# taz.de -- Indonesische Autorin über Massaker: „Die Geschichte ist nicht au… | |
> Laksmi Pamuntjak schreibt über das Tabuthema der Massaker unter Diktator | |
> Suharto, die Pflicht gegenüber dem Land und Mythologie. | |
Bild: Studentenproteste gegen den Diktator Suharto führten mit zu seiner Abset… | |
taz.am wochenende: Frau Pamuntjak, im Jahr 2012 stellte Joshua Oppenheimer | |
seinen Film „The Act of Killing“ vor. Darin bittet er Indonesier, die 1965 | |
an den Massakern gegen Linke, Kommunisten und Chinesen beteiligt waren, | |
ihre Taten nachzustellen. Schuldbewusstsein zeigen die Täter nicht. In | |
Indonesien darf der Film nur in geschlossenen Fachveranstaltungen gezeigt | |
werden. Welche Wirkung hatte der Film in Indonesien? | |
Laksmi Pamuntjak: Der Film hat unheimlich viel Energie freigesetzt. Endlich | |
geben die Täter zu, dass es die Massaker gegeben hat. Unter Diktator | |
Suharto wurde das über Jahrzehnte bestritten! | |
Besonders viele Menschen wurden auf der indonesischen Hauptinsel Java und | |
auf Bali getötet. Man geht von mehreren hunderttausend Opfern aus. Viele | |
kamen damals in Haft, wurden gefoltert. Besonders berüchtigt war die | |
Gefangeneninsel Buru, auf der auch der Autor Pramoedya Ananta Toer gefangen | |
gehalten wurde. Auch Bhisma, ein linker Idealist und eine Hauptfigur in | |
Ihrem Roman „Alle Farben Rot“, wird nach Buru gebracht. | |
Ich habe viel über Buru recherchiert – wissenschaftliche Texte, aber auch | |
autobiografische Schriften von ehemaligen Gefangenen gelesen, wie zum | |
Beispiel die Buru-Tetralogie von Pramoedya Ananata Toer. Diese Lektüren | |
sind in meinen Roman eingeflossen. Die Story soll realistisch sein. Ich | |
habe meinen fiktiven Bhisma in eine reale historische Situation | |
eingebunden, um sie so aus seiner Perspektive zu erzählen. | |
Sie waren auch auf Buru? | |
Ja, ich war für die Recherche drei Wochen dort. Dabei hat mich ein früherer | |
Häftling begleitet, der mir viel über sich und Buru erzählt hat. Er hat mir | |
gezeigt, wo einst die Gebäude und Baracken standen, die nun alle | |
verschwunden sind. Das Gefangenenlager wurde ja niedergerissen, und auf | |
einem Teil des Geländes entstand ein ganz normales Dorf. Die Vergangenheit | |
ist aber trotzdem nicht ausradiert. Ich merkte, dass es auf Buru nach wie | |
vor ein starkes Misstrauen gegenüber Fremden gibt. Wir wurden zum Beispiel | |
auf die Polizeiwache beordert, wo wir genauestens darüber befragt wurden, | |
was wir auf dem Gelände der ehemaligen Strafkolonie zu suchen haben. | |
Woher wusste die Polizei, dass Sie sich dort aufhielten? | |
Jemand muss ihnen einen Hinweis gegeben haben. Es war aber nicht nur die | |
Polizei hinter uns her. Auch das Militär wollte mehr über uns wissen. Ein | |
Mann in Uniform drang in unsere Unterkunft ein und fragte uns eine Nacht | |
lang darüber aus, was wir auf Buru wollten. Wissen Sie, irgendwo gibt es | |
immer einen Informanten. Auch in meinem Roman kommt daher ein Informant | |
vor, der die Hauptfigur Amba begleitet. Amba, diese Frau, ist schon sechzig | |
Jahre alt, als sie nach Buru reist, um herauszufinden, was mit ihrem | |
früheren Geliebten Bhisma dort passiert ist. Er wurde 1965 in Yogyakarta | |
von ihr getrennt, gefangen genommen und später auf die Insel gebracht. | |
Nach vielen Jahren Haft wird Bhisma freigelassen. Er entscheidet sich aber, | |
freiwillig auf der Insel Buru zu bleiben. Warum? | |
Wo sollte er auch hingehen? Er stammte aus einer bourgeoisen Familie, und | |
solche Familien sind in Indonesien bekanntermaßen schwer | |
zufriedenzustellen. Mit seiner Inhaftierung hat er Schande über sie | |
gebracht; zu ihr braucht er also nicht zurückzukehren. Von seiner Geliebten | |
Amba wurde er getrennt. Er ist ein teilweise gebrochener Mensch, aber ein | |
interessanter Charakter. | |
Warum zieht ihn die Liebe zu nicht zu ihr zurück, Warum sucht er nicht nach | |
Amba? | |
Mein Bhisma hat einige Charakterzüge, die auch sein Vorbild besitzt: der | |
