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# taz.de -- Historiker über Dekolonisierung: „Der Anti-China-Rassismus ist a…
> Schon um 1890 arbeiteten Chinesen für wenig Lohn auf deutschen
> Dampfschiffen. Auf die Verfolgung in der NS-Zeit folgte der Boom der
> China-Restaurants.
Bild: Streng überwacht: Cinesische Heizer in Hamburg vor der Polizeikamera, 19…
taz: Herr Amenda, warum muss sich Hamburg auch in puncto China
dekolonisieren?
Lars Amenda: Weil das schon aus historischen Gründen notwendig ist. Hamburg
hatte lange recht enge Beziehungen zu China. Die standen zwar nicht direkt
im Zeichen kolonialer Herrschaft – bis auf die 1897 gegründete [1][Kolonie
in Qingdao], die aber keine direkten Auswirkungen auf Hamburg hatte. Aber
die vermittelte Seite des Kolonialismus war in Hamburg in der Schifffahrt
deutlich zu sehen: durch die Arbeit chinesischer Seeleute auf deutschen
Dampfschiffen.
Das Deutsche Kaiserreich hatte Qingdao als Pachtgebiet für 99 Jahre dem
chinesischen Staat abgepresst. Was hatte man damit vor?
Dort sollte ein Flottenstützpunkt entstehen, weshalb man den Hafen
ausbaute. Qingdao sollte eine florierende, weltweit wichtige Drehscheibe
werden – was aber scheiterte. Die einzige lukrative deutsche Firma war die
Germania Brauerei, deren „Tsingtao-Bier“ es heute noch gibt. Allerdings gab
es in Qingdao eine städtebauliche Segregation. Chinesische Arbeiter wohnten
in anderen Vierteln als die deutschen Kolonialherrn.
Welchen Status hatten die chinesischen Arbeiter?
Auf Chinesen ist durchaus rassistisch herabgeblickt worden. Andererseits
galt China hierzulande als alte Hochkultur, die allerdings damals, im 19.
Jahrhundert, stagniere und rückständig sei. In diesem Zusammenhang hat sich
für asiatische Arbeiter der Begriff des „Kuli“ eingebürgert, der angeblich
wenig zu essen brauche und eine billige, gefügige Arbeitskraft sei.
Und zwar als Heizer auf Dampfschiffen. Wie fing das an?
Das entwickelte sich im Zuge der Umwandlung von der Segel- zur
Dampfschifffahrt um die Mitte des 19. Jahrhunderts. Da fiel unter anderem
die Tätigkeit des Heizers vor den Kesseln an. Das war eine sehr
anstrengende Arbeit bei unglaublich hohen Temperaturen. Da man fand, diese
Arbeit sei Deutschen nicht zuzumuten, begannen – nach nordamerikanischen
und britischen – auch Reedereien wie die [2][Hapag] in Hamburg und der
Bremer Norddeutsche Lloyd um 1890, „farbige Seeleute“, wie man sie nannte,
anzuheuern. Die größte Gruppe waren Chinesen, die teils nur ein Drittel der
üblichen Heuer bekamen und aus dieser biologistischen Perspektive als
„besser geeignet“ für hohe Temperaturen galten.
Warum heuerten sie trotzdem an?
Weil der Lohn aus chinesischer Sicht vergleichsweise hoch war und man die
Familie unterstützen, vielleicht auch nach ein paar Jahren mit dem Geld
eine Existenz in China aufbauen wollte.
Bekamen die Seeleute Schutzkleidung, waren sie versichert?
Nein. Zwar wurde damals gerade die Sozialversicherung eingeführt, aber die
maritime Arbeit war nicht mit erfasst, sodass die Reedereien daran sparten
und für chinesische Seeleute keine Sozialabgaben zahlten. Zwar führte die
Seeleute-Gewerkschaft eine Debatte über Arbeitssicherheit, aber das kam
nicht unbedingt „farbigen“ Seeleuten zugute. Denn auch Sozialdemokratie
arbeitete teils mit rassistischen Untertönen.
Inwiefern beförderte die Hamburger Cholera-Epidemie von 1892 den Rassismus?
Die [3][Epidemie] brachte einerseits eine Professionalisierung des
Medizinwesens, andererseits eine polizeiliche Überwachung des Hamburger
Hafens, weil sowohl die jüdischen Auswanderer als auch die „farbigen
Seeleute“ als hygienische Gefahr ausgemacht wurden. Schon 1891 wurde die
Institution des Hafenarztes eingeführt und asiatische Crews gezielt
überwacht. Die Polizei hat eine Art koloniales Hafenregime errichtet, um
chinesische Einwanderung zu verhindern, indem sie zum Beispiel Anträge auf
„Boarding Houses“ für chinesische Seeleute konsequent ablehnte.
