| # taz.de -- Indonesiens Schriftstellerszene: Generation Reformasi | |
| > Die Buchmesse verschafft Indonesiens AutorInnen Aufmerksamkeit. Die | |
| > postkoloniale Phase des Inselstaats hat sie unterschiedlich geprägt. | |
| Bild: Vier Fünftel der Bevölkerung sind muslimisch, aber längst nicht alle o… | |
| Goenawan Mohamad steht auf der begrünten Dachterrasse des unabhängigen | |
| Kulturzentrums Salihara in der Millionenstadt Jakarta. Der „Chairman“ des | |
| Gastlandes Indonesien der diesjährigen Frankfurter Buchmesse spricht mit | |
| ausländischen Journalisten. Der 74-Jährige ist noch von der postkolonialen | |
| Phase des jungen Inselstaates geprägt. Als er 1941 zur Welt kam, regierten | |
| die Holländer. Dann kamen die Japaner und danach bis 1949 die | |
| Unabhängigkeitskämpfe. Während der Diktatur Suhartos (1965 bis 1998) | |
| gründete der „Kreuzritter für die Pressefreiheit“ (WikiLeaks) 1971 das | |
| Wochenmagazin Tempo. | |
| Zweimal verboten steht Tempo auch heute für einen Mix aus kommentierendem | |
| und investigativem Journalismus. Viele der SchriftstellerInnen Indonesiens | |
| sind der radikal-demokratischen Zeitschrift verbunden. Den jungen | |
| Nationalstaat und seine 250 Millionen Einwohner plagen große soziale und | |
| ökologische Probleme. Auch religiöse. Vier Fünftel der Bevölkerung sind | |
| muslimisch, aber längst nicht alle orthodox. Die Inseln sind sehr | |
| unterschiedlich. Und in der Hauptstadt Jakarta bilden Liberalismus und | |
| Fundamentalismus häufig Gegensätze. | |
| Mohamads Schriftenband „Von Gott und anderen unvollendeten Dingen. 99 | |
| Notizen über Glauben und Grausamkeit“ (Verlag Regiospectra) spricht davon, | |
| sein Lyrikband „Don Quijote“ erscheint bei Sujet. | |
| Mohamad ist der indonesische Ausnahmeintellektuelle, Andrea Hirata der | |
| berühmteste Schriftsteller des Landes. Hiratas Roman „Die Regenbogentruppe“ | |
| war weltweit ein Bestseller. „Der Träumer“ preist der Hanser-Verlag nun als | |
| Fortsetzung der „Regenbogentruppe“ an. Das stimmt nur so halb. | |
| In „Der Träumer“ geht es wieder um den jungen Ikal, der aus einfachsten | |
| Verhältnissen von der Insel Belitung dank Bildung und Willensstärke seinen | |
| Weg in die Welt findet. Der sanfte Star der indonesischen Literaturszene | |
| führt die LeserInnen in eine Welt, die sie nicht kennen (Fischer, | |
| Minenarbeiter, Belitung) oder deren sie sich erst beim Lesen selber bewusst | |
| werden müssen. Die Erzählperspektive – vom Kind zum Erwachsenen – macht d… | |
| „Träumer“ dabei erneut zu einem guten Jugendbuch, für jene die „Die | |
| Regenbogentruppe“ nicht gelesen haben. | |
| „Jimbron zum Beispiel knüpfte an die Schnur seines Drachens in | |
| Goldfischform einen Zettel mit dem Wunsch: ‚Hallo, lieber Engel mit dem | |
| guten Herzen, ich wünsche mir ein Fahrrad!‘ Eine Woche später schenkte ihm | |
| sein Vater tatsächlich ein Fahrrad. Dabei hatte er seinen Vater gar nicht | |
| darum gebeten. Arai, angeregt durch Jimbrons Erfolg, heftete an seine | |
| Drachenschnur den Wunsch: ‚Hallo, weiser Engel, ich wünsche mir ein | |
| Motorrad.‘ Was passierte? Von einem Blitz getroffen, ging der Drachen in | |
| Flammen auf.“ | |
| ## Geprägt von der Klassen- und Kolonialgeschichte | |
| Hiratas in die Gegenwart hineinragende Figuren sind deutlich von | |
| indonesischer Klassen- und Kolonialgeschichte geprägt. Ikals Vater hat eine | |
| verkrüppelte Hand und eine Geschwulst am Knie, Folgen der Zwangsarbeit als | |
| Kind unter Holländern und Japanern. Die innenpolitischen Ereignisse von | |
| 1965 dominieren hingegen viele andere Werke der Gegenwartsliteratur wie | |
| Laksmi Pamuntjaks „Alle Farben Rot“ (Ullstein Verlag) oder Leila S. | |
| Chudoris „Pulang. Heimkehr nach Jakarta“ (Weidle Verlag). | |
| 1965 markiert das Jahr der Machtergreifung Suhartos durch einen fingierten | |
| Putsch. In der Musim Parang, der Saison der Hackmesser, ließ Suharto den | |
| nationalistischen Mob von der Kette. Bei den Massakern wurden 1965/66 | |
| Hunderttausende angebliche Kommunisten, Freidenker und Indonesier | |