Bhisma aus dem indischen Mahabharata-Epos. Dieser Bhisma ist ein mutiger | |
Krieger mit einem ausgeprägten Pflichtgefühl. Die Pflicht geht ihm wirklich | |
über alles! | |
Ihr Bhisma ist Arzt und bleibt auf Buru, um die dort lebenden Menschen | |
medizinisch zu versorgen. Ist das seine Art der Pflichterfüllung? | |
Ja. Und das ist eine sehr verbreitete bürgerliche Art der | |
Pflichterfüllung. Damals konnte es sich ja nur eine bestimmte Schicht | |
leisten, ihre Kinder im Ausland studieren zu lassen. Bhisma hatte dieses | |
Glück. Dazu gehörte aber auch immer die Idee von „noblesse oblige“ – und | |
zwar in dem Sinne, dass die im Ausland erworbenen Fertigkeiten der | |
Gesellschaft zu Hause zugutekommen sollen. Diese goldene Regel wurde | |
übrigens auch mir eingetrichtert: Egal, was du während deines Studiums in | |
Australien erlebst und wen du dort kennenlernst – nichts geht über deine | |
Pflicht, nach Hause zurückzukommen und deine erworbenen Kenntnisse hier | |
einzubringen. So ist das auch bei Bhisma. | |
Aus was für einer Familie stammen Sie? | |
Meine Eltern haben in Europa studiert, und eine solche Ausbildung wollten | |
sie auch mir ermöglichen. Außerdem habe ich schon als Kind | |
Klavierunterricht bekommen und konnte Indonesien später auf internationalen | |
Klavierwettbewerben vertreten. Ich musste immer ziemlich hart lernen. Und | |
ich sollte reisen, weil mir das Wissen vermitteln und Horizonte öffnen | |
würde. Das alles aber musste schließlich auch meinem Land und meinem Volk | |
zugutekommen. Ich versuche das nun durch mein Schreiben. Bhisma hingegen | |
versucht es, indem er Kranke heilt. Außerdem hängt er linken Ideen an. Man | |
kann ihn einen Idealisten nennen, aber man wünscht sich doch, dass es heute | |
mehr von seiner Sorte auf der Welt gäbe. Mehr Menschen, die für ihre | |
Überzeugungen kämpfen. | |
Und Amba, wie gut konnten Sie sich in sie einfühlen? Schließlich macht sie | |
etwas Ähnliches wie Sie als Autorin: Nachforschungen anstellen auf Buru. | |
Ich habe Amba Anglistik studieren lassen, um ihr so meine eigene Liebe zur | |
englischen Literatur mitzugeben. Ansonsten kann ich mich aber nicht so sehr | |
in ihr spiegeln. Sie ist im ländlichen Java der 50er Jahre aufgewachsen. | |
Obwohl sie intelligent ist und sich für viele Dinge interessiert, ist sie | |
keine Kosmopolitin. Sie ist in vielerlei Hinsicht unaufgeklärt. Das ist mir | |
persönlich fremd, so hoffe ich doch wenigstens. Wie mir auch die damals | |
wahnsinnig starken Spannungen zwischen Islam und Kommunismus fremd sind. | |
Ich musste das alles recherchieren. | |
Amba, ihr Verlobter Salwa und ihr Geliebter Bhisma sind ursprünglich | |
Figuren aus dem indischen Mahabharata-Epos, das in Indonesien jeder kennt. | |
Warum haben Sie für einen modernen Roman auf eine mythische Konstellation | |
zurückgegriffen? | |
Mythologie interessiert mich immer schon. Meine Mutter stammt aus | |
Zentraljava und liebt traditionelles Puppentheater, Gamelan-Musik und | |
Batik-Kunst. Obwohl meine Eltern wollten, dass ich westlich aufwachse, | |
gehören diese Künste eben auch zu meinen Wurzeln. Außerdem habe ich als | |
Kind das Mahabharata gern gelesen. Ich hatte eine Ausgabe mit | |
Illustrationen. Die alten Epen führen grundlegende Lebenssituationen vor, | |
menschliche Charaktere mit prototypischen Eigenschaften, Gut und Böse. Es | |
sind Geschichten, die sich letztlich immer wiederholen und die man immer | |
wieder neu erzählen kann. | |
Wie haben die indonesische Leser auf „Alle Farben Rot“ reagiert – auf eine | |
noch immer schwierige politische Geschichte mit mythologischem Sockel? | |
Sehr positiv. Der Roman wurde mehrfach nachgedruckt. Es hat mich erstaunt. | |
Das Buch ist ja doch auch ziemlich umfangreich. Ich erkenne dadurch aber | |
auch, dass sich viele Menschen für 1965 interessieren und wissen wollen, | |
was damals wirklich geschah. | |
25 Sep 2015 | |
## AUTOREN | |
Katharina Borchardt | |
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