Und wie wurden die Seeleute konkret überwacht?
Für die Zeit des Ersten Weltkriegs wissen wir, dass die Seeleute – in einer
Mischung aus hygienischer Überwachung beziehungsweise Isolation und
Kontrolle – zentral auf Schiffen im Hamburger Hafen untergebracht wurden.
Als Japan im August 1914 Deutschland den Krieg erklärte, kam hinzu, dass
Chinesen auch an Land oft mit dem „Feind“ Japan verwechselt und belästigt
wurden.
Trotz alldem entstand in den 1920er-Jahren das „Chinesenviertel“ in St.
Pauli. Warum?
Das seit 1925 von den Hamburgern so bezeichnete [4][Viertel] entstand
aufgrund der veränderten Konstellation nach Ende des Ersten Weltkriegs. Aus
Sicht Chinas war Deutschland vom kolonialen Makel befreit, die einstige
Kolonie Qingdao japanisch besetzt. Daher unterzeichneten China und
Deutschland 1921 einen Vertrag, der wechselseitig die freie wirtschaftliche
Betätigung ihrer Staatsangehörigen erlaubte. Infolgedessen kamen immer mehr
chinesische Seeleute aus englischen Hafenstädten nach Hamburg und erwarben
ein Geschäft oder Lokal. So entstand in St. Pauli das „Chinesenviertel“.
Wieso konnten die unterbezahlten Seeleute Lokale kaufen?
Aufgrund der Inflation in Deutschland, die 1923 auf dem Höhepunkt war. Da
waren alle, die stabile ausländische Währung hatten, vergleichsweise
vermögend. Und für chinesische Seeleute war es verlockend, sich
selbstständig zu machen und der auszehrenden Arbeit des Heizers zu
entkommen.
Und warum verschärfte man 1925 das Hafengesetz?
In dem Moment, wo die Hamburger Bevölkerung ein vermeintliches
„Chinesenviertel“ identifizierte, übte die Hamburger Polizei Druck auf den
Senat aus, das Hafengesetz zu verschärfen, um Einwanderung unattraktiv zu
machen. Vor allem ging es um Kontrollen. Bis dato war der jeweilige
Schiffskapitän für den Landgang der Seeleute zuständig. Das verschärfte
Hafengesetz übertrug diese Zuständigkeit an die Hafenpolizei, der
Namenslisten vorgelegt werden mussten. Wobei das Auswärtige Amt die
Hamburger Polizei anwies, diskret vorzugehen. Ausweisungen von Chinesen
seien in Ordnung, hieß es, aber bitte keine Massenausweisungen, damit es
keine Proteste aus China gäbe.
Wie wurden die Ausweisungen begründet?
Mit dem sehr dehnbaren, schon in den 1920ern als zu schwammig kritisierten
Begriff des „lästigen Ausländers“. Für dieses Stigma waren auch Gerücht…
„[5][Opiumhöhlen]“ verantwortlich, überhaupt die Vermutung eines notorisch
kriminellen chinesischen Milieus – was natürlich nicht der Realität
entsprach. Es ist zwar erweisen, dass auch Opium geraucht wurde. Aber das
stellte keine Gefahr für die Hamburger Bevölkerung dar.
Überhaupt war die chinesische Migration in den 1920ern überschaubar, oder?
Ja. Auch war es eine sehr flüchtige, zunächst aufgrund der Berufe rein
männliche Migration, die nicht unbedingt auf dauerhafte Einwanderung
ausgerichtet war.
Wie erging es der chinesischen Community in der NS-Zeit?
Im Chinesenviertel änderte sich zunächst nichts. Allerdings wurden nach der
Machtübergabe an die Nazis 1933 alle chinesischen Heizer entlassen. Da ist
entweder Druck ausgeübt worden oder die Reedereien haben es in
vorauseilendem Gehorsam getan. Lediglich die (wenigen) chinesischen Wäscher
auf den Schiffen blieben. Auf deren Unentbehrlichkeit haben die Reedereien
1933 gepocht, weil deutsche Seeleute diese Arbeit nicht verrichten wollten.
Wie hat China auf die Entlassung der Heizer reagiert?
Die Regierung hat vehement protestiert und Konsequenzen für Deutsche in
China angedroht. Denn da alle 600 chinesischen Heizer entlassen wurden, war
klar, dass es eine Diskriminierung aus rassistischen Motiven war.
