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# taz.de -- Buchmessen-Gastland Philippinen: Von Büchern und Clans
> Die Philippinen sind im Herbst Ehrengast der Frankfurter Buchmesse. Doch
> was bewegt die Kulturszene des südostasiatischen Inselstaats? Eine
> Entdeckungsreise.
Bild: Katholischer Straßenumzug im Bezirk Tondo in der philippinischen Hauptst…
Wie durch Nebel dringt die Stimme des Pastors bis ans Ende der Kirche. Die
Ventilatoren, geschraubt in die steinernen Wände des
Unesco-Weltkulturerbes, brummen laut und gleichmäßig. Mehrere hundert
Gläubige, junge und alte, haben sich an diesem Sonntag in der Kirche Santo
Tomas de Villanueva eingefunden. Die Hitze scheint sie nicht vom
Gottesdienst fernzuhalten; es ist freilich auch überall genauso heiß auf
der Insel Panay, hier im Zentrum der Philippinen.
Der Inselstaat ist katholisch, ist es, seitdem Spanien im 16. Jahrhundert
die Philippinen unterwarf. Und blieb es während der US-amerikanischen
Kolonialzeit zwischen 1898 und 1946 sowie der zweijährigen, äußerst
blutigen Besatzung durch Japan. Scheidungen sieht die katholische Kirche
nicht vor, sie sind auch auf den Philippinen, als einzigem Staat der Erde
abgesehen von Vatikanstadt, nicht möglich.
Abtreibungen selbstredend genauso wenig. Interessanterweise scheinen die
meisten Filipinos mit queeren Menschen jedoch weniger Probleme zu haben.
Sie sind jedenfalls sehr präsent, in der städtischen Öffentlichkeit und den
Medien.
Nicht so jedoch in der Literatur. Das sagt zumindest Genevieve Asenjo.
Literatur sei sehr langsam; was längst gesellschaftliche Realität sei,
finde sich in zeitgenössischen philippinischen Romanen oft nicht wieder.
Asenjo lehrt kreatives Schreiben und ist selbst Autorin. Als sie in ihrem
Roman eine polyamor lebende Figur, die also mehrere Beziehungen
gleichzeitig führt, auftreten ließ, sei der Backlash groß gewesen.
## Nicht ganz frei
Auch Chuckberry Pascual war beim Schreiben seiner Kurzgeschichten nicht
ganz frei, musste gerade in puncto Queerness einige Stellen vor
Veröffentlichung anpassen. „Das lag aber daran, dass mein erstes Buch bei
einem katholischen Verlag erschienen ist“, sagt er.
Freier ist man hingegen im Romance- bzw. Young-Adult-Sektor. Ob die
Geschichten um promiskuitive Jugendliche nun als echte Literatur gelten
können, darüber sind hier ähnliche Debatten entbrannt wie in Deutschland.
Bringt es die Jugend der wahren Literatur näher oder existiert Romance
nebenher?
Cristina Pantoja-Hidalgo ist generell offen gegenüber neuen Formen
literarischen Schreibens. Heute werde viel im Internet publiziert, das
meiste sei allerdings Müll, sagt die Autorin.
Tatsächlich erfreut sich auf den Philippinen die Onlineplattform Wattpad
großer Beliebtheit. Darauf können Nutzer:innen eigene Geschichten
veröffentlichen, mehrfach wurden diese bereits für Filme oder Serien
adaptiert. Interessant findet jedoch Pantoja-Hidalgo, die ebenfalls
kreatives Schreiben lehrt, dass einige Studierende ihre Kurse besuchten, um
Plots für Computerspiele zu schreiben. „Dafür hat die Kritik noch gar keine
Sprache, um diese Form des Schreibens einzuordnen“, sagt sie.
## Solidarid Bookshop Manila
Während Pantoja-Hidalgo spricht, sitzt sie im Solidaridad Bookshop, der
zentral in der Hauptstadt Manila gelegen ist und – auch als publishing
house fungierend – eine wichtige Rolle spielte bei der Etablierung einer
eigenen philippinischen Literaturszene.