| chinesischer Abstammung ermordet. Zehntausende verschwanden in Straflagern | |
| oder gingen ins Exil. Bis zu Suhartos Sturz 1998 wurde die Geschichte | |
| verfälscht dargestellt, juristisch ist sie unaufgearbeitet. | |
| Um die traumatischen Ereignisse literarisch zu bearbeiten, wählt die | |
| Autorin Chudori das Pariser Exil zum Ausgangspunkt ihres Romans „Pulang“. | |
| Sie stellt eine Verhaftungsszene in Indonesien voran und streut der | |
| Erzählung immer wieder Auszüge aus einer Briefsammlung ein, um so im | |
| Rückblick verschiedene politische Ereignisse von Frankreich bis Indonesien | |
| zu erörtern. Literarisch ist das ganze etwas matt. | |
| „Plötzlich überkam mich das Gefühl, einige Schritte in die weitläufige, | |
| tiefschwarze Höhle der Geschichte Indonesiens getan zu haben und dringend | |
| eine Kerze zu brauchen. Mein Herz klopfte heftig. Das Wort | |
| I.N.D.O.N.E.S.I.E.N. stand mir plötzlich vor Augen und zog mich in seinen | |
| Bann. Ich erinnerte mich an Shakespeare, und ich erinnerte mich an Rumi. In | |
| einem Gedicht fragt der islamische Mystiker und Poet, ob man aus den | |
| Buchstaben R.O.S.E. wohl eine Rose pflücken könnte.“ Die Kerze in der | |
| Geschichte. Bei Chudori klingt vieles überkonstruiert und gleichzeitig zu | |
| einfach. | |
| ## Auf der Suche nach der große Liebe | |
| Plausibel und eigenständig verhandelt Laksmi Pamuntjaks Roman „Alle Farben | |
| rot“ den im Zuge von Postkolonialismus und Kalten Krieg begangenen | |
| indonesischen Massenmord. Aus der Menge der Opfer hebt Pamuntjak das | |
| Schicksal zweier Individuen, von Amba und Bishma, hervor. Das Liebespaar | |
| wurde aufgrund der politischen Ereignisse 1965 getrennt. Schriftstellerin | |
| Pamuntjak lässt die mittlerweile über 60-jährige Amba nach dem Sturz | |
| Suhartos 1998 auf die Suche nach ihrer früheren großen Liebe Bishma gehen. | |
| Amba reist in der Erzählung nach Buru, stellt dort Nachforschungen an. Buru | |
| gehört zur Inselgruppe der Molukken und diente als Gefängnisinsel. Dort saß | |
| schon der Schriftsteller Pramoedya Ananta Toer ein, dessen Werk ein | |
| Hintergrundrauschen zu Pamuntjaks vielschichtigen Roman bildet. | |
| Pamuntjaks Figur Bishma hätte, so wird Amba im Laufe der Geschichte | |
| herausfinden, zu ihr, der früheren Geliebten, zurückkehren können. Doch er | |
| tut es in dem Roman nicht. Er bleibt als Gefangener seiner selbst auf Buru. | |
| Pamuntjak geht es also keineswegs nur um die Verhandlung bloßer Politik, | |
| sondern vor allem auch um die Beschäftigung mit der menschlichen Psyche. | |
| Die Dimension des indonesischen Massenmords wirft Fragen auf, die sich nur | |
| schwer mit Links-rechts-Klischees beantworten lassen. Auf einer | |
| zusätzlichen Ebene hat Pamuntjak ihre Figuren mit einer Neuinterpretation | |
| des in Indonesien sehr populären indischen Mahabharata-Epos unterlegt, um | |
| so die traditionellen Stereotypen von Gut und Böse neu durchzuspielen. | |
| Die indonesische Gesellschaft sei traditionell eher konservativ | |
| ausgerichtet, sagt Goenawan Mohamad im Salihara in Jakarta. Doch mit der | |
| Reformbewegung von 1998 hätten sich die Gewichte verschoben. Autorinnen wie | |
| Ayu Utami attackieren den „sunnitischen Protestantismus“, auch wenn die | |
| Rolle der Frau in Indonesien nie so repressiv definiert gewesen sei, so | |
| Mohamad, wie in den arabischen Gesellschaften. | |
| „Eine Frau muss weder Jungfrau bleiben noch verheiratet sein“, sagt die | |
| Schriftstellerin Ayu Utami selbstbewusst in einem taz-Gespräch. Mit „Saman“ | |
| und „Larung“ (beide Horlemann Verlag) schuf sie zwei Romane, die quer zur | |
| sexuell-männlichen Bigotterie der konservativen Suharto-Gesellschaft | |
| liegen. Utami erzählt in ihren Romanen nicht linear, mitunter explizit, | |
| sexuelle Normierungen hinterfragend und im für konservative Hochkulturelle | |
| sicherlich als provozierend empfunden Plauderton einer US-amerikanischen | |
| Fernsehserie, aber eben auf Indonesisch. | |
| 13 Oct 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Andreas Fanizadeh | |
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