Wie entwickelte sich das „Chinesenviertel“?
Das NS-Regime verschärfte 1936/37 die Devisenpolitik, weil Deutschland
Rohstoff für die Aufrüstung brauchte. Jede ausländische Währung musste nun
zur Bank gebracht werden. Deshalb gab es auch im „Chinesenviertel“ immer
wieder Razzien durch Polizei und Zoll, um Devisen aufzuspüren. Denn in
einem Hafenviertel wie [6][St. Pauli] war es Usus, dass Seeleute mit
ausländischer Währung zahlten.
Fahndete man auch nach binationalen Partnerschaften?
Es galt durchaus als „Schande“ für eine deutsche Frau, mit einem
chinesischen Mann zusammen zu sein. Da entstanden Begriffe wie
„Chinesenliebchen“; auch gab es den Vorwurf der Prostitution. Wir wissen
auch von Gestapo-Beamten, die deutsche Partnerinnen chinesischer Männer ins
KZ eingewiesen haben.
Und worauf zielte die „Chinesenaktion“?
Der Vorwand für diese Aktion vom 13. Mai 1944 war angebliche
Feindbegünstigung, weil Chinesen aus Hamburg über die Türkei wieder in
britische Dienste gelangt seien. Der tatsächliche Hintergrund war ein
rassistischer. Maßgeblich beteiligt war der Kripobeamte Erich Hanisch, der
von 1941 bis 1943 im besetzen Polen Deportationen der jüdischen Bevölkerung
organisiert hatte. Zurück in Hamburg, tyrannisierte er ZwangsarbeiterInnen
und, im Zuge der „Chinesenaktion“, die chinesische Community. Dabei wurden
29 Männer verhaftet, im [7][Gestapo-Gefängnis Fuhlsbüttel] misshandelt und
ins „Arbeitserziehungslager Wilhelmsburg“ gebracht. 17 Chinesen starben.
Ist Erich Hanisch dafür belangt worden?
Nein. Er hat sich 1948 im Internierungslager Neuengamme durch Suizid
entzogen. Er hätte am nächsten Tag nach Polen überstellt und für seine
Verbrechen angeklagt werden sollen.
Wurden die Überlebenden der „Chinesenaktion“ entschädigt?
Nein. Dabei haben sie noch bis in die 1960er Jahre Anträge auf
Wiedergutmachung und die symbolische Anerkennung der NS-Verfolgung
gestellt. Beides unterblieb. Spitzfindig behaupteten deutsche Gerichte, die
Form der „Chinesenaktion“ – Razzia, Internierung, Lagerhaft – sei zwar
nationalsozialistisch gewesen, nicht aber der „Inhalt“: Es sei keine
rassistische Verfolgung gewesen. Das war wie ein zweiter Schlag für die
chinesische Community – weshalb das Thema dort lange ein Tabu war. Erst in
den 1980er-Jahren erschienen Artikel und Bücher. 2012 entstand ein
Gedenkstein in St. Pauli und 2021 wurden 13 Stolpersteine für Opfer der
„Chinesenaktion“ verlegt.
Wie passte eigentlich der Nachkriegs-Boom der China-Restaurants zum
fortbestehenden Rassismus?
Insofern, als auch die Hamburger im Zuge des „Wirtschaftswunders“ in den
1960er-Jahren wohlhabender wurden. Dazu gehörte auch der kulinarische
„Kurzurlaub“ in einem ausländischen Spezialitätenrestaurant. Besonders die
chinesischen Lokale bedienten den Wunsch nach unbekanntem Essen – zumal sie
nicht allzu authentisch waren und das Essen an den westdeutschen Geschmack
anpassten.
Sprechen wir noch über den „Coronarassismus“. Zufällig entstand das Virus
in China, weshalb asiatisch aussehende Menschen oft angefeindet wurden.
Aber lebt da wirklich der Kolonialrassismus auf?
Natürlich hat die Gleichsetzung des Virus mit China – US-Präsident Donald
Trump sprach konsequent vom „China Virus“ – etwas Willkürliches. Trotzdem
hat der rassistische Blick auf China eine lange Geschichte und es gibt
Kontinuitäten, wie etwa das Stereotyp der [8][„Gelben Gefahr“] zeigt. Da
schlummert schon einiges unter der Oberfläche.
20 Feb 2024
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[8] /Chinas-Einfluss-auf-deutsche-Unis/!5962835
## AUTOREN
Petra Schellen
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