Gegründet hat ihn der Literaturpionier F. Sionil José, der in seinen
Büchern zumeist vom harten Alltag der repressiv regierten Bevölkerung
erzählt. Sehr lesenswert ist etwa der Roman „Szenen aus Manila“ von 1973,
der einem jungen Studenten zwischen kommunistischer Agitation und Überleben
zur Zeit der Marcos-Diktatur folgt.
Heute wird das Land erneut von einem Marcos regiert: Ferdinand Marcos jr.,
Sohn des 1986 aus dem Land gejagten Diktators, wurde 2022 zum Präsidenten
der Philippinen gewählt. Er folgt auf [1][den autoritären Rodrigo Duterte,]
dessen brutaler war on drugs Zehntausende Menschen das Leben kostete.
„Die Elite der Filipinos hat einen Makel“, heißt es bei José 1973. „Sie
betrachten sich als Führer von Cliquen, Familien, behaglichen Klüngeln.“
Und im Grunde ist das wohl immer noch so. Rund 80 Prozent der
Gouverneursposten im Land sind von Angehörigen der „fat dynasties“, der
einflussreichen philippinischen Familiendynastien, besetzt, deutlich mehr
noch als vor einigen Jahren.
## Stadt und Land
Die Schere zwischen Arm und Reich ist groß. Insbesondere in den ländlichen
Provinzen ist Armut weit verbreitet. Es gibt zwar eine Schulpflicht, doch
oft fehlten die Kinder armer Familien im Unterricht, wenn ihre Arbeitskraft
verlangt wird, sagt Jose Edison Tondares. Tondares ist Dichter, hat aber
wie so viele Schriftsteller:innen im Land noch einen anderen Beruf und
arbeitet als Lehrer an einem College in Antique.
Er prangert das Bildungssystem an: „70 Prozent der High-School-Schüler
haben nur eine geringe Lesekompetenz.“ Das liege zum einen an konkreter
Überforderung – zu viele Fächer, zu lange Unterrichtszeiten –, aber auch …
der Bürokratie.
„Auf den Philippinen gibt es eine No-fail-Regelung“, sagt Tondares. „Um
Schüler durchfallen zu lassen, müssen Lehrer aufwendige Begründungen
abgeben. Das macht eigentlich niemand.“
Tondares schreibt auf Kinaray-a, einer der Sprachen, die auf den
Visaya-Inseln verbreitet sind. Mehr als 170 Sprachen werden auf dem
Inselstaat gesprochen – eine Herausforderung auch für Übersetzer:innen. Von
den nun anlässlich des Gastlandauftritts der Philippinen auf der
Frankfurter Buchmesse übersetzten Büchern sind fast alle entweder auf
Englisch oder Tagalog verfasst worden. Letzteres sprechen etwa 40 Prozent
der Filipinos, die Amtssprache Filipino basiert auf ihm.
## Nationalheld José Rizal
Ursprünglich auf Spanisch wurde hingegen der wohl bekannteste Roman der
Philippinen geschrieben. „Noli me tangere“ von 1887 handelt vom Leben unter
spanischer Kolonialherrschaft und erscheint in diesem Sommer neu bei
Suhrkamp. Sein Verfasser José Rizal, der zeit seines kurzen Lebens gegen
den Kolonialismus kämpfte, wurde von den Spaniern hingerichtet und gilt
heute als Nationalheld.
Er wird dieser Tage auch als Bindeglied zwischen den Philippinen und
Deutschland beschworen, denn der Autor und Mediziner Rizal wohnte einst in
Wilhelmsfeld bei Heidelberg, um dort Augenheilkunde zu studieren.
Aus Manila ging kürzlich eine Überweisung gen Wilhelmsfeld, als man das
frühere Wohnhaus Rizals erstand. Veranlasst hat den Kauf die Senatorin
Loren Legarda, von der nach eigenem Bekunden ebenfalls die Idee, die
Philippinen als Gastland in Frankfurt zu präsentieren, stammt.
Überhaupt scheint man Legarda hier viel zu verdanken. Gerade in ihrer
Heimatprovinz Antique ist ihrem Konterfei in Museen, Kooperativen und
Geschäften kaum zu entkommen.
