gefeit. | |
8 Oct 2015 | |
## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
Moderne Kunst | |
Politische Kunst | |
Kunst | |
Kunsthaus Hamburg | |
Pakistan | |
Kunst | |
Edward Snowden | |
Indonesien | |
Marina Weisband | |
CDU | |
Politikberatung | |
Ai Weiwei | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Streit über Birkenstock-Werbefoto: Kind darf nicht Kunst sein | |
Birkenstock-Chef verklagt die Künstlerin Ida Ekblad und Hamburgs Kunsthaus | |
wegen Verwendung eines Werbefotos, das seine kleine Tochter zeigt | |
Polit-Kunst der Pakistanerin Bani Abidi: Auf Karatschis Wegen | |
Die Pakistanerin Bani Abidi zeigt in ihren pseudo-dokumentarischen Videos | |
den Irrsinn nationaler Identitäten. Sie kritisiert damit totalitäre | |
Zustände auf der ganzen Welt. | |
Ausstellung im Hamburger Kunstverein: Der beiläufige Schrecken | |
Die Schau „Malerei, böse“ dreht sich nicht um das Genre an sich. Es | |
behandelt konkrete Bildinhalte und deren gesellschaftliche Konnotation. | |
Philosoph über neue Technologien: „Die Linke hat den Anschluss verpasst“ | |
Armen Avanessian ist Beschleunigungsphilosoph – deshalb redet er schnell. | |
Etwa darüber, warum ihm die Linke zu gestrig ist und warum er Hirnchips | |
toll findet. | |
Indonesische Autorin über Massaker: „Die Geschichte ist nicht ausradiert“ | |
Laksmi Pamuntjak schreibt über das Tabuthema der Massaker unter Diktator | |
Suharto, die Pflicht gegenüber dem Land und Mythologie. | |
Porträt Marina Weisband: Ausatmen und Einatmen | |
Die frühere Piraten-Geschäftsführerin zog sich zurück, um wiederzukommen. | |
Wie sie das tun will, ist unklar. Das Ziel aber steht fest: Die Welt | |
retten. | |
Jens Spahn zur Flüchtlingspolitik: „Armutsmigration ist keine Flucht“ | |
Jeder mit Herz wolle helfen, sagt CDU-Mann Spahn. Zugleich wüchsen die | |
Sorgen. Im Umgang mit anderen Meinungen hält er sich für entspannter als | |
die Linken. | |
Debatte Realpolitik: Die Wahnwelt des Machbaren | |
Vom Elend des Realismus in der Politik. Wie man ganz realistisch | |
feststellen muss: Der Realismus ist kein Humanismus. | |
Ai Weiwei in Deutschland: Kein harter Knochen | |
Deutsche Medien sind enttäuscht von Ai Weiwei und werfen ihm vor, er sei | |
weich geworden. Da hat der Westen wohl etwas nicht kapiert. |