# taz.de -- Literatur-Festival zum Klimawandel: Einst ewiges Eis | |
> Das Climate Cultures Festival „Planet schreibt zurück!“ in der Berliner | |
> Volksbühne rückt künstlerische Perspektiven auf den Klimawandel in den | |
> Fokus. | |
Bild: Die Arktis stand im Fokus. Ihre Bewohner spüren die Auswirkungen des Kli… | |
Was muss noch passieren, damit sich der Klimawandel in der zeitgenössischen | |
Literatur niederschlägt? Wie ein einigermaßen resignierter [1][Bernd Ulrich | |
vor einem Monat in der Zeit feststellte], taugt die Klimakrise immer noch | |
höchstens als Science-Fiction-Stoff, in dem der Katastrophenfall längst | |
eingetreten ist, oder sie wird durch mutlos indifferente Romanfiguren, wie | |
sie etwa Judith Hermann zu schreiben weiß, als ohnehin unabwendbar an den | |
Rand gedrängt. | |
Ausführlicher beschäftigte sich an diesem Wochenende mit diesem Thema das | |
[2][Climate Cultures Festival] im Roten Salon der Berliner Volksbühne, bei | |
dem Expert:innen aus aller Welt darüber diskutieren, [3][in welcher Form | |
der Klimawandel in Literatur], Diskursen, Fotografie und Filmkunst | |
auftaucht. | |
Schriftsteller:innen hätten lange gefürchtet, nicht ernst genommen zu | |
werden, bestimmten sie den Klimawandel zum Romansujet, meint der | |
künstlerische Leiter des Festivals Martin Zähringer in seiner | |
Begrüßungsrede. Klimakrise, das schreit eben eher nach dringend benötigter | |
Action, als einen geeigneten Rahmen für Gefühlserkundungen zu stellen. | |
Einen Grund für das [4][Fehlen von Klimastoffen stellt Harald Welzer] zur | |
Diskussion. Über den Klimawandel werde stets naturwissenschaftlich | |
gesprochen, nicht historisch oder soziologisch. Der per Video zugeschaltete | |
Soziologe wirkt resigniert, denn resigniert hat ihm zufolge auch die | |
Mehrheit der westlichen Gesellschaft. Man habe ja vermutet, dass der | |
Klimawandel erst dann ernst genommen werde, wenn er vor der eigenen Haustür | |
ankomme. | |
## Kein Umdenken trotz Flutkatastrophe | |
Die Flutkatastrophe im Ahrtal, die 200 Toten hätten anderes bewiesen. „Es | |
war noch nicht mal ein Wahlkampfthema“, wundert sich Welzer. Man brauche | |
andere Narrative: „Wir müssen über eine Gesellschaft im Klimawandel | |
sprechen.“ Frederic Hanusch, der mit Welzer im Panel diskutiert, stellt | |
eine utopische Idee in den Raum. Thomas Jefferson etwa forderte, dass sich | |
eine Gesellschaft alle 19 Jahre eine neue Verfassung geben sollte, sagt er. | |
So sei sichergestellt, dass nur die Lebenden über ihr Leben entscheiden | |
können. Welzer, von dem sich mitunter zu stark zurücknehmenden Moderator | |
Zähringer gefragt, wie hoch er den erzieherischen Effekt der Kunst | |
einschätze, scheint pessimistisch. Wenn Ereignisse wie die Flutkatastrophe | |
es nicht schafften, Menschen zum Umdenken zu drängen, sehe er nicht, dass | |
kulturelle Arbeit das je könnte. | |
Womöglich hat die Kunst es jenseits aller „The Day After Tomorrow“-Dystopie | |
aber einfach noch nicht hartnäckig genug versucht. Zumindest hierzulande | |
ist das „New Nature Writing“ eher unbekannt, und auch der Eco-Criticism, | |
der interdisziplinäre Ansatz, Literatur und Kunst aus einer ökologischen | |
Sichtweise zu betrachten, findet vor allem im angloamerikanischen Raum | |
Anklang. | |
Eigens aus Übersee angereist ist für das Festival ist Catherine Bush. Die | |
kanadische Schriftstellerin hat mit „Blaze Island“ einen Roman über den | |
Klimawandel im hohen Norden geschrieben. Darin wirft sie unter anderem die | |
Frage nach der Wechselwirkung zwischen dem Verschwinden einer Landschaft | |
und dem Verschwinden einer Kultur auf. Es gebe unzählige Wörter für „Eis�… | |
sagt sie, die nun langsam aussterben, weil die Vielfalt des Eises – blau | |
leuchtend, splitternd, wolkenweich – stetig schrumpfe. | |
## Klimakatastrophe poetisch darstellen | |
Der Ästhetik des Eises räumt sie viel Platz ein, die Klimakatastrophe | |
poetisch ansprechend darzustellen ist also nicht unmöglich. „Er goss ein | |
Glas Wasser ein, ließ ein Stück Eis hineinfallen und hielt das Glas gegen | |
das Licht“, heißt es in „Blaze Island“. „‚Sehen Sie, wie das Eis zis… | |
blubbert? Mit diesem Knistern wird zehntausend Jahre alte Luft freigesetzt, | |
die viel weniger Kohlendioxid enthält als unsere jetzt. In diesem Raum | |
hier, beim Anblick dieser Bläschen, überblicken wir in gewissem Sinn die | |
Zeitspanne, in der die Menschen hier auf der Erde ein stabiles Klima | |
genossen haben.‘“ | |
Die Arktis steht im Fokus des diesjährigen, bereits zweiten Climate | |
Cultures Festival. Ihre Bewohner sind die ersten, die die Auswirkungen des | |
Klimawandels spüren. Etwa acht Milliarden Tonnen Eis schmelzen in Grönland | |
täglich. | |
Dort brechen nun umweltfreundlichere Zeiten an: Vor wenigen Tagen sei ein | |
Gesetz verabschiedet worden, das die Förderung von Uran im Land untersage, | |
sagt der Politiker Aqqaluk Lynge, der die linke Partei Inuit Ataqatigiit | |
mitgründete, die momentan den Premierminister stellt. | |
Früher oder später wird der Klimawandel Eingang in die Kunst und Literatur | |
finden, da seine Folgen für immer mehr Menschen Teil einer veränderten | |
Lebensrealität werden. Circa vier Millionen Menschen leben im Polarkreis. | |
In Kanada etwa werden schon seit einiger Zeit Romane von „First | |
Nations“-Autor:innen beliebter, obwohl die Ureinwohner:innen nur knapp | |
vier Prozent der kanadischen Bevölkerung ausmachen. | |
Es bieten sich Chancen für neue Perspektiven: Das Eis schmilzt und die in | |
ihm schlummernden Geschichten tauen auf. Es ist wohl nur eine Frage der | |
Zeit, bis die ersten Flut- und Dürreromane folgen. 2022 richtet das Climate | |
Cultures Festival seinen Blick unter anderem nach Australien und Taiwan. | |
29 Nov 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.zeit.de/2021/43/literatur-klimawandel-corona-klimakrise-kultur-… | |
[2] /Autor-ueber-die-Klimakrise-in-Romanen/!5815427 | |
[3] /Feuilletondebatte-zu-Literatur-und-Klima/!5808914 | |
[4] /Welzer-und-Friedmann-Zeitenwende/!5714287 | |
## AUTOREN | |
Julia Hubernagel | |
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