## Literatur und Palmenstrand
Die Philippinen sind ein vielseitiges Land, mit Traumstränden und
warmherzigen Menschen, so viel Pauschalaussage muss man an dieser Stelle
einmal treffen. Trotzdem liegen die Einnahmen aus dem Tourismussektor
deutlich hinter denen Thailands oder auch Malaysias. Man wünscht sich, auch
hier Potenziale auszuschöpfen – nur ums Buch geht es bei dem geplanten
Gastlandauftritt selbstredend nicht.
Verbindungen werden auf vielen Ebenen geknüpft. In der Rede, die der
deutsche Botschafter auf den Philippinen, Andreas Pfaffernoschke, in
Anwesenheit von Senatorin Legarda im National Museum of Fine Arts in Manila
hält, betont er die Vereinbarungen zur Aufrüstung, die
Verteidigungsminister Boris Pistorius kürzlich mit den philippinischen
Amtskollegen traf. Mit China ist man sich in seerechtlichen Fragen auf dem
Inselstaat weiter uneins.
Die Filipinos sehen sich mit so einigen Herausforderungen konfrontiert.
Besonders der Klimawandel wird ihnen in den kommenden Jahren zu schaffen
machen. Schon heute haben die über 7.600 Inseln regelmäßig mit Taifunen und
Überschwemmungen zu kämpfen. [2][Climate Fiction,] im westlichen
Literaturraum immer noch eher randständiges Phänomen, findet auf den
Philippinen eine ungleich größere Leserschaft.
Daryll Delgados Roman „Überreste“ etwa setzt nach der Katastrophe an, folgt
einer jungen Frau, die nun als Erwachsene in ihren von einem Super-Taifun
zerstörten Heimatort zurückkehrt. Durchaus kritisch beschäftigt sich
Delgado darin mit der Arbeitsweise von NGOs und gibt darüber hinaus einen
Einblick in das Nebeneinander der verschiedenen Sprachen.
## Die Oversea-Workers
Sicherlich auch aufgrund der Kolonialgeschichte, die die Philippinen und
die USA enger aneinander binden, leben viele Filipinos heute in den USA,
als oversea workers, die regelmäßig Geld Richtung Heimat überweisen.
Auch Peter Solis Nery hat 20 Jahre lang als Krankenpfleger in den USA
gearbeitet und ist erst seit einigen Monaten wieder zurück auf den
Philippinen. Seine Leserschaft sei hier, er wolle zudem helfen, das marode
Bildungssystem zu verbessern, sagt der Schriftsteller. „Wir müssen vor
allem etwas gegen das Analphabetentum tun“, so Nery.
Dass die [3][Einladung nach Frankfurt] an der Situation im Land etwas
ändert, glaubt er nicht. Hier biete sich bloß die Gelegenheit, die
Philippinen im Ausland gut aussehen zu lassen, meint er. Bevor größere
Summen in die Hand genommen werden, um Übersetzungen von philippinischen
Autor:innen zu fördern, sei es erst mal wichtig, sicherzustellen, dass
alle Schulen auf den Philippinen überhaupt über Bücher verfügen würden.
## Buchmesse als Chance
Nicht alle Schriftsteller:innen, Verleger und im Kulturbetrieb Tätige,
mit denen die taz sprach, sehen den Einsatz in Frankfurt so kritisch. Und
geeint bleiben sie im Engagement für Literatur.
So sehen viele Mitglieder des National Book Development Boards (NBDB), die
als dem Bildungsministerium unterstellte Behörde den Gastlandauftritt in
Frankfurt organisiert, ihre Tätigkeit als einzige Möglichkeit an, wirklich
etwas für die Lesekompetenz im Land, vor allem in den Provinzen, zu tun.
Jobs im privaten Sektor gebe es aufgrund des prekär organisierten
Literaturbetriebs kaum.
Offiziell seien sie zwar dazu angehalten, sich öffentlich nicht politisch
zu äußern, doch Kritik an den politischen Clanstrukturen vernimmt man immer
wieder. Ja, vielleicht sei es schizophren, für einen Machtapparat zu
arbeiten, den man verachte, heißt es einmal. Vor allem, wenn man als
Student noch gegen diesen protestiert habe.
Die Reise wurde unterstützt von Philippines Guest of Honour at the
Frankfurt Book Fair Project.
2 Jun 2025
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## AUTOREN
Julia Hubernagel
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