# taz.de -- Ausstellung indonesischer Kunst: Die Freiheit von Bambus | |
> Indonesien ist Gastland der Buchmesse. Eine Schau im Frankfurter | |
> Kunstverein stellt bildende Künstler des Inselstaats vor. | |
Bild: „Roots. Contemporary Indonesian Art“ wird noch bis Januar zeitgenöss… | |
„Good Morning“ heißt es, als sich der anonyme Herr auf den Weg macht, und: | |
„Break a leg“. Die englischsprachige Entsprechung für „Hals- und Beinbru… | |
kann nicht nur als Abschiedslosung, sondern auch im wörtlichen Sinne | |
verstanden werden, denn der Weg ist offenbar beschwerlich. | |
Während sich der Herr weiter eine Treppe hochkämpft, flackern wie als | |
Mahnung digitale Uhrzeiten ins Bild, ergänzt um die schönsten Botschaften, | |
die Ratgeber und Gesellschaft so hergeben: Success, Goal, Luck, aber auch | |
Responsibility erscheinen als goldbestickte Laufbänder, Anfang und Ende oft | |
abgeschnitten oder ineinander übergehend. Stillstehen ist keine Option, und | |
so macht sich der Protagonist auf eine 280-Einstellungen dauernde und | |
schließlich im endlosen Loop befindliche Odyssee, festgehalten in | |
Stop-Motion, die ans Flackern und Flickern eines alten Diaprojektors | |
erinnert. | |
„Break a leg“ ist eine Arbeit des indonesischen Künstlerkollektivs | |
Tromarama, und sie strotzt nur so vor analogem Charme: Wie in anderen | |
Arbeiten lassen die Video- und Installationskünstler hier zahlreiche | |
Einzelbilder zum bewegten Film werden. Die eingeblendeten Uhrzeiten und | |
Botschaften sind allesamt mit goldenem Garn auf ihr Ausgangsmedium | |
eingestickt worden: 280 Handtücher mit dem charakteristischen „Good | |
Morning“ – Schriftzug, Massenware aus China, die in Indonesien zum Alltag | |
gehört. | |
Sie werden zusammen mit dem fertigen Film an Wäscheleinen hängend | |
präsentiert, wie um sich ihres Ausgangszustands noch einmal zu | |
vergewissern, und trotzdem oder gerade deshalb verliert die Animation | |
nichts von dem Zauber, der sich erst mit dem Loslaufen des einsamen Mannes | |
entfaltet: Selten wurde das Rat Race, das ewige und tapfere Streben des | |
Einzelnen in einer Endlosschleife so simpel, traurig und schön zugleich | |
interpretiert. | |
## Fehlende Kunstmarktstrukturen in Indonesien | |
„Roots. Contemporary Indonesian Art“ heißt die Ausstellung im Frankfurter | |
Kunstverein, die vier zeitgenössische Positionen aus dem Inselstaat | |
präsentiert. Die Künstler wurden in Zusammenarbeit mit indonesischen | |
Kuratoren ausgewählt, viele Beiträge als „On-Site“-Arbeiten direkt auf den | |
Ausstellungsort zugeschnitten und hier binnen weniger Wochen realisiert. | |
Anders als frühere Buchmessen-Gastländer wie Finnland oder Brasilien | |
präsentieren zumindest die größeren Ausstellungshäuser in Frankfurt diesmal | |
keine Bildenden Künstler. Das Fehlen großer Übersichten ist vielleicht auch | |
pragmatischen Gründen geschuldet: Erst seit der zunehmenden politischen | |
Öffnung des Inselstaates ab 1998 ist im Land mit der viertgrößten | |
Bevölkerung weltweit an etwas wie autonome Kunst zu denken. | |
Verteilt auf über 17.000 Inseln, zentralistisch ausgerichtet und politisch | |
wie religiös im Mittelpunkt zahlreicher Konflikte, war und ist der | |
indonesische Alltag alles andere als einfach, was sich auch im Fehlen | |
etablierter Kunstmarktstrukturen widerspiegelt. Und trotzdem: In Australien | |
und Südostasien sind die hier ausgestellten Künstler längst gefragt; Febie | |
Babyrose, Herbert Hans und Ruddy Hatumena von Tromarama haben vor Kurzem | |
ein Projekt für das Stedelijk Amsterdam realisiert, während Eko Nugroho bei | |
der 55. Biennale in Venedig vertreten war. | |
Als Türöffner zur Ausstellung funktioniert die gigantische Bambusskulptur | |
von Joko Avianto (*1976), der seine poetischen Rauminterventionen stets auf | |
den Ort zupasst, an dem er gerade ausstellt. Zweieinhalb Wochen lang haben | |
er und seine Assistenten rund 1.500 Stangen des traditionellen Baumaterials | |
verarbeitet, in kleine Stücke geschlagen und zu einem Mini-Wald mit runden | |
Baumkronen geformt. Die erinnern an die Akazien, die einst vor dem | |
Kunstverein standen, verweisen aber auch auf die zahlreichen Bäume im | |
indonesischen Stadtbild: Von den Niederländern gepflanzt, werden die | |
unliebsamen Symbole der Kolonialisierung heute von vielen Indonesiern gern | |
als Schatten spendender Treffpunkt im urbanen Raum genutzt. | |
In der universalen Sprache der Street- und Comic Art, ergänzt um | |
Installation und großformatige Stickereien erzählt Eko Nugroho (*1977) | |
Geschichten von Migration und politischem Chaos, von Digitalisierung und | |
zunehmender Sprachlosigkeit. Die Wände des Kunstvereins hat er auch mit | |
deutschen Sätzen versehen, „Nicht Politik, sondern Schicksal“ heißt einer. | |
## Er hat etliche Schnäbel | |
Seine Arbeitsweise versteht er als permanente Reaktion auf aktuelle | |
Erfahrungen – einer festen Botschaft möchte er sich lieber entziehen: Die | |
Probleme seien riesig, und ständig kämen neue hinzu. Er lacht. Der | |
permanente digitale Kommunikations- und Nachrichtenstrom macht die Sache | |
kaum einfacher. Eine Figur mit etlichen Schnäbeln und Augen, die im Foyer | |
aufgebaut ist, das könnte gut er selbst sein: „Ich kann nur beobachten, | |
aber habe eigentlich selber keine Ahnung, keine Handlungsmöglichkeiten.“ | |
Der Mensch-Vogel-Hybrid hält ein Schild hoch: „What else?“ | |
Ähnlich lässt sich auch die Installation „Power Unit“ von Jompet | |
Kuswidananto (*1976) lesen: Eine Gruppe Anonymer, an deren menschliche | |
Attribute nur kopflose Vermummung, Hände und Lenker als Handersatz | |
erinnern, werfen Fragen nach den Möglichkeiten in der jungen indonesischen | |
Demokratie auf. Untereinander vernetzt durch Bewegungssensoren, ermöglichen | |
sie eine Interaktion, deren Grenzen im selben Moment eng abgesteckt | |
bleiben. Ein Abgesang auf die vielgepriesenen Möglichkeiten sozialer | |
Netzwerke, die Inhalte zu Gunsten fortwährender Kommunikation überwunden zu | |
haben scheinen. | |
Das Thema Freiheit wird von den ausstellenden Künstlern auf verschiedenen | |
Ebenen verhandelt: Sie misstrauen dem allzu Naheliegenden – auch, wenn es | |
ein „Dagegen“ bedeutet. Belehrungen und Attitüden halten sie inhaltliche | |
Ambivalenz und formal eine große Lust am künstlerischen Ausdruck entgegen. | |
Was den Rundgang durch den „Roots“-Parcours zu einem großen Vergnügen | |
macht: Materialien und Medien von Bambus bis Videokunst, von Installation | |
bis zum kunstfertig bestickten Wandtuch (eine Arbeit, für die Familien vor | |
Ort beschäftigt werden) – zumindest die neu gewonnene künstlerische | |
Freiheit, das beweist ein Rundgang durch den „Roots“-Parcours, scheint | |
einiges für sich zu haben. | |
9 Oct 2015 | |
## AUTOREN | |
Katharina J. Cichosch | |
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