| # taz.de -- Comicautor über Kolonialismus: „Wir lernten fast nichts über di… | |
| > Peter van Dongen über niederländischen Rassismus, japanischen | |
| > Imperialismus und den indonesischen Unabhängigkeitskrieg. | |
| Bild: Auf dem Dampfschiff nahen die niederländischen Truppen. | |
| Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten die Niederlande ihre Herrschaft über | |
| Indonesien verloren. Die Kolonialmacht wollte das nicht akzeptieren und | |
| sandte Truppen. So kam es zum Unabhängigkeitskrieg, die Indonesier | |
| gewannen. 1946 spielen auch Peter van Dongens Comics „Java“ und „Celebes�… | |
| Seine Hauptfigur ist ein niederländischer Soldat, der in Indonesien kämpfen | |
| soll. | |
| taz.am wochenende: In diesem Jahr jähren sich die niederländischen | |
| „Polizeiaktionen“ in Indonesien zum siebzigsten Mal. Davon handeln Ihre | |
| „Rampokan“-Comics „Java“ und „Celebes“. Warum wollten Sie diesen Kr… | |
| Bild setzen? | |
| Peter van Dongen: Weil meine Oma und meine Mutter diese Zeit in Indonesien | |
| zwar miterlebt, aber nie darüber gesprochen haben. Meine Mutter hat nur | |
| eine einzige Geschichte erzählt: wie die Hafenstadt Makassar von | |
| niederländischen Kriegsschiffen bombardiert wurde und wie sie sich deswegen | |
| vier Tage lang unter einem Bett versteckt hat. Ich wollte mehr über diese | |
| Zeit herausfinden. | |
| Der Begriff „Polizeiaktionen“ ist beschönigend. Die Niederlande wollten | |
| Indonesien zurückerobern und führten Krieg gegen die Einheimischen. Wie | |
| geht man heute in der ehemaligen Kolonialmacht damit um? | |
| Immer wenn alte Kriegsfotos von damals ermordeten Indonesiern in der Presse | |
| auftauchen, gibt es neue Diskussionen. Und ältere Leute rufen auch immer | |
| noch in Radiosendungen an und sagen, dass echte Niederländer so etwas nicht | |
| täten. Das könnten allenfalls die kleinen, dunklen Molukker gewesen sein, | |
| die Teil des niederländischen Heers gewesen sind. Grundsätzlich ist der | |
| Umgang mit der Vergangenheit aber offener und ehrlicher geworden. Zu meiner | |
| Schulzeit lernten wir fast nichts über diese Zeit. Heute ist das anders. Es | |
| wurden inzwischen auch viele Archive geöffnet. | |
| Sie selbst wurden 1966 in Amsterdam geboren und leben noch immer dort. Ihr | |
| Vater war Niederländer, Ihre Mutter ist Indonesierin. Fühlen Sie sich eher | |
| als Niederländer oder als Indonesier? | |
| Ich bin ganz klar ein Amsterdamer. Dass ich auch indonesische Wurzeln habe, | |
| war mir anfangs gar nicht bewusst. Ich dachte als Kind, ich sei genauso wie | |
| meine Freunde. Aber irgendwann fing es an, dass die anderen mich wegen | |
| meines Aussehens ärgerten. Erst dann merkte ich, dass ich in der Tat nicht | |
| so blond bin wie sie. Ich bin zwar ein Niederländer, jedoch einer mit einem | |
| „aber“ dahinter. Das hört auch niemals auf. | |
| Ihre Mutter stammt von den Molukken ab. Viele Molukker und auch andere | |
| Indonesier haben in der niederländischen Kolonialarmee gedient. Nach ihrer | |
| Niederlage wurden sie in Indonesien stark verfolgt. Viele gingen deshalb in | |
| die Niederlande ins Exil. Wie war das in Ihrer Familie? | |
| Mein Großvater stammte von der Molukkeninsel Ternate. Er war KNIL-Soldat, | |
| also Soldat der Königlich Niederländisch-Indischen Armee. Er wurde 1945 von | |
| japanischen Soldaten geköpft. Die Japaner waren 1942 in | |
| Niederländisch-Indien einmarschiert. Jemand musste verraten haben, dass | |
| mein Opa Waffen in seinem Brunnen versteckt hatte. Die Exekution fand | |
| tragischerweise einen Tag nach der japanischen Kapitulation statt, nämlich | |
| am 16. August 1945. Dass Japan kapituliert hatte, hatte sich unter den auf | |
| den verschiedenen Inseln stationierten Japanern noch nicht herumgesprochen. | |
| Meine Oma wurde also Witwe und musste mit ihren drei Töchtern – darunter | |
| meine Mutter – fliehen. Dann kamen die „Polizeiaktionen“, und danach hatt… | |
| es junge indonesische Nationalisten auf die Leute abgesehen, die mit den | |
| Holländern kooperiert hatten. Die vier mussten also mehrfach fliehen. 1952 | |
| siedelten sie in die Niederlande über. | |
| Viele KNIL-Soldaten mussten nach den „Polizeiaktionen“ außer Landes | |
| fliehen, aber auch ehemalige Kolonialfamilien gingen nach der indonesischen | |
| Unabhängigkeit zurück in die Niederlande. Wie wurden sie aufgenommen? | |
| Eher kühl. Damals siedelten rund 300.000 Menschen über. Die mussten erst | |
| einmal untergebracht werden. Der Zweite Weltkrieg war gerade vorbei, und | |
| viele holländische Städte waren zerbombt, zum Beispiel Rotterdam. Den | |
| Zugezogenen aus Indonesien sagte man: Wir hatten hier die Deutschen und den | |
| Hungerwinter, während bei euch immerhin die Sonne schien! Man konzentrierte | |
| sich hier einfach auf das, was man noch hatte, und auf den Wiederaufbau. | |
| War der Verlust der Kolonie schmerzhaft? | |
| Ja, es hieß damals: Jetzt sind wir so ein kleines Land wie Dänemark! Das | |
| war hart. | |
| Später schrieben einige Niederländer Bücher über ihre Erlebnisse in | |
| Indonesien. Junge Molukker aber radikalisierten sich. | |
| Mitte der 1970er Jahre entführten junge Südmolukker – also die zweite | |
| Generation – Züge und überfielen auch eine niederländische Grundschule. Es | |
| wurde geschossen, und es gab Tote. Ich war damals neun, zehn, elf Jahre alt | |
| und wurde plötzlich als dreckiger Südmolukker beschimpft. Mir wurde auch | |
| hinterhergerufen, dass ich abhauen solle. Die Stimmung war extrem | |
| feindlich. Ich habe diesen Jungs dann immer geantwortet, dass ich kein | |
| Südmolukker sei, sondern ein Nordmolukker. Denn meine Mutter stammte ja von | |
| Ternate, also von einer nordmolukkischen Insel. Aber das machte natürlich | |
| wenig Eindruck. | |
| Sie selbst haben nie in Indonesien gelebt, oder? | |
| Nein, ich bin 1992 zum ersten Mal als Tourist nach Indonesien gereist. Auch | |
| um für mein erstes Buch zu recherchieren. | |
| Ihre beiden „Rampokan“-Comics erzählen die Geschichte des 24-jährigen | |
| niederländischen Soldaten Johan Knevel, der 1946 mit seiner Kompanie nach | |
| Indonesien abkommandiert wird, um dort die Kolonie zurückzuerobern. Er wird | |
| auf den Inseln Java und Sulawesi eingesetzt. Ihre Bilder sind extrem | |
| detailgenau. Haben Sie sich an Fotos orientiert? | |
| Von den großen Städten auf Java und Sumatra gibt es eine Menge Bücher mit | |
| alten Fotografien. Darauf habe ich für meine Zeichnungen zurückgegriffen. | |
| Aber Fotos von anderen Inseln sind selten. Auf der Insel Sulawesi habe ich | |
| mich darum selbst auf die Suche nach Gebäuden aus der Kolonialzeit gemacht | |
| und habe sie fotografiert. | |
| Die sehr feinen historischen Details arbeiten Sie aber ausschließlich in | |
| Schwarz-Weiß heraus. Zur farblichen Unterlegung verwenden Sie nur Grau und | |
| Hellbraun. Warum? | |
| Ich wollte dem Ganzen einen leichten Sepia-Ton geben. Die Geschichte spielt | |
| eben in der Vergangenheit. Ich wurde stilistisch stark beeinflusst von den | |
| „Tim und Struppi“-Bänden, aber deren leuchtende Farbigkeit würde zu meiner | |
| Indonesiengeschichte nicht passen. | |
| Die beiden „Rampokan“-Bände sind kürzlich auch in indonesischer Übersetz… | |
| erschienen. Wie hat man dort auf diese Geschichte reagiert? | |
| Die Reaktionen waren sehr positiv. Das niederländische Militär spielt darin | |
| keine positive Rolle, was für Indonesier natürlich eine Bestätigung ist. | |
| Andererseits zeige ich, wie die Indonesier damals die Chinesenviertel | |
| überfielen. Und ich erzähle von der PKI, der Kommunistischen Partei | |
| Indonesiens, die in jener Zeit politisch mitmischte. Ein extrem schwieriges | |
| Thema bis heute in Indonesien. | |
| Auf der letzten Frankfurter Buchmesse hat sich Indonesien als Gastland | |
| präsentiert. Anschließend wurden indonesische Organisatoren und Autoren zu | |
| Hause beschuldigt, diese Präsentation für kommunistische Propaganda | |
| missbraucht zu haben. Auf dem Ubud Writers & Readers Festival auf Bali | |
| wurden deshalb Veranstaltungen verboten. Sie haben an diesem Festival | |
| teilgenommen. Wie haben Sie es erlebt? | |
| Es durfte dort keine Veranstaltungen geben, in denen die Massaker an | |
| linksgerichteten Indonesiern in den Jahren 1965/66 thematisiert wurden. | |
| Daran hat sich die Festivalleitung auch gehalten. Ich habe vor Ort | |
| letztlich wenig davon gemerkt, aber es ist natürlich bitter: In Frankfurt | |
| wird die freie indonesische Literatur besungen, und eine Woche später ist | |
| das auf Bali schon wieder hinfällig. | |
| 14 Jan 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Katharina Borchardt